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Es werden Posts vom 2020 angezeigt.

Von der anderen Liebe

"Es geht nicht um mich.", sagt er, "Es geht um dich. Es geht immer nur um dich." Seine Arme legen sich um mich, fangen mich auf, er vergräbt flüsternd die Nase in meinem Haar. "Es geht um dich. Es geht um dich. Es geht um dich.", flüstert er und jedes einzelne Wort fühlt sich an, als würde es tief in mich hineinfallen und mich von innen auftauen. Ich glaube, es ging noch nie in meinem Leben um mich. Natürlich tut es das auch jetzt nicht. (Weil es um ihn geht. Ist doch klar.) Aber es tut mir so gut, dass da jemand ist, der mich sieht. Der ohne eine einzige Forderung zu stellen, da ist, mich lieb hat und annimmt, ohne mich ändern zu wollen. Der einfach dankbar nimmt, was ich zu geben habe, ohne mir im Anschluss den Arm auszureißen und mich zu mehr zu drängen als ich geben will. Jemand, der so ein großes Herz hat, so warmherzig, gütig und voller Liebe ist. Ja, vielleicht ist das alles nur eine Momentaufnahme. Vielleicht wird morgen schon alles ganz anders sei

Vom Tanzen

Als ich den Saal betrete, legt sich eine Gänsehaut auf meine Arme. Es ist lange her, das ich das letzte Mal getanzt habe. Die Sehnsucht kitzelt mich. Zu gerne würde ich tanzen können. Natürlich ohne zu üben. Prüfend sehe ich mich in der Spiegelfront an. Eine erwachsene Frau sieht zurück. Aber in dem Glitzern ihrer Augen kann ich das Mädchen von früher noch erkennen.  Ganz automatisch greift meine Hand nach der Stange. Mein Rücken streckt sich. Probehalber spitze ich die Zehen. Mein Fuß schabt leise über das Parkett. Ganz behutsam. Die einzelnen Positionen. Immer die Stimme meiner Ballettlehrerin im Ohr: Kopf rein, Brust raus, Po anspannen! Fingerhaltung nicht vergessen. Demi-plié tiefer. Tiefer! Jeté. Erstaunlich, dass ich mich doch, nach so vielen Jahren, noch an so einige Einzelheiten erinnern kann, die darüber hinausgehen, dass meine Ballettlehrerin meinen Bauch dick fand. Und mich das in jeder einzelnen Stunde spüren ließ.  Plötzlich mutiger geworden, wage ich eine schüchterne Dreh

Von neuen Freunden

Im letzten Jahr habe ich mir neue Freunde gesucht. Ich habe, ganz plump, annonciert. Und Fremde angesprochen, die mir sympathisch schienen. Das hat recht gut geklappt. Ich zähle drei neue Mädels zu meinem Freundes- und Bekanntenkreis, mit denen ich regelmäßig etwas unternehme. Ich genieße den Kontakt und den Austausch sehr. Von Tag zu Tag fühle ich mich mehr angekommen. Plötzlich kann ich hier im Viertel über die Straße laufen und bin nicht mehr anonym. Weil ich plötzlich Menschen kenne, angesprochen werde. Die Gegend ist zu meinem Zuhause geworden. Trotzdem bleibt ein kleiner, schaler Nachgeschmack. Denn es ist immer so, dass ich mir die Menschen aussuche, deren Freundschaft ich gewinnen will. Ich gebe viel in diese Beziehungen hinein, fühle mich manchmal aufdringlich, ernte letztendlich jedoch reichlich. Nichtsdestotrotz würde ich gerne mal ausgesucht werden. Ich wünsche mir jemanden, der versucht, mich für sich zu gewinnen, der mir das Gefühl gibt, mich aus einer Gruppe von Menschen

