Von der anderen Liebe

"Es geht nicht um mich.", sagt er, "Es geht um dich. Es geht immer nur um dich." Seine Arme legen sich um mich, fangen mich auf, er vergräbt flüsternd die Nase in meinem Haar. "Es geht um dich. Es geht um dich. Es geht um dich.", flüstert er und jedes einzelne Wort fühlt sich an, als würde es tief in mich hineinfallen und mich von innen auftauen. Ich glaube, es ging noch nie in meinem Leben um mich. Natürlich tut es das auch jetzt nicht. (Weil es um ihn geht. Ist doch klar.) Aber es tut mir so gut, dass da jemand ist, der mich sieht. Der ohne eine einzige Forderung zu stellen, da ist, mich lieb hat und annimmt, ohne mich ändern zu wollen. Der einfach dankbar nimmt, was ich zu geben habe, ohne mir im Anschluss den Arm auszureißen und mich zu mehr zu drängen als ich geben will. Jemand, der so ein großes Herz hat, so warmherzig, gütig und voller Liebe ist. Ja, vielleicht ist das alles nur eine Momentaufnahme. Vielleicht wird morgen schon alles ganz anders sei

Von damals

"Ich verbringe die Nächte in fremden Wänden,
und wache früh auf, um zu verschwinden.
Ich kenne mich aus und komme viel rum,
ich trage dich noch in Erinnerung."

(Selig: Wir werden uns wiedersehen) 

"Was willst du mit diesem Typen an deiner Seite?", fragt er, "Er hat sich nicht einmal seine Hände gewaschen, nachdem er auf Toilette war. Ich könnte kotzen bei dem Gedanken, dass er dich danach berührt hat!"
Die Art, wie er mich ansieht, während er spricht, berührt mich mehr, als jedes Wort, das er sagen könnte. Ich überlege, ob es sinnvoll ist, ihm zu erklären, dass ich ein schlechter Mensch bin. Ich flüchte mich lediglich in die Beziehung zu einem anderen Menschen, weil mir meine Gefühle ihm gegenüber so sehr Angst machen. Sie sind zu tief. Zu allumfassend, zu existentiell, zu ehrlich. Verstanden zu werden, ohne sich erklären zu müssen ist unheimlich. Permanent begleitet mich das Gefühl, bis in den letzten Abgrund hinein durchschaut zu werden. Das macht mich unglaublich verletzbar. Es ist erschreckend und anstrengend, sich nicht verstecken zu können.

Längst ist es Nacht geworden. Wir sitzen auf einem Mauervorsprung und lassen unsere Beine in der Luft baumeln. Meine Fingerspitzen streicheln behutsam seinen Handrücken. Wie immer frage ich mich, warum ich mich so schutzlos ihm gegenüber fühle. In seiner Gegenwart habe ich das Gefühl, keine Luft zu bekommen. Ich kann weder klar denken noch sprechen. Und ich weiß nicht, wie lange ich es aushalte, mich ihm gegenüber so nackt und ausgeliefert zu fühlen. Vielleicht wäre es sinnvoll, all das hinter mir zu lassen, wegzulaufen und mich zu verstecken. Wenn ich hier keine Sicherheit finde, wenn ich ihm nicht vertrauen kann, dann muss ich sie an einem anderen Ort finden.

Er sieht mich an. Sein Blick ist derartig intensiv, dass mir ein Schauer über den Rücken rollt.
"Ich liebe dich.", flüstert er.
In seinem Blick liegt so viel Wahrheit, dass mein Herz stolpert.
Trotzdem habe ich das Gefühl, ihn in diesem Moment zu verlieren.
Meine Finger greifen nach seiner Hand und drücken sie.
Ich versuche, ihn festzuhalten.
Sechs Wochen vor seinem Selbstmordversuch.


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