Von verhexten Beziehungen

In den letzten Minuten hab ich viele Sätze getippt, nur um sie anschließend wieder zu löschen. Ich kann fühlen, was ich schreiben will, aber es fällt mir schwer, es auf den Punkt zu formulieren: Es beschäftigt mich seit ein paar Tagen mal wieder intensiv, dass ich in den allermeisten meiner Beziehungen das Gefühl habe, nicht gesehen zu werden und nicht gut genug zu sein.  Da ist zum Beispiel die enge Freundin, die mir Tag und Nacht WhatsApp-Nachrichten schreibt, mich quasi in Echtzeit an ihrem Seelenleben teilhaben lässt, aber nicht einmal auf die Idee kommt, mich zu fragen, was los ist, obwohl ich klar formuliere, dass es mir nicht gut geht. Da ist der Mann, der in all den Jahren nicht auf die Idee gekommen ist, mich heiraten zu wollen. Vermutlich weil ich nicht gut genug bin. Was einerseits okay ist, weil ich nicht heiraten will, aber andererseits in stummer Beharrlichkeit das Gefühl in mir erzeugt hat, dafür wohl nicht gut genug zu sein. Ein Gefühl, das schmerzt. Da ist die Freundin

Vom Leben gelernt

Irgendwann, kurz nachdem ich anfing zu bloggen, nämlich am 12.09.2012, schlich sich eine kleine Tradition ein:

Jedes Jahr schreibe ich an dem Tag vor meinem Geburtstag einen Post darüber, was ich im vergangem Jahr vom Leben gelernt habe. Ich muss zugeben, dass mir das dieses Jahr relativ schwerfällt, denn die letzten 365 Tage waren nicht durchgängig leicht. Ganz im Gegenteil. Sie waren schwer, geprägt von Todesfällen, Krankheit und emotionalen Achterbahnfahrten. Um ehrlich zu sein, bin ich im Moment ziemlich angeschlagen.
So kommt es, dass ich heute beim Mittagessen sitze und mich eine liebe Kollegin fragt, ob es mir gut geht.
"Du siehst nach Weltuntergangstimmung aus.", sagt sie.
"Mmh...", gebe ich undefiniert von mir. Ich habe nicht so wirklich Lust mich seelisch zu entblättern. Deshalb entziehe ich mich mit einer simplen, ziemlich trockenen Erwiderung.
"Winterdepression.", antworte ich kurz. Und schiebe dann nach:
"Ich überlege mir gerade, von welcher Brücke ich denn springen soll."
Sie sieht mich völlig entgeistert an. Fragt dann aber eine Frage, mit der ich nicht so wirklich gerechnet habe.
"Warum denn eine Brücke?", fragt sie perplex und sieht mich mit ihren großen, wasserblauen Augen an.
"Na, soll ich vom Balkon springen?!", frage ich empört, "Da breche ich mir doch bestimmt nur den großen Zeh, so tollpatschig wie ich bin."
Sie lacht.
Ich lächle leise mit.
Aber eigentlich ist mir nicht wirklich nach Lächeln zumute.
Ich würde mich viel lieber verkriechen.


