Von der Realität
"Ich muss dir etwas sagen", sagt er, kurz nachdem er die Wohnung betreten hat, "Und ich weiß nicht so recht, wie du darauf reagieren wirst. Aber ich trage das jetzt schon zwei Wochen mit mir rum, weil ich es dir nicht am Telefon sagen wollte. Und jetzt muss es einfach raus."
Sein Tonfall jagt mir einen Schrecken ein. Wenn er ein Fremdgeher wäre, was er nicht ist - er lästert manchmal über Männer, die "ihren Schwanz nicht in der Hose lassen können" - , würde ich glauben, er beichtet mir jetzt, dass er mit Backpflaumen-Kathrin, seiner Arbeitskollegin, im Bett war, aber das kann ich eigentlich nicht glauben. Verunsichert sehe ich ihn an.
"Was denn?", frage ich.
Er antwortet mit einer Gegenfrage.
"Ich weiß, dass das ein unglaubliches Hin und Her wegen meines Jobs ist. Und dass das total nervig ist. Aber kannst du dir vielleicht auch vorstellen, hier zu bleiben?"
Ich atme tief durch. Seit Monaten steht der Plan, umzuziehen. In ein anderes Bundesland. Seit kurzem gibt es ein Jobangebot am anderen Ende der Welt, in Neuseeland, das Kopfzerbrechen bereitet. Und nun steht plötzlich zur Debatte, alles so zu lassen, wie es ist? Obwohl mein Arbeitgeber längst darüber informiert ist, dass ich ihn irgendwann in den kommenden Monaten verlassen werde? Für einen Augenblick schließe ich die Augen, um mich zu sammeln.
"Was hältst du davon?", frage ich dann sanft.
Er sieht mir direkt in die Augen.
"Das möchte ich von dir wissen.", sagt er.
Ich muss kichern.
"Du weißt nicht, was du davon halten sollst?", hake ich nach.
"Mir ist wichtig, was du davon hältst.", antwortet er und blickt mir fest in die Augen. "Ich weiß, dass ich dir mit diesem Hin und Her ziemlich viel zumute. Und ich hatte wirklich Angst, dir das zu sagen."
"Du solltest nie Angst davor haben, mir irgendetwas zu sagen.", erwidere ich leise.
Eine Antwort aber bleibe ich ihm vorerst schuldig. Ich muss darüber nachdenken, ob ich mir eine Zukunft vorstellen kann. Ob ich sie mir hier vorstellen kann. Denn eigentlich träume ich zurzeit viel von einer anderen Zukunft. Die etwas damit zu tun hat, fast alle Brücken hinter mir abzubrechen und einen komletten Neuanfang zu wagen. Aber da ich am Abend, durch die Blume hindurch, erfahre, dass ich realitätsfremd bin, weil ich zu viel träume, bin ich später am Tag eigentlich noch ratloser als zuvor. Und ziemlich traurig. Das ganze Träumen nützt wohl nichts. Wach auf, Muschelmädchen. Wach auf.
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das erlebe ich gerade. und es ist besonders.
AntwortenLöschenWas genau? Den Neuanfang?
Löschengenau. ein neuanfang. in der regel werden wir durch die angst blockiert. und man sucht sich dann ausreden. ich habe das all die jahre gemacht. was nicht heißt, dass ich jetzt keine angst mehr habe vor dem was wird. aber zumindest werde ich es ausprobieren.
AntwortenLöschenam ende bereuen wir nicht die fehler die wir gemacht haben, sondern die verpassten gelegenheiten.
Lieber nicht mit vergangenen Entscheidungen hadern - das führt zu nichts, denn sie sind unveränderlich.
LöschenAber ich freue mich sehr für Sie, dass Sie einen Neuanfang gewagt haben!