Posts

Von der Ungewissheit

Tatsächlich zerbreche ich mir vorher den Kopf, nur um anschließend herauszufinden, dass sich alles, was zwischen uns passiert, ganz natürlich anfühlt und wie von selbst geschieht. Ich bin einfach nur zu ungeduldig. "Speichere dir mal meine Telefonnummer ab.", bitte ich dich, als ich dich eines Tages von meiner privaten Handynummer aus anrufe. Das ist etwa zwei Wochen bevor ich mich endgültig von dir verabschiede und dir den unscheinbaren weißen Umschlag überreiche. Du reagierst, gefangen in einem wütenden Monolog über Verwaltungskram, erstmal gar nicht auf meine Worte, sondern referierst in aller Seelenruhe zu Ende und ausschweifend um noch einige andere Ecken herum. Ich lausche deinen Ausführungen, genieße sie, wohlwissend, dass ich vermutlich gerade das letzte Mal in diesen Genuss komme. Als wir kurz davor sind unser Telefonat zu beenden und ich mir längst sicher bin, dass meine Aufforderung entweder vollkommen an dir vorbeigegangen ist oder du sie lieber ignorieren willst,

Vom Ende

Ich versuche die Kollegin, die neben uns steht und mich mustert, bestmöglich zu ignorieren. Stattdessen krame ich in der viel zu großen Tasche, die über meiner Schulter hängt, und fische nach dem unscheinbaren, weißen Briefumschlag, den ich Zuhause vorbereitet habe. "Warte noch.", bitte ich dich und verliere mich dabei fast in deinen himmelblauen Augen. "Was...?", fragst du verwundert und deine Augen weiten sich, als ich dir schließlich den Umschlag in die Hände drücke. In deinem Gesicht spiegelt sich ehrliche Überraschung. "Für später.", erkläre ich, "Oder für einen schlechten Tag irgendwann. Wie du willst." Unvermittelt trittst du auf mich zu, öffnest deine Arme und schließt sie um mich. Meine Fingerspitzen treffen dein Rückgrat, fahren behutsam deinen Rücken hinab, während du mich sanft an dich ziehst und wir für einen kurzen Moment Wange an Wange verharren. Die Umarmung ist perfekt. Sachte wie ein Flügelschlag. Und ebenso flüchtig. Dennoch pa

Vom Flächenbrand

Ist es ein Zufall oder spürst du langsam, dass der Abschied naht? Und kann es sein, dass dich das auch beschäftigt? Oder wie kommt es sonst zustande, dass du mir plötzlich auch dann noch auf E-Mails antwortest, wenn wir bereits alles geklärt haben? Versteh das nicht falsch, H., ich mag das total. Und ich wünsche mir für die kommende Woche sehr, dass du das beibehältst und wir das vertiefen können. Wenn das der Fall sein sollte, festigt das nämlich zweifellos meinen Entschluss, dich nicht gehen zu lassen, sondern in mein neues Leben mitzunehmen. Gib mir das Gefühl, dass auch du das willst. Dann werde ich keine Sekunde zögern, deutlich auf dich zuzugehen und dich festzuhalten. Samstagmorgen denke ich im Halbschlaf an dich und gleite sanft in einen Traum hinüber, der unschuldiger kaum sein könnte. Eine belanglose, betriebliche Feier sorgt dafür, dass unsere Wege sich kreuzen. Wir kleben aneinander wie Kaugummi und ich genieße die Nähe zu dir, die zufälligen kleinen Berührungen, die viel z

