Von verhexten Beziehungen

In den letzten Minuten hab ich viele Sätze getippt, nur um sie anschließend wieder zu löschen. Ich kann fühlen, was ich schreiben will, aber es fällt mir schwer, es auf den Punkt zu formulieren: Es beschäftigt mich seit ein paar Tagen mal wieder intensiv, dass ich in den allermeisten meiner Beziehungen das Gefühl habe, nicht gesehen zu werden und nicht gut genug zu sein.  Da ist zum Beispiel die enge Freundin, die mir Tag und Nacht WhatsApp-Nachrichten schreibt, mich quasi in Echtzeit an ihrem Seelenleben teilhaben lässt, aber nicht einmal auf die Idee kommt, mich zu fragen, was los ist, obwohl ich klar formuliere, dass es mir nicht gut geht. Da ist der Mann, der in all den Jahren nicht auf die Idee gekommen ist, mich heiraten zu wollen. Vermutlich weil ich nicht gut genug bin. Was einerseits okay ist, weil ich nicht heiraten will, aber andererseits in stummer Beharrlichkeit das Gefühl in mir erzeugt hat, dafür wohl nicht gut genug zu sein. Ein Gefühl, das schmerzt. Da ist die Freundin

Vom Vermissen



(Mehr so...Tagebuchkram heute. Nicht lesenswert.)

„Ich lieb ein pulsierendes Leben
das prickelt und schwellet und quillt,
ein ewiges Senken und Heben,
ein Sehnen, das niemals sich stillt.

(Rainer Maria Rilke – Aus: Ich lieb ein pulsierendes Leben)

13.07.2017
Lieber P.,

ich versuche mir vorzustellen, wie das ist, nie wieder mit dir zusammen wirre Dinge auf Leinwände zu schmieren, Farbbomben zu werfen, Fernseher zu zweckentfremden. Denke daran, wie es war, mit dir gemeinsam erwachsen zu werden. Demonstrieren zu gehen. Uns gegenseitig Blumen ins Haar zu stecken, im Regen zu tanzen und bei Gewitter auf der Wiese zu sitzen. Gemütlich Rotwein zu trinken und lachend dem Regen die Nase zu zeigen. In Freibäder einzubrechen, im Morgengrauen Hirsche zu begrüßen oder zweihundert aneinandergebundene, leuchtende Teelichter in den See zu entlassen. 

Ich denke an deine Hände auf meinem Kopf, die immer so grobmotorisch waren. An deine Sorge um mich und deine liebevollen Augen. Daran, dass du lange Zeit ein Zuhause für mich warst. Wie ich dir im Winter einen Blumenstrauß aus zusammengeflochtenen Strohhalmen geschenkt habe, weil ich kein Geld für Blumen hatte. An dem Tag, an dem ich zu dir nach Hause getrampt bin, um dir einen einzelnen Luftballon an den Briefkasten zu binden. Für ein Lächeln. Oder daran, dass du mich die Liebe zum Kaffee gelehrt hast. 

Ich entsinne mich unserer nächtelangen Diskussionen. Mit Whisky. Und manchmal Zigarren. Denke an den gelben Strickpullover, den du anhattest, als ich dich kennengelernt habe. Daran, wie du das Gras mit dem Staubsauger bearbeitet hast, um die Wiese von den Scherben unserer Weinflaschen zu befreien. An die Tage im Kinderplanschbecken mit dem Selbstgebrannten. An die Gedichte, die du mir geschrieben hast. Und ich dir. Ich habe sie alle aufgehoben. In zahlreichen Ordnern säuberlich abgeheftet. Wir hatten so viele Pläne. Haben „Utopia“ von Thomas More umgeschrieben, von einer Luftballonfabrik und einem wilden, ungezügelten Leben geträumt. Wir haben gebrannt. Miteinander und für das Leben. Kannten die vielen Abgründe des jeweils anderen. Und mochten uns trotzdem.