Vom Leben gelernt:
  • Wenn Träume platzen, braucht man neue.
  • Ich habe mich lange gegen die Behauptung, dass es mit wachsendem Alter schwieriger wird, Menschen zu vertrauen, gewehrt. Die Wahrheit ist jedoch: das stimmt. Aber mir gefällt das nicht. In meinem neuen Lebensjahr würde ich gerne wieder ein wenig blauäugiger werden.
  • So alt kann ich gar nicht sein. Ich putze meine Schuhe immer noch nicht, trage noch immer verschiedenfarbige Socken, bin gerne politisch inkorrekt und stelle mich manchmal, wenn es regnet, nackt auf den Balkon, um die Wassertropfen auf der Haut zu fühlen - oder: um zu spüren, dass ich am Leben bin.
  • Ich habe immer behauptet, dass ich niemand bin, der sich in einer Beziehung oder Freundschaft kleinhalten lässt. Das muss ich korrigieren. Man kann es schaffen, mich kleinzuhalten. Indem man diesen Prozess so langsam und schleichend gestaltet, dass ich hineinrutsche, ohne es selbst zu bemerken. Mit Suizid bin ich hervorragend erpressbar.
  • Menschen, die diesen Blog lesen, kennen mich in Summe vermutlich besser, als meine gesamte Familie es tut. Meine Eltern ausgenommen. (Vor kurzem war ich auf einer Beerdigung und habe mich gefragt, was man wohl über mich sagen würde, wenn man Worte finden müsste. Es fällt mir schwer, mir vorzustellen, dass man eine Rede zusammengeschustert bekommen würde, ohne meine Eltern oder meine Freunde zu Rate zu ziehen.)
  • Womanizer schlägt Magic Wand. Zweifellos.
  • Ich kann auch zu Schlagern tanzen. Oder schunkeln. Das muss an der einsetzenden Alters-Schrulligkeit liegen. Der Teenie in mir verdreht die Augen, während ich das schreibe. Sicher bin ich ihm peinlich.
  • Als "verrückte Hutmacherin", aus "Alice im Wunderland" von Lewis Carroll, bin ich zauberhaft. Vermutlich weil mir die Rolle auf den Leib geschnitten ist. Ich sollte zukünftig mehr Kostümbälle besuchen.
  • Auch mit über 30 Jahren kann ich gut im Auto schlafen. Ich muss einfach nur genügend getrunken haben. Oder verrückt genug sein, um ausreichend Penis-TicTacs, ein Geschenk von einem Fremden, zu essen.
  • Ich vermisse es, zu spüren, dass ich geliebt werde.
  • Das Leben kann verdammt kurz sein. Regelmäßig verzweifle ich über meinem Lebenshunger. Ich habe Angst, die Zeit, die ich habe, zu verschwenden.
  • Allmählich komme ich in das Alter, in dem man Falten bekommt. Bisher sind es hauptsächlich zarte Lachfältchen, die sich um die Augen herum bilden. Aber ich muss definitiv noch mehr lachen. Der Gedanke, ich könnte im Alter diese mürrisch nach unten hängenden Mundwinkel bekommen, die eine lebensverneinende Einstellung quasi in die Welt hinausschreien, ist mehr als beunruhigend.
  • Wenn ich groß bin, brauche ich ein eigenes Feld. Damit ich mich bei jedem Wetter rausstellen und all meine Gefühle hinausschreien kann. Und damit ich dem Rauschen des Feldes im Wind lauschen kann. Das erdet mich und beruhigt meinen Herzschlag.
  • Ich möchte mal wieder einen Schneemann bauen. Und ich will einen Fallschirmsprung wagen. Ich würde gerne nach Chile reisen. Und endlich mal wieder segeln gehen.
  • In diesem Lebensjahr bin ich mutiger geworden. Ich habe es gelernt, mich durchzusetzen, meine Meinung klar zu formulieren und mich zu wehren, wenn mir etwas nicht gefällt. Beruflich. Aber auch privat.
  • Anscheinend werde ich mein komplettes Leben damit verbringen, zu versuchen, mich nicht noch einmal am Backofen zu verbrennen. Es wird mir trotzdem nicht gelingen. Vielleicht bin ich in vielerlei Hinsicht lernresistent. Oder esse zu viel Pizza.
  • Ich habe den Unterschied zwischen den Worten "scheinbar" und "anscheinend" gelernt.
  • Meine Rechtschreibung hat sich verschlechtert. Als Kind, das zwischen zwei Rechtschreibungen aufgewachsen ist, hatte ich immer mal wieder Probleme, Worte richtig zu schreiben. Mittlerweile werde ich aber auch ungenauer beim Korrekturlesen und bemerke nicht mehr alle Fehler. Das nervt mich selbst.
  • Keine Begegnung ist umsonst. Es gibt immer etwas, was man hinterlässt und etwas, was man mitnimmt. Ich wüsste gerne, was ich hinterlasse. Oft habe ich das Gefühl, nur mit Schutt und Asche glänzen zu können.
  • Ich habe ein gestörtes Verhältnis zu Kabeln. Unter meiner Benutzung brechen alle.
  • In diesem Jahr habe ich das erste Mal seit drei Jahren angefangen, wieder vollkommen frei zu schreiben. Ich habe alle Menschen - bis auf einen - von der alten Plattform hinter mir gelassen und hier, im zauberreich, vollkommen neu angefangen. Ich genieße es zutiefst, mir keinen Kopf machen zu müssen, ob ich über Männer, Sex oder Gartenzwerge schreibe. Niemanden Rechenschaft ablegen zu müssen und jedes Gefühl in Worte fassen zu dürfen ist wunderbar. 
  • Mich hat in diesem Jahr total überrascht, dass ich auch dann als attraktiv empfunden kann, wenn ich mich selbst als absolut unansehnlich empfinde. Zum Beispiel weil ich mich selbst als mopsig empfinde oder aufgrund der Arbeit zu wenig Schlaf abbekomme und Augenringe zur Schau trage, über die man stolpern könnte. Tatsächlich - und das ist noch überraschender - habe ich aber im vergangenen Jahr einige Männer kennengelernt, die Interesse signalisiert haben. Daran versuche ich mich noch immer zu gewöhnen, denn ich finde das mehr als merkwürdig. Ich habe mich nie als Frau begriffen, die überhaupt gesehen wird.
  • Alles, was vor dem "aber" kommt, zählt nicht.
  • Gute Männer erkennt man an ihren Schuhen.
  • Es fällt mir leicht, andere Menschen, in ihren Handlungen und Gefühlen, mit Milde und Nachsicht zu betrachten. Ich sollte ein bisschen daran arbeiten, auch mich selbst mit ein wenig Milde und Nachsicht zu bedenken.
  • Ich zaubere Menschen, denen ich im Alltag begegne, für mein Leben gerne ein Lächeln ins Gesicht, indem ich ihnen ein ehrlich gemeintes Kompliment mache. Das verbessert auch meinen Tag.
  • Es kann ziemlich glücklich machen, einen Menschen, zu dem man lange keinen Kontakt hatte, wiederzufinden. Gleichermaßen kann es... ganz schön weh tun. Daraus resultiert der nächste Punkt:
  • Weniger träumen. Mehr leben.
  • Ich war dieses Jahr verdammt gut darin, Menschen zu enttäuschen. Oder sie zu verletzen. Mehrfach und intensiv. Ein Gefühl, mit dem ich überhaupt nicht umgehen und das ich nur ganz schwer ertragen kann. Vermutlich wird das eine Disziplin sein, in der ich immer gut sein werde. (Die momentane Grundstimmung schlägt sich auch auf diesen Post nieder. Eigentlich wollte ich das vermeiden. Darin mich selbst zu enttäuschen bin ich übrigens auch ziemlich brilliant.)
  • Es gibt zu viel Schund-Literatur. Ich hasse Rechtschreibfehler in Büchern. Und ich finde sie immer. Wie ein blindes Huhn das Korn.
  • Die Namenswahl "Muschelmädchen" passt hervorragend zu mir. Weil ich mich in meine Muschel zurückziehe, wenn es mir zu laut, zu intensiv, zu nahe, zu... viel wird. Ich frage mich nur, ob ich das "Mädchen" nicht durch das Wort "Frau" hätte ersetzen sollen. Mir scheint, allmählich könnte es Zeit werden, erwachsen zu werden. Und ich mag nicht, in zwanzig oder dreißig Jahren, so ein altes "Mädchen" werden, das sich gegen das Alter sträubt. Denn eigentlich mag ich das Alter. Ich hoffe immer, dass ich irgendwann ein wenig klüger werde. Und ein besserer Mensch.
  • Die Party wird gut, wenn das erste Glas gefallen ist.
  • Zwergkaninchen entstehen, indem sich Kaninchen an Gartenzwergen reiben.
  • Alles wird gut. Es muss.

