Von verhexten Beziehungen

In den letzten Minuten hab ich viele Sätze getippt, nur um sie anschließend wieder zu löschen. Ich kann fühlen, was ich schreiben will, aber es fällt mir schwer, es auf den Punkt zu formulieren: Es beschäftigt mich seit ein paar Tagen mal wieder intensiv, dass ich in den allermeisten meiner Beziehungen das Gefühl habe, nicht gesehen zu werden und nicht gut genug zu sein.  Da ist zum Beispiel die enge Freundin, die mir Tag und Nacht WhatsApp-Nachrichten schreibt, mich quasi in Echtzeit an ihrem Seelenleben teilhaben lässt, aber nicht einmal auf die Idee kommt, mich zu fragen, was los ist, obwohl ich klar formuliere, dass es mir nicht gut geht. Da ist der Mann, der in all den Jahren nicht auf die Idee gekommen ist, mich heiraten zu wollen. Vermutlich weil ich nicht gut genug bin. Was einerseits okay ist, weil ich nicht heiraten will, aber andererseits in stummer Beharrlichkeit das Gefühl in mir erzeugt hat, dafür wohl nicht gut genug zu sein. Ein Gefühl, das schmerzt. Da ist die Freundin

Vom unzureichenden Trost

Als der I.slamische S.taat vor seinen Augen erst seine Frau und dann seine drei Kinder erschießt, hält ihn schließlich nichts mehr in Syrien. Alleine macht er sich auf den Weg nach Deutschland. Schließt sich anderen, die er unterwegs kennenlernt, an, haust in menschenunwürdigen Unterkünften und hungert. Über Monate. Während er mir seine Lebensgeschichte erzählt, kämpft er damit, die Fassung zu bewahren. In seinem Heimatland hat er als Anwalt für Internationales Recht gearbeitet. Bei mir nimmt er eine Stelle in der Produktion an, die nur ein wenig höher vergütet ist, als es der derzeitige Mindestlohn vorgibt. Dankbar ist er trotzdem. Für die Möglichkeit, einen Alltag kennenzulernen, seine deutschen Sprachkenntnisse zu verbessern und sich finanzielle Unabhängigkeit erarbeiten zu können. Das beteuert er wieder und wieder.

Heute musste ich ihn im Krankenhaus besuchen. Am vergangenen Nachmittag ist er auf offener Straße zusammengeschlagen worden. Von einer Horde Männer, die ihm vollkommen unbekannt sind. Mit stockenden Worten erzählt er mir, wie sie ihn angesprochen, beschimpft und bespuckt haben, um schließlich auf ihn loszugehen. Während er mir erzählt, was er in den letzten 24 Stunden erlebt hat, und ich ihm dabei helfe, die unzähligen Dokumente, die ihm das Krankenhaus vorgelegt hat, auszufüllen, mustere ich ihn. Sein hübsches Gesicht ist kaum wiederzuerkennen. Die Nase ist gebrochen, die Augen sind so angeschwollen, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass er überhaupt etwas sehen kann und alles an ihm schimmert grün, blau und gelb. Seinen Arm ziert ein weißer Gips. Laut des behandelnden Arztes darf er sich auf einen längeren Aufenthalt im Krankenhaus einrichten.

Ich habe ihm einen Korb voller Obst, Säfte, Kekse, Schokolade und Bonbons mitgebracht. Als ich diesen auf seinen Nachtisch stelle, versucht er zu lächeln. Wie schmerzhaft das sein muss, kann ich erahnen, denn er zuckt unmittelbar darauf zusammen und unterdrückt ein schmerzhaftes Stöhnen. Und ich fühle mich so unwahrscheinlich albern mit diesem Korb an Essen, der so gar nichts an der Situation meines Mitarbeiters ändert. Auch die Worte, die ich suche, um ihm Trost zuzusprechen und Beistand zu signalisieren sind vollkommen unzureichend. Sie sind nicht genug. Lächerlich. Erst später, als dieser Besuch in mir nachwirkt, kann ich greifen, warum ich so empfinde: Dieser Mensch hat genug Gewalt in seinem Leben erfahren. Ich fühle mich schuldig für das, was ihm an Unrecht und Unmenschlichkeit in Deutschland widerfährt. Brennende Scham kitzelt sich durch meinen Körper hindurch. Dicht gefolgt von blinder Wut.

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