Vom Glücklichsein

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Die Kerze wiegt sich leicht im Wind und ihr Licht flackert. Es bricht sich an dem grauen Tag. Die vielen verschiedenen Grautöne verschlucken jedes Geräusch. Und in mir ist es genauso still. Friedlich. Ich glaube, jetzt habe ich den Knoten in meinem Herzen entwirrt. Kann wieder sanft und nachsichtig sein. Trotzdem spüre ich, dass ich ein bisschen besser auf mein Herz aufpassen muss, denn es wird von Mal zu Mal schwieriger, die kleinen und großen Risse zu kitten, das Gefühl, nicht verstanden zu werden, wegzudrücken und mich wieder aufzurichten. Der Gedanke, dass die Zeit irgendwann nicht mehr ausreicht, um zu heilen, gruselt mich. Dieses Mal habe ich lange damit gehadert, nicht genug, nicht ausreichend, nicht allein zu sein. Doch das hatte auch etwas Gutes. So konnte ich lernen, die Augen zu öffnen und genauer hinzusehen. Menschen zu sehen, die schon längst da waren. Die mir lange viel zu nahe waren, als das ich sie bewusst hätte wahrnehmen können. Jetzt ist die Zeit, um glücklich zu sei

Von Tagebuchsachen

Heute hat meine Oma versucht, sich das Leben zu nehmen. Sie ist 95 Jahre alt und Ende des letzten Jahres auf eigenen Wunsch in ein Seniorenstift gezogen. Und dann kam Corona. Meine Oma war schon vor Corona sozial isoliert, weil sie kaum noch hören und sehen kann. Aber die zusätzlichen Kontaktbeschränkungen durch das Virus haben ihr sehr zugesetzt. Den Anruf, dass sie sich im Krankenhaus befindet, habe ich vor vier Stunden bekommen. Zuerst war ich erschrocken. Dann voller Mitgefühl. Ziemlich schnell kamen auch Schuldgefühle dazu, trotz regelmäßiger Telefonate und Briefe. Aber irgendwann hat eine Taubheit eingesetzt. Sie zieht sich durch alle meine Glieder, lässt einzig an meinen Rändern einen scharfen, wenngleich gedämpften Schmerz zu. Die Haut tut mir weh. Früher hätte ich in Momenten wie diesem für einen Ausgleichsschmerz gesorgt. Durch das zarte Streicheln einer Rasierklinge. Heute habe ich zuallererst das Bedürfnis, mich selbst fest in den Arm zu nehmen. Nur geht das eben nicht.

Vom Krafträuber

Es wird von Tag zu Tag schwieriger mit meiner Mama zu telefonieren. Sie fühlt sich sozial isoliert. Obwohl sie wenigstens noch ständig in irgendwelchen Telefon- und Videokonferenzen festhängt und eine Menge Gespräche führt, verschlechtert sich ihre Stimmung zusehends. Ich habe das Gefühl, dass ich sie stimmungstechnisch stützen muss. Und gebe mir alle Mühe, das zu tun. Sie zum Spazierengehen zu animieren, sie zum Lachen zu bringen, ihr ein bisschen Energie zu vermitteln, sie aufzuheitern, so gut es eben am Telefon geht. Aber ich spüre gleichermaßen, dass mich das eine Menge Kraft kostet. Manchmal fühle ich mich nach unseren Telefonaten regelrecht ausgelaugt und mutlos. Als hätte sie mich meiner Kraft beraubt. Das ist irgendwie blöd, denn ich brauche auch Kraft für mich. Das allerdings sage ich ihr nicht. Denn ich habe das Gefühl, dass sie es nicht gut verknusen würde, wenn sie erfahren würde, dass ich mit jemandem Kontakt hatte, der sich aktuell in Quarantäne befindet, weil er intens