Kommentare

  1. Sehr sympathisch. Und ich würde gern sehen, wie sich Kaninchen an Gartenzwergen reiben. Ist bestimmmt lustig.

    Sollte der Geburtstag heute sein, wünsche ich alles Gute. Falls nicht, trotzdem Alles Gute. Nur eben nicht zum Geburtstag.

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    1. Erst ist heute. Hab vielen Dank für die lieben Worte!
      Vielleicht beobachten wir mal zusammen Kaninchen und Gartenzwerge.

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  2. Alles Gute zum Geburtstag für dich. Und kombiniere ich das richtig, dass du 32 wirst? Wenn ja, ist "Muschelmädchen" völlig okay. In dem Alter mag man das Alter auch noch gut leiden und muss keine Posts über die schönen Seiten des Älterwerdens schreiben.^^

    Alles Liebe für dich.

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    1. 32 ist richtig.
      Dankeschön!
      Vermutlich werde ich wieder drei Jahre brauchen, um mich daran zu gewöhnen, dass ich nun 32 Jahre alt bin. Irgendwie will ich mich immer für 28 ausgeben, wenn man mich nach meinem Alter fragt.

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  3. Ooops. Einmal einen Tag hier nicht gelesen und den Geburtstag des Muschelmädchens verpasst! Alles Liebe und Gute nachträglich, wenn auch (leider) unbekannterweise.
    Ich lese Dich überaus gerne und denke, im "Reallife" könnten wir uns stundenlang unterhalten.
    32? Was bist Du noch jung! Jetzt kommen die besten Jahre!

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    1. Das war charmant, vielen Dank! ;-)
      Damit hast du mich zum lächeln gebracht.

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