Von verhexten Beziehungen

In den letzten Minuten hab ich viele Sätze getippt, nur um sie anschließend wieder zu löschen. Ich kann fühlen, was ich schreiben will, aber es fällt mir schwer, es auf den Punkt zu formulieren: Es beschäftigt mich seit ein paar Tagen mal wieder intensiv, dass ich in den allermeisten meiner Beziehungen das Gefühl habe, nicht gesehen zu werden und nicht gut genug zu sein.  Da ist zum Beispiel die enge Freundin, die mir Tag und Nacht WhatsApp-Nachrichten schreibt, mich quasi in Echtzeit an ihrem Seelenleben teilhaben lässt, aber nicht einmal auf die Idee kommt, mich zu fragen, was los ist, obwohl ich klar formuliere, dass es mir nicht gut geht. Da ist der Mann, der in all den Jahren nicht auf die Idee gekommen ist, mich heiraten zu wollen. Vermutlich weil ich nicht gut genug bin. Was einerseits okay ist, weil ich nicht heiraten will, aber andererseits in stummer Beharrlichkeit das Gefühl in mir erzeugt hat, dafür wohl nicht gut genug zu sein. Ein Gefühl, das schmerzt. Da ist die Freundin

Vom Zauber der Nacht

"Was kann mir schon geschehn? Glaub mir,
ich liebe das Leben - das Karussell wird sich weiterdrehen..."

(Vicky Leandros: Ich liebe das Leben)

Bereits als wir in Hamburg ankommen, haben wir zwei Flaschen Sekt intus - wobei ich zu diesem Zeitpunkt vermutlich mindestens eine Flasche alleine getrunken habe, um zu kompensieren, dass ich zwei Stunden lang ein und denselben Schlager in Endlosschleife hören muss. Dafür bin ich um eine Kondompackung, die mir zehn Quickies erlaubt, reicher und mittlerweile ziemlich entspannt. Denn was auf den Schl.agermove passiert, bleibt bekanntlich auf dem Schl.agermove. Und mir ist so oft versichert worden, dass ich einfach tun und lassen soll, was ich will, dass meine Risikobereitschaft in den letzten zwei Stunden mit Sicherheit gestiegen ist. Mag auch sein, dass da Dr. Soul, Berater in jeder Lebenssituation, eine Rolle spielt, der vorher noch empfiehlt, locker zu sein und einfach rumzuknutschen.

Im Grunde genommen ist der Schl.agermove ein Fest für die Augen. Das Publikum ist wunderbar bunt, die Kostüme zauberhaft und die Stimmung phantastisch. Der kalte Wodka perlt und wenn ich mir nicht gerade die Füße wund tanze, lasse ich mich von Gespräch zu Gespräch treiben. Ich lerne Berliner, Münsteraner, Hannoveraner, Schwaben, Bayern und Leute aus Fehmarn kennen. Als ich das fünfzehnte Mal erklären muss, dass meine Brüste nicht aus Silikon sind und dem dritten Typen, der wortlos seine Hände auf meine Brüste legt, auf die Finger hauen muss, bin ich zwischendrin mal etwas genervt. Aber dagegen kontere ich mit nochmehr Alkohol, lasse mich auf einen Schnapper einladen, esse Penis-TicTacs und schüttle schließlich einen kleinen, aber hübschen Mann, der mir an den Hacken (bzw.: auf Brusthöhe) hängt, wieder ab. Gerade rechtzeitig, denn ich muss einem Metaler, den ich in der Toiletten-Schlange kennenlerne, einen Heiratsantrag machen. "Du gefällst mir!", ruft er strahlend, bevor wir uns in der Menge verlieren. Ich winke und schließe mich einer Männergruppe an, mit denen ich mich über meine Unterwäsche unterhalte und über Personaler lästere. Nach einer Stunde werde ich von den Damen, die mich begleiten, von meinem Gesprächspartner weg- und wieder auf die Tanzfläche gezogen. Nicht jedoch, ohne dass ich ihm noch mitteile, wie hübsch er ist und ihn damit wunderbar verlegen mache. Das wiederum ist erstaunlich, denn er gehört der Sorte Mann an, die sich sicher vor den Frauen nicht retten können. Anders formuliert: Mir ist er viel zu schön.