Von gebrochenen Versprechen

"Du kannst schon mit anderen Frauen schlafen, wenn du das willst und brauchst, aber lass es mich halt nicht merken. Wenn ich es merke, wird es mich verletzen und ich werde mich zurückziehen." "Okay. Ich verspreche es dir. Du wirst es nicht merken." An dieses Gespräch, das am Telefon stattgefunden hat, kann ich mich noch erinnern. Der Mann mit dem ich es geführt habe, wahrscheinlich eher nicht. Denn wenn er es könnte, würde sein Verhalten implizieren, dass er mich verletzen wollte. Und noch versuche ich, ihm gute Absichten zu unterstellen. *.* Offenbar ist es weit mit mir gekommen, denn ich spioniere einem Mann hinterher. Ich bin mir sehr sicher, dass er heute seine Geliebte zu sich nach Hause eingeladen hat. Hinter einem Klischee-Baum versteckt, observiere ich das Grundstück. Im Garten wurde eine Art offener Pavillon aufgebaut. Er besteht aus warmen, fließenden Stoffen in allen möglichen Rot- und Orangetönen. Die Stoffe flattern zart im Wind. Es ist ein warm

Vom Kern

"Und was ist Ihre Diagnose?“ Die Frau guckt ein wenig irritiert. Vermutlich weil ihr sehr bewusst ist, dass sie mit ihrer dünnen, eng anliegenden Mütze aussieht wie eine Krebspatientin. "Brustkrebs.", antwortet sie nach kurzen Zögern und nimmt einen tiefen Zug von ihrer Zigarette. "Sie wollten mir die Brust abnehmen. Aber das habe ich abgelehnt. Meine Brust ist doch ein Teil von mir. Gehört zu mir. Ich will mich weiblich fühlen. Die große Chemorunde habe ich schon hinter mir. Jetzt werde ich bestrahlt." Sie zuckt mit den Achseln. "Mal schauen, was passiert. Was da noch kommt." Dann benutzt sie erstaunlicherweise die Worte, die mir auch so oft über die Lippen schlüpfen. "Am Ende kommt es ja eh so wie es kommen soll." Ich nicke. Für wenige Minuten versinken wir in einvernehmlichem Schweigen. Irgendwann schnippst sie ihren übriggebliebenenen Kippenstummel vor uns auf den Bürgersteig. Bereits im Gehen, bleibt sie doch noch einmal stehen

Von der Dankbarkeit

Harter Tag. Ich bin so müde, dass mir die Glieder schmerzen. Wer immer das hier liest - nimm dir doch einen Augenblick der Dankbarkeit. Sei dankbar dafür, ... Dass du dich an einem Ort deiner Wahl befindest und frei bist.  Dass deine Glieder sich nicht taub anfühlen und die Taubheit wandert. Von deinen Füßen über deinen Genitalbereich bis hin zur Brust, ohne dass ein Ende in Sicht ist.  Dass du keine Krankheit hast, die dir wie ein Überraschungsei voller Momente unberechenbare neurologische Ausfälle serviert. Dass du deine Lieben hast. Deine Freunde. Deine Haustiere. Deine Arbeit. Dein Haus oder deine Wohnung. Dein Bett.  Dass es Menschen gibt, denen du wichtig bist. Die dich lieben. Die dich aller Wahrscheinlichkeit nach auch im Krankenhaus besuchen würden, wenn du dort sein müsstest.

Vom Whisky und mir

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Jeden Morgen, während ich darauf warte, dass die Kaffeemaschine meinen Kaffee zaubert, fällt mein Blick auf das Regal über meinem Kopf. Täglich frage ich mich, welcher Whisky ich wohl wäre, wenn man versuchen würde, mich in drei Worten zu beschreiben. Ich habe da so eine Ahnung...

Von Schranken

Intuitiv spüre ich, dass dieser hübsche Typ hinter mir über den Parkplatz läuft. Das macht mich irgendwie nervös. Ich fühle mich wie ein vierzehnjähriges, pubertäres Mädel, weil ich mich darauf konzentrieren muss, einen Fuß vor den anderen zu setzen, obwohl ich gar nichts getrunken habe. Aber irgendwie legt dieser wildfremden Mann nicht nur meine Gehirnwindungen, sondern auch meine körperlichen Funktionen lahm. Zumindest fühle ich mich torkelig. Das Bedürfnis zu fliehen ist übermächtig. Vor mir fährt ein Auto vor die Schranke, die den Parkplatz begrenzt. Der Fahrer lässt sein Fenster hinab, schiebt seine Parkkarte in den Automaten und die Schranke öffnet sich. Ein Geistesblitz durchzuckt mich. Ohne zu überlegen nähere ich mich im Stechschritt der Schranke. Wenn ich unter der Schranke hindurchhusche, spare ich mir einen kleinen Umweg, bin schneller vom Parkplatz runter und dieser mehr als seltsame Gefühlssturm in mir legt sich hoffentlich wieder. Anders formuliert: Ich komme bestimmt w