Vom nahenden Abschied

Lieber H., ich habe mittlerweile unzählige Briefe an dich in meinem Entwürfe-Ordner. Briefe, die ich mich nicht traue zu veröffentlichen, weil es fast schon peinlich ist, wie sehr ich dich mag. Nach jedem längeren Telefonat, jedem Treffen von uns, brauche ich Minimum drei Tage, um dich wieder zu vergessen. Meistens länger. Ich bin so verflucht neugierig auf dich, dass ich mich in unseren Mails und Telefonaten manchmal als regelrecht aufdringlich empfinde. Und trotzdem kann ich es nicht sein lassen, dir immer wieder zu signalisieren, dass ich dich großartig finde. Ich wüsste so gerne mehr von dir und wenn ich dich schon nicht als Mann an meiner Seite haben kann, weil das nunmal nicht geht, hätte ich dich wenigstens gerne als Freund in meinem Leben. Denn egal, in welcher Rolle du meinen Weg kreuzt: Ich empfinde dich zweifellos als riesige Bereicherung für mich und mein Leben. Und du machst süchtig. Besonders in diesen viel zu seltenen Momenten zwischen uns, in denen du leiser wirst und m

Von wilden Träumen

Ich habe - gefühlt - die komplette Nacht von Sex geträumt. Von wildem, ungehemmtem, hartem, rohen Sex. Von Fingern und einem Schwanz in mir, von Ohrfeigen, von Schlägen auf meinen Hintern, von einer zarten Zunge zwischen meinen Schamlippen. Von Demütigung und genommen werden, von loslassen und genießen und einfach triebgesteuertem Sein. Und das gemeinste war: Ich war so verdammt oft davor zu kommen! Nur um dann jedes einzelne Mal aufzuwachen und doch wieder in den gleichen Traum zurückzugleiten. Nun pulsiert mein ganzer Körper, sehnt sich nach Berührung und fühlt sich hingehalten. Und ich bin mir nicht sicher, ob ich es genießen kann oder mich gequält fühle. Ich brauche jemanden, der mitspielt.

Von deinem Ebenbild

Gestern war ich mit Kollegen etwas essen, in einem kleinen Restaurant unter der Erde. Ein sehr düsteres, aber gemütliches Ambiente. Und da sah ich ihn: Einen Mann, der aussieht wie du. Dein absolutes Ebenbild. Ich war so irritiert davon, dass ich ihn unverblümt musterte und nicht in der Lage dazu war, wieder wegzusehen. Ich war kaum dazu fähig, mich an den Gesprächen um mich herum zu beteiligen. Stattdessen verlor ich mich erst in Gedanken, dann in seinem immer wiederkehrenden Blick und später in ausschweifenden Fantasien. Hast du dich jemals gefragt, wie unser Leben verlaufen wäre, wenn du mich damals vor elf Jahren nicht aus deinem Hotelzimmer geworfen hättest?  Ich frage mich das manchmal. Ich meine, es hätte ja auch noch diverse andere Möglichkeiten gegeben, mein Verhalten zu sanktionieren als mich wegzustoßen. Und damit meine ich nicht nur, aber durchaus auch sexuelle Reaktionen. Als ich später aufstehe, um das Restaurant zu verlassen, spüre ich die Augen deines Ebenbildes über me

Von Tagebuchsachen

Vor ein oder zwei Wochen habe ich einen Tweet gelesen, in dem jemand schrieb, dass er keine Kraft mehr habe und am liebsten alles beenden würde. Seitdem lässt mich der Gedanke daran nicht mehr los. Ich laufe an den Schienen vorbei und frage mich, wie es ist, vom Zug überrollt zu werden. Oder ich fahre Auto und stelle mir vor, das Steuer einfach loszulassen und gegen die nächste Wand zu fahren. Alles in mir ist so müde und erschöpft. Und auch wenn ich mich phasenweise besser fühle, habe ich doch das Gefühl, dass genau diese Phasen immer kürzer und die Tiefs, die darauf folgen, nur tiefer und länger werden. Am Ende des Horizontes ist kein Licht mehr zu sehen, nicht einmal mehr zu erahnen, und das raubt mir jegliche Energie. Und wenn sich alle Probleme in Luft auflösen würden, so blieben am Ende noch Krieg, Klimakatastrophe, Energiekrise, Corona, Inflation und das Gefühl, nachhaltig aus dem Gleichgewicht geraten zu sein, ohne dagegen wirklich etwas tun zu können. Natürlich sind all das nu