Ich denke an die vielen kleinen Zettel, die wir uns geschrieben haben. An Hesses Stinkefinger. An guerilla gardening. An das Headbangen und die Nackenschmerzen am nächsten Morgen. An unser Lied. Daran wie du nach einem langen Wochenende, im Auto sitzend, den Sekt ausgetrunken hast und über mich lächeln musstest, weil ich nicht aufhören konnte zu weinen. Vor Freude über das schöne und viel zu kurze Wochenende. Mit dir zusammen habe ich mich frei gefühlt. Ich frage mich, wie viele Kilometer du während unserer Freundschaft wohl zu Fuß zurückgelegt hast, um mich zu sehen. Sehe vor mir, wie wir die nackte Frau auf der Leinwand mit den buntesten Farben übermalt haben. Wie du dich, natürlich voll bekleidet, lachend in den Springbrunnen gelegt hast. Wie ich dich versucht habe zu zeichnen. Und immer wieder darüber verzweifelt bin, dass ich es einfach nie hinbekommen habe. Ich vermisse unsere politischen Gespräche. Unsere Problemanalysen. Unsere grenzenlose Loyalität und Ehrlichkeit zu einander. Dein schiefes Grinsen, das du aufgesetzt hast, wenn du mal wieder eine deiner verrückten Ideen hattest, wie etwa den Ast mit der Post zu verschicken, damit der alte Baum in der Fußgängerzone nicht mehr so einsam sein muss. 

Ich erinnere mich an den ersten Satz, den du jemals zu mir gesagt hast. An die Provokation, die Nähe, das Vertrauen, die Angst. Daran, dass uns nie jemand verstanden hat. Und daran, dass du so ein komischer Mensch warst. Einer, der seinen Geburtstag nicht toll findet. Der irgendwie einen liebenswerten Spleen hat. Und eine bewegte Vergangenheit. Ich denke daran, wie wir durch den Schnee gerannt sind. Barfuß. Wild schreiend. Daran, wie wir die Fahne von dem Fahnenmast der Parteizentrale geklaut haben. Am helllichten Tag. Wie wir zwischen lauter kleinen Menschen rodeln waren. Das Leben genossen haben. Daran, dass wir anders sein wollten. Mehr wollten. An Möglichkeiten und an Leben, voneinander und einfach überhaupt. Wir haben es nie geschafft, miteinander Silvester zu feiern. Dafür haben wir jeden anderen Tag all dieser Jahre genutzt, an denen wir einander sehen konnten. Um Mensch zu sein. Und Kind. Und ernsthaft und traurig und wütend und fröhlich und aufgeregt und albern und kindisch zu sein. Alle Farben des Lebens genießend. Wir waren unbesiegbar. Du warst – und bist – einmalig.

Und dennoch, mein lieber Freund, verändern sich Menschen. Sie werden erwachsen und lernen dazu. Auch bei uns beiden hat sich vieles geändert. Unser Alltag, unsere Lebenseinstellung, unsere Haltung zu uns selbst und nicht zuletzt unsere politische Meinung. Weißt du, ich kann mich sehr gut an unser allerletztes Telefonat erinnern. Du hast dich mir anvertraut, hast mir erzählt, dass du dir das Leben nehmen willst. Und ich saß auf dem kalten Fliesenboden meiner Küche, hunderte von Kilometern von dir entfernt, handlungsunfähig und hilflos. Weinend. Mein Opa war gerade verstorben, mein Vater nach schwerer Krankheit in der Reha, ich inmitten eines eigenen Ärztemarathons und kurz vor Fristabgabe der Masterarbeit. Egal, was ich in diesem Telefonat anführte – Trost, Wut, Zuversicht – du hast ausnahmslos alles abgebügelt. Sogar meine Drohung deine Mutter und die Polizei anzurufen. Nach diesem Telefonat konnte ich einfach nicht mehr. Hatte keinerlei Kraft mehr über. Also bin ich untergetaucht. Von einen Tag auf den anderen. Wie der hinterletzte Arsch habe ich dich sitzenlassen. Ohne es vorher anzukündigen oder auch nur eine Andeutung fallenzulassen.