Vom ersten Kuss

Draußen stürmt es. Aber wir liegen zusammen im Bett und gucken "Der König der Löwen". Ich kuschel mich in seine Halsbeuge hinein. Das ist einfach schön, weil wir einander so nahe sind. Ich spüre in diesem Moment, wie sehr ich das vermisse: Nähe. Zarte, ganz unsexuelle Berührungen voller Zuneigung. Jetzt wendete er sich mir zu. Mit den Fingerspitzen fahre ich sanft über seine dunkle Haut. Sein Kopf nähert sich mir. Unwillkürlich öffne ich meine Lippen. Und ja, wirklich, er küsst mich. So zart als wäre ich zerbrechlich. Sein Kuss gleicht einem Flügelschlag. Ich fühle mich geliebt. Das ist der beste erste Kuss, den ich jemals erlebt habe. Danke, Geordi La Forge. Himmel, ich sollte wirklich aufhören zum Einschlafen Star Trek zu gucken.

PS: Du wirst geliebt

Mein liebes, süßes Kind, ich wünsche dir alles Liebe zu deinem ersten Geburtstag. Leider durften wir uns nicht kennenlernen, weil dein kleines Herz viel zu früh aufgehört hat zu schlagen. Aber dennoch trage ich dich tief in meinem Herzen und werde es immer tun. Du hast in mir ein Zuhause und ich liebe dich. In allen Momenten meines Lebens. So gerne hätte ich dir das Leben geschenkt. Du kamst zwar überraschend, aber ich habe mich darauf gefreut, dich mit Liebe zu überschütten, dir unsere Welt zu zeigen, dich die vielen Wunder entdecken zu lassen, dich Vertrauen zu den Menschen zu lehren und zu einem guten Menschen zu erziehen. Ich wollte dich in meinem Leben. Mit absolut jeder Faser. Und du wärest mehr als nur willkommen gewesen. Ich habe mir so oft vorgestellt, wie wir miteinander kuscheln und ich dir mit leiser Stimme Märchen erzähle. Die Liebe zur Sprache wollte ich dir beibringen. Deine Fantasie fordern. Vor meinem inneren Auge habe ich uns im warmen Sommerregen durch die Pfüt

Von der Pause

Lass dich nicht unterkriegen, sei frech  und wild und wunderbar! (Astrid Lindgren: Pippi Langstrumpf)  Mir sind ein bisschen die Worte versiegt. Statt zu schreiben, lebe ich im Moment lieber. Und das tut mir ziemlich gut. Nach sieben Jahren des Bloggens habe ich dieses Jahr an Silvester zum ersten Mal keinen Jahresrückblick geschrieben. Obwohl es sich dieses Jahr vielleicht zum ersten Mal gelohnt hätte, weil sich mein Leben so sehr verändert hat. Trotzdem ist mir mehr danach, das Leben zu genießen, als es in Worte zu bannen. Mal schauen, ob sich das demnächst wieder ändert. Ich mag es nicht versprechen, denn ich will mich dem Blog nicht verpflichtet fühlen, sonst wird das mit dem Schreiben auf gar keinen Fall mehr etwas. Ich mache meistens nämlich nur die Dinge gerne, die ich freiwillig mache... Allen, die hier lesen oder gelesen haben, wünsche ich eine tolle Zeit. Vielen Dank für die vielen Kommentare, die Anregungen, die Kritik, den Trost. So ihr denn wollt, lesen wir uns h