Von verhexten Beziehungen

In den letzten Minuten hab ich viele Sätze getippt, nur um sie anschließend wieder zu löschen. Ich kann fühlen, was ich schreiben will, aber es fällt mir schwer, es auf den Punkt zu formulieren: Es beschäftigt mich seit ein paar Tagen mal wieder intensiv, dass ich in den allermeisten meiner Beziehungen das Gefühl habe, nicht gesehen zu werden und nicht gut genug zu sein.  Da ist zum Beispiel die enge Freundin, die mir Tag und Nacht WhatsApp-Nachrichten schreibt, mich quasi in Echtzeit an ihrem Seelenleben teilhaben lässt, aber nicht einmal auf die Idee kommt, mich zu fragen, was los ist, obwohl ich klar formuliere, dass es mir nicht gut geht. Da ist der Mann, der in all den Jahren nicht auf die Idee gekommen ist, mich heiraten zu wollen. Vermutlich weil ich nicht gut genug bin. Was einerseits okay ist, weil ich nicht heiraten will, aber andererseits in stummer Beharrlichkeit das Gefühl in mir erzeugt hat, dafür wohl nicht gut genug zu sein. Ein Gefühl, das schmerzt. Da ist die Freundin

Vom versunkenen Auto

"Wir haben geträumt von einer besseren Welt.
Wir haben sie uns so einfach vorgestellt.
Wir haben geträumt - es war 'ne lange Nacht.
Ich wünschte, wir wären niemals aufgewacht..."

(Die Ärzte: Kopfüber in die Hölle)

Zu dieser Zeit unseres Lebens sind wir jung, ungestüm und haben, wenige Tage nach dem Abitur und so kurz vor dem Studium, das Gefühl, unbesiegbar zu sein.
"Wenn uns jetzt die Welt nicht gehört, wann gehört sie uns denn dann?", frage ich Phil lachend, während wir uns die Sturmmasken über den Kopf ziehen.
Er schmunzelt, während er die schwarze Baumwolle, die sich wie ein Schleier über mein Gesicht legt, zurechtzuppelt.
"Sie sollte uns immer gehören.", stellt er fest und streichelt mit seinen rauen Daumen, grobmotorisch, aber dennoch sanft, mein Gesicht. Ich kann das Lächeln in seiner Stimme hören.
"Findest du nicht?", fragt er.
Ich nicke stumm. Ein wenig ehrfürchtig.

Endlich ist es soweit: Jetzt befreien wir die Gänse. Vor mehr als sechs Jahren haben wir uns geschworen, dass wir eines Tages den Tausenden von Gänsen, die auf der Farm nebenan auf viel zu engen Raum gehalten werden, zum Ausbruch verhelfen werden.
Die Aufregung, die sich durch meinen Körper kribbelt, bricht durch:
Übermütig drehe ich mich um die eigene Achse, lege meine Hände zu einer imaginären Schusswaffe zusammen und drehe mich zu Phil um.
"Bereit?", fragt er und beißt sich auf die Lippen, um sich ein Lachen zu verkneifen.
"Ja. Ich bin bereit.", ich nicke eifrig, "Nichts will ich lieber tun als das!"

Unser Plan ist ausgeklügelt. Aber, wie so oft, nicht ausgeklügelt genug für das Leben. Denn das macht uns einen Strich durch die Rechnung. Wenigstens aber sehen wir, mit unserer schwarzen Kleidung und den Strümpfen auf dem Kopf, auch beim Scheitern gut aus.
Die Alarmanlage auszuschalten ist relativ einfach.
Nur stellen wir fest, dass die Gänse gar nicht gerettet werden wollen. Ich greife mir die erste Gans, die ich kriegen kann, renne mit ihr nach draußen und schenke ihr die Freiheit, die sie, zweifellos, verdient. Aber sie kann das gar nicht genießen. Denn das einzige, was sie sich sich wünscht, ist die Geborgenheit, die ihr ihre Gänse-Verwandschaft vermittelt. Wie verrückt hühnert sie an dem großen Tor herum und versucht, wieder hineinzukommen. Vielleicht beruhigt sie sich, denke ich, und warte einfach ab. Dabei bricht mir das Herz. Denn während ich diesem Tier dabei zusehe, wie es panisch versucht, in seine gewohnte Umgebung zurückzufinden, will ich eigentlich nichts anderes tun, als ihm seine Sicherheit zurückzugeben. Und Phil geht es ebenso.
Mit rissigen Herzen treffen wir uns an dem Stacheldrahtzaun vor der Farm, sehen unseren Gänsen dabei zu, wie sie versuchen, den Weg in ihr Gefängnis zurückzufinden und taufen sie auf "Bonnie" und "Clyde". Darauf trinken wir einen Schluck gutes Sternburger Export. Das dämpft den Schmerz.
Bevor wir sie wieder einfangen, unsere hübschen Gänse, um sie zurück nach Hause zu bringen. In ihre engen, viel zu kleinen Käfige. Zu ihren Kumpel-Gänsen.