Aber ich habe dich nicht verlassen, weil du im vollen Bewusstsein meine größte Schwäche gegen mich verwendet und mich in deine Selbstmordpläne involviert hast. Du wusstest, wie sehr ich unter dem Selbstmordversuch von Ephraim gelitten und mich über Jahre schuldig gefühlt habe. Es spielt nicht einmal eine Rolle, dass du mein Vertrauen missbraucht und versucht hast, mich zu manipulieren. All das ist in Ordnung, ich lebe ja noch.
Gegangen bin ich, um dich aufzuwecken.
Mir ist bewusst, dass ich dir mit meinem Abwenden das letzte genommen habe, was dir etwas bedeutet hat: Mich selbst. In der Hoffnung, dass du dadurch wieder auf die Füße kommst und dein Leben in die Hand nimmst. Nur du konntest dafür sorgen, dass es dir besser geht. Und ich habe mir so sehr gewünscht, dass du es lernst, dafür Sorge zu tragen. Dass du damit beginnst, auf dich aufzupassen und für dein eigenes Glück die Verantwortung zu übernehmen. Du weißt es nicht, weil ich es dir nie gesagt habe, aber ich habe dich nie so alleine gelassen, wie du glaubst. Ich habe immer aus der Ferne auf dich geachtet, wusste immer, wo du steckst und war stets bereit, dir doch eine Hand zu reichen, wenn es nötig gewesen wäre. 

Das letzte Mal hast du mich im November angerufen. Wie auch die unzähligen Male davor, bin ich nicht ans Telefon gegangen. Deine SMS habe ich aber erhalten. Ich kann deine Wut auf mich verstehen. Trotzdem finde ich keinen Weg mehr zu dir zurück. Um mich dir zuzuwenden, müsste ich dir verzeihen und bereit sein, dir wieder zu vertrauen. Aber ich glaube nicht, dass ich das kann. Ich habe all mein Vertrauen in dich an einem einzigen Tag verloren. An dem Tag, an dem du das Wort „Selbstmord“ ausgesprochen hast und bereit warst, mich hier mit einem Haufen Scherben allein zurückzulassen.
Bitte glaub nicht, dass ich dir böse bin, wegen all dieser Dinge, die geschehen sind. Das bin ich nicht. Ich bin, im Gegenteil, dankbar dafür, dass ich dich kennenlernen durfte. Wenn ich an dich denke, ist mein Kopf voll mit wunderbar bunten, rebellischen, verrückten, aber vor allem intensiven Erinnerungen, von denen ich keine einzige missen möchte. Ich hoffe, dass du weißt, dass ich dich noch immer vermisse. Und vermutlich immer vermissen werde. Aber die Gefahr, dass ich dich ein zweites Mal verlieren könnte, ist mir einfach zu groß. Dieses Risiko kann ich nicht eingehen. Bitte hab Nachsicht mit mir.
Ich bin froh, dass du am Leben bist. Das ist, was für mich wirklich von Bedeutung ist.
Und ich wünsche dir, von ganzem Herzen, dass du glücklich bist. 


Dein Muschelmädchen

Kommentare

  1. Durchaus lesenswert, weil es großherzig ist und warm. Und weil es so ein Moment ist, wo man den Arm um jemand legt, die Klappe hält und auf das Meer schaut.

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    1. Ich habe diesen Kommentar schon heute Morgen gelesen und er hat sich genau richtig angefühlt. Dankeschön, liebe Miss Whimsy.

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  2. mal abgesehen von dieser unglaublichen schreibe, die mich in den bann zieht, eine sehr intensive erinnerung an die vergangenheit. menschen treten ins leben und dann gehen sie auch wieder...die wenigsten bleiben. so ist das leben.

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    1. @Würfelzucker: Wahre Worte. Ich denke mir oft, dass die meisten Menschen aus einem bestimmten Grund in mein Leben treten (vielleicht kann und will ich da aber auch nur nicht an Zufall glauben). Dann reisen wir ein paar Stationen gemeinsam... und irgendwann steigt meist einer von uns aus dem Zug...

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    2. Dankeschön!
      Obwohl sich das Blatt heute völlig unvorhersehbar gewendet hat, mag ich das einfach so stehen lassen. Menschen kommen und gehen, so ist das Leben. Das ist wahr. Aber manche Menschen verdienen es vielleicht auch, dass man sie festhält. Auch wenn sie Fehler machen.

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  3. naja...in meinem leben haben sich zwei menschen aus der vergangenheit wiedergefunden...einer scheint jetzt zu gehen...und die anderen zwei sind geblieben...egal....wie auch immer...es hat sicher seinen grund....

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    1. Ja, es hat sicher seinen Grund. Aber man weiß auch nie, ob jemand für lange geht. Aber egal, ob er es tut oder nicht, ich glaube, man sollte die schönen Erinnerungen festhalten.

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