Von verhexten Beziehungen

In den letzten Minuten hab ich viele Sätze getippt, nur um sie anschließend wieder zu löschen. Ich kann fühlen, was ich schreiben will, aber es fällt mir schwer, es auf den Punkt zu formulieren: Es beschäftigt mich seit ein paar Tagen mal wieder intensiv, dass ich in den allermeisten meiner Beziehungen das Gefühl habe, nicht gesehen zu werden und nicht gut genug zu sein.  Da ist zum Beispiel die enge Freundin, die mir Tag und Nacht WhatsApp-Nachrichten schreibt, mich quasi in Echtzeit an ihrem Seelenleben teilhaben lässt, aber nicht einmal auf die Idee kommt, mich zu fragen, was los ist, obwohl ich klar formuliere, dass es mir nicht gut geht. Da ist der Mann, der in all den Jahren nicht auf die Idee gekommen ist, mich heiraten zu wollen. Vermutlich weil ich nicht gut genug bin. Was einerseits okay ist, weil ich nicht heiraten will, aber andererseits in stummer Beharrlichkeit das Gefühl in mir erzeugt hat, dafür wohl nicht gut genug zu sein. Ein Gefühl, das schmerzt. Da ist die Freundin

Von dem Land hinter den Sternen

Jonathan hat mir von Nangijala erzählt, dem Land, in das man kommt, wenn man stirbt. Es liegt irgendwo hinter den Sternen. "Dort ist noch die Zeit der Lagerfeuer und der Sagen, und das wird dir gefallen." Von dort, aus Nangijala, stammten alle Märchen und Sagen, sagte Jonathan, denn gerade dort passiere ja all so was. Wenn man dort hinkomme, erlebe man von früh bis spät und sogar nachts Abenteuer.
"Das ist was, Krümel!", sagte er. "Das ist was anderes als im Bett liegen und husten und krank sein und nie spielen können."


(Astrid Lindgren: Die Brüder Löwenherz)

Lieber Steffen,

gestern bist du verstorben. Die ganze Zeit war mir bewusst, dass dieser Tag kommen würde. An jedem anderen Tag in den letzten Wochen wäre ich irgendwie mental auf diesen Moment vorbereitet gewesen. Dachte ich zumindest. Aber vorhin, als ich es erfahren habe, hat es mich kalt erwischt. Das Wissen darum, dass du nicht mehr bist. Und ich weiß nicht genau, was ich empfinden soll. Bin hin- und hergerissen zwischen der Erleichterung, dass die Qual, die du in den letzten Monaten ausstehen musstest, nun ein Ende gefunden hat und dem Schmerz, den ich dabei verspüre, dich loslassen zu müssen.

Wenn ich an dich denke, denke ich an ein Bild von einem Mann: Riesig groß mit einem dunklen Rauschebart. Früher warst du mir unheimlich. Du hast immer so dröhnend gelacht und ganz schön viel Bier getrunken. Und ich war klein und überdurchschnittlich schüchtern. Um nicht zu sagen scheu. Ich hatte Angst vor allem und jedem. Du warst einer der wenigen Menschen, der diese Angst sehen, der sie vor allem aber verstehen konnte. Ganz behutsam, wie man es einem Mann deiner Statur nicht unbedingt zutraut, hast du mich aus der Reserve gelockt und mir dabei von deinem Leben erzählt: Von den guten Zeiten, wie deinem Studium, deinen Freunden oder den vielen Nächten, die du dir mit Feiern um die Ohren geschlagen hast, aber auch von den schlechten Zeiten, die geprägt waren von Sucht und schwerer Depression. Bei dir habe ich mich sicher und aufgehoben gefühlt. Einen Einblick in deine Zerbrechlichkeit zu nehmen, hat mir das nachhaltige Gefühl vermittelt, mit meiner eigenen nicht allein zu sein. Ich habe mich dir nahe,verbunden gefühlt. Und mein Vertrauen in dich war stets grenzenlos.

In Erinnerung behalte ich dich als einen Menschen, mit dem ich gerne noch viel mehr Augenblicke und Gefühle geteilt hätte. Und als jemanden, mit dem es das Leben häufig nicht gut gemeint hat. Du hattest es nie leicht. Warst ständig und immer wiederkehrend mit unzähligen Herausforderungen konfrontiert. Trotzdem hast du nie geklagt. Du hast, ohne zu zaudern oder zu hadern, stets hingenommen, was das Leben dir serviert hat, und immer einen Weg gefunden, damit umzugehen. Im Gegensatz zu mir hast du es vermutlich nie als zutiefst ungerecht empfunden, dass ein einzelner Mensch mit so viel Unglück bedacht werden kann. Oft habe ich mir in deiner Anwesenheit gewünscht, Zauberin zu sein. Ich hätte gerne das Leben für dich leichter, bunter und unbeschwerter gezaubert.

Ich danke dir von Herzen für die vielen schönen Momente, die ich mit dir verbringen durfte. Wenn ich dich jetzt loslasse, lieber Steffen, dann hoffe ich, dass dieser Abschied keiner ist, der immer währt. Vielmehr wünsche ich mir, dass wir uns eines Tages wiedersehen. Und dann bringst du mir das Zaubern bei. Du kannst ja schon einmal damit anfangen, es zu lernen. Wir treffen uns in unserem nächsten Leben. In Nangijala.

Ich vermisse dich.

Dein Muschelmädchen


PS: Jetzt weißt du, dass ich dich damals, als ich 15 Jahre alt war, wegen dieser einen Sache angelogen habe. Das tut mir sehr leid. Ich war einfach zu feige, um dir die Wahrheit zu sagen. Bitte entschuldige. Heute würde ich es anders machen. Das verspreche ich dir.

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