Auf der Tanzfläche fliegt mir der eine oder andere Kuss zu, aber ich sehe weder Frauen noch Männer, bei denen es mich durch und durch reizen würde, näheren Kontakt zu suchen. Ich frage mich, ob zeitgleich an einem anderen Ort in Deutschland ein geheimes Treffen der ü-1.90m-Männer stattfindet. Die Männer, die hier tanzen, sind alle so klein, wenn ich hohe Schuhe trage. Irgendwann, ein paar Stunden nach Mitternacht, schlägt der Pegel im Publikum von angetüdelt zu volltrunken um. Die Menge feiert ausgelassen und singt jeden noch so merkwürdigen Schlager lauthals mit. "Du hast so wunderbar wasserstoffblondes Haar...", säuselt mir jemand einigermaßen lallend, aber dafür absolut entzückt ins Ohr. Ich muss herzlich lachen. Während vorne, auf der Bühne, ein Mann seiner Angebeteten einen Heiratsantrag macht, entdecke ich dabei in der Menschenmasse tatsächlich einen Mann, der mich interessiert. Immer mal wieder treffen sich unsere Blicke. Auch er ist nicht besonders riesig, vielleicht nur einen Kopf größer als ich. Aber seine dunklen Augen ziehen mich an. Ich mag seinen klaren, festen Blick. Außerdem lächeln seine Augen mit, wenn er mich ansieht. Ich bin ein wenig verliebt in dieses Lächeln, das, besonders in dieser Umgebung, angenehm zurückhaltend wirkt. Irgendwann tanzt mich einer seiner Freunde an, erzählt mir, dass sie alle Holländer sind. Ich habe keine Ahnung, wie viel Zeit vergeht. Aber die Blicke werden suchender, das Lächeln offensiver, die Stimmung ungehemmter. Und meine Gedanken schmutziger. Während ich den Holländer gedanklich bereits vernasche, warte ich auf irgendeine Annäherung seinerseits. Doch es geschieht... gar nichts. Bis die Mädels, die mich begleiten, schließlich gehen wollen.
Und weil die Nacht sich so zauberhaft anfühlt, wir so jung sind und ich zu Kurzschlussreaktionen neige, drehe ich mich im Gehen noch einmal um. Ein letztes Mal fange ich den Blick meines hübschen Holländers auf. Dieses Mal aber halte ich ihn, während ich auf ihn zugehe. Als ich meine Hand an seine Wange lege, will er den Kopf überrascht zur Seite drehen, in der Annahme ich wolle ihm etwas sagen. Will ich aber nicht. Stattdessen schließe ich die Augen und küsse einfach, für ein paar lange, doch gleichermaßen viel zu kurze Momente, seine warmen, weichen Lippen. Bevor ich mich auf dem Absatz umdrehe und gehe. Dieses Mal ohne zurückzusehen.

Den Weg nach Hause lege ich barfuß zurück.
Meine Ohren rauschen von der lauten Musik, die Füße brennen von den hohen Absätzen und mein Herz schlägt im Takt des letzten Schlagers. Ich mag nicht einen Schritt mehr gehen. Aber ich bin glücklich. Mein Gesicht glüht und ich schmunzle in das Dunkel der Nacht hinein.
Weil es manchmal so leicht ist, ein bisschen mutiger zu sein.


Kommentare

  1. Klingt nach einem gelungenen Ausflug.

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  2. Menschen aus den Niederlanden sind statistisch gesehen sowieso eine gute Wahl - die Männer sind die Größten in ganz Europa und die Frauen bauen an ihrem Ruf, ziemlich ...locker zu sein.^^
    Und die vielen Blonden...

    Und Dr. Schwein hat recht - das klingt einfach nach einem sau(oh)geilen Abend 😃.

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    1. Das war es in der Tat. Ich schätze, ich habe deinen guten Rat befolgt...
      Danke dafür. :-)

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