Von der anderen Liebe

"Es geht nicht um mich.", sagt er, "Es geht um dich. Es geht immer nur um dich." Seine Arme legen sich um mich, fangen mich auf, er vergräbt flüsternd die Nase in meinem Haar. "Es geht um dich. Es geht um dich. Es geht um dich.", flüstert er und jedes einzelne Wort fühlt sich an, als würde es tief in mich hineinfallen und mich von innen auftauen. Ich glaube, es ging noch nie in meinem Leben um mich. Natürlich tut es das auch jetzt nicht. (Weil es um ihn geht. Ist doch klar.) Aber es tut mir so gut, dass da jemand ist, der mich sieht. Der ohne eine einzige Forderung zu stellen, da ist, mich lieb hat und annimmt, ohne mich ändern zu wollen. Der einfach dankbar nimmt, was ich zu geben habe, ohne mir im Anschluss den Arm auszureißen und mich zu mehr zu drängen als ich geben will. Jemand, der so ein großes Herz hat, so warmherzig, gütig und voller Liebe ist. Ja, vielleicht ist das alles nur eine Momentaufnahme. Vielleicht wird morgen schon alles ganz anders sei

Vom unzureichenden Trost

Als der I.slamische S.taat vor seinen Augen erst seine Frau und dann seine drei Kinder erschießt, hält ihn schließlich nichts mehr in Syrien. Alleine macht er sich auf den Weg nach Deutschland. Schließt sich anderen, die er unterwegs kennenlernt, an, haust in menschenunwürdigen Unterkünften und hungert. Über Monate. Während er mir seine Lebensgeschichte erzählt, kämpft er damit, die Fassung zu bewahren. In seinem Heimatland hat er als Anwalt für Internationales Recht gearbeitet. Bei mir nimmt er eine Stelle in der Produktion an, die nur ein wenig höher vergütet ist, als es der derzeitige Mindestlohn vorgibt. Dankbar ist er trotzdem. Für die Möglichkeit, einen Alltag kennenzulernen, seine deutschen Sprachkenntnisse zu verbessern und sich finanzielle Unabhängigkeit erarbeiten zu können. Das beteuert er wieder und wieder.

Heute musste ich ihn im Krankenhaus besuchen. Am vergangenen Nachmittag ist er auf offener Straße zusammengeschlagen worden. Von einer Horde Männer, die ihm vollkommen unbekannt sind. Mit stockenden Worten erzählt er mir, wie sie ihn angesprochen, beschimpft und bespuckt haben, um schließlich auf ihn loszugehen. Während er mir erzählt, was er in den letzten 24 Stunden erlebt hat, und ich ihm dabei helfe, die unzähligen Dokumente, die ihm das Krankenhaus vorgelegt hat, auszufüllen, mustere ich ihn. Sein hübsches Gesicht ist kaum wiederzuerkennen. Die Nase ist gebrochen, die Augen sind so angeschwollen, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass er überhaupt etwas sehen kann und alles an ihm schimmert grün, blau und gelb. Seinen Arm ziert ein weißer Gips. Laut des behandelnden Arztes darf er sich auf einen längeren Aufenthalt im Krankenhaus einrichten.

Ich habe ihm einen Korb voller Obst, Säfte, Kekse, Schokolade und Bonbons mitgebracht. Als ich diesen auf seinen Nachtisch stelle, versucht er zu lächeln. Wie schmerzhaft das sein muss, kann ich erahnen, denn er zuckt unmittelbar darauf zusammen und unterdrückt ein schmerzhaftes Stöhnen. Und ich fühle mich so unwahrscheinlich albern mit diesem Korb an Essen, der so gar nichts an der Situation meines Mitarbeiters ändert. Auch die Worte, die ich suche, um ihm Trost zuzusprechen und Beistand zu signalisieren sind vollkommen unzureichend. Sie sind nicht genug. Lächerlich. Erst später, als dieser Besuch in mir nachwirkt, kann ich greifen, warum ich so empfinde: Dieser Mensch hat genug Gewalt in seinem Leben erfahren. Ich fühle mich schuldig für das, was ihm an Unrecht und Unmenschlichkeit in Deutschland widerfährt. Brennende Scham kitzelt sich durch meinen Körper hindurch. Dicht gefolgt von blinder Wut.

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