Aber wir können die Farm nicht einfach so verlassen.
Es ist ja nicht, als wären wir nie da gewesen.
Deshalb sprühen wir, in roten Lettern, vollkommen schräg und ein wenig betrunken, an die Wand:
"Seid gut zu den Tieren!"
Laienhaft.
Aber dafür idealistisch und leidenschaftlich.
Die rote Farbe rinnt den grauen Beton hinab und versickert im Gras.
Unser Idealismus tut es ihr gleich.
Das scheint auch Phil zu spüren, denn er legt seinen Arm um mich und drückt mich an sich.
"Es ist gut so, wie es ist.", stellt er schlicht fest.
"Ja.", antworte ich und vergrabe meinen Kopf für einen kurzen Moment in seiner Halsbeuge, "Vielleicht ist es das. Ich hoffe es."
Bei diesen Worten halte ich mich an ihm fest.
Unsere Sturmmasken entsorgen wir im nächsten Gebüsch.


Als wir am nahegelegenen See ankommen, ist die Party schon recht ausgeflöht. Kein Wunder, denn die Nacht ist längst dabei, sich zu verabschieden. Das Dämmerung glitzert auf den Wellen, die sich an dem steinernen Ufer brechen. Ohne uns mit irgendjemanden zu unterhalten, verkrümeln wir uns in den Kofferraum von Frederiks neuem Auto. Dort finde ich eine dicke Wolldecke und während ich uns darin einhülle, dreht Phil ein Tütchen. Dabei erzählt er mir von Luhmanns Systemtheorie. Da ich zu diesem Zeitpunkt weder Soziologie, noch Politik oder Betriebswirtschaftslehr studiere, diskutieren wir auf Stammtischniveau. Unser geballtes Wissen stammt lediglich aus dem Ethik-Unterricht und einigen ergänzenden literarischen Werken. Aber unser Nichtwissen kompensieren wir mit Begeisterung.
Später, als wir längst schweigen, spüren wir die Lust auf das Leben. Die Sehnsucht danach, mehr zu erleben, intensiver zu leben, den Moment zu nutzen. Lieber sind wir hellwach, als nur einen einzigen Moment dieses Lebens zu verpassen.
Phil streicht mit seiner Hand behutsam durch meine Haare. Unter seinen Fingerspitzen schließe ich die Augen.
"Willst du schlafen gehen?", fragt er irgendwann sanft.
Lächelnd schüttle ich den Kopf.
"Niemals!", antworte ich und schiebe meine klammen Finger unter seinen gelben Strickpulli.
Er schüttelt sich lachend unter meiner Berührung, greift nach meiner Hand und schiebt sie zwischen die seine.

Mit großen, schweren Schritten nähert sich der pummlige Frederik dem Auto.
"Alter!", grätscht er unvermittelt in unser Gespräch hinein, "Kein Sex in meinem Auto!"
Phil lächelt dünn.
Ich grinse.
"Zu spät...", sage ich freundlich.
Aber Frederik sieht das Lächeln in meinen Augen.
Er brummt gutmütig.
"Ich glaube, das letzte Bier war schlecht...", teilt er uns, einigermaßend schwankend, mit. 
Dabei lehnt er sich an sein Auto und sieht ein bisschen aus wie ein Fähnchen, das im Wind taumelt.
Und erst glaube ich, dass es Frederik ist, der sich bewegt. Aber als dieser, wie in Zeitlupe versucht, nach dem Kofferraum, in dem wir sitzen, zu greifen, verstehe ich, dass es das Auto ist, das just in diesem Moment zu rollen beginnt. Richtung Wasser. Plötzlich geht alles so schnell, dass weder Phil noch ich zu einer Reaktion fähig sind.
"Fuck!", brüllt der pummlige Frederik, dessen Hände bei dem Versuch, nach dem Kofferraum zu greifen, abrutschen. Und dann steht er da, der kräftige, hochgewachsene Mann mit seinen großen Augen, und sieht seinem Auto dabei zu, wie es, vorneüber, von der Böschung hinab in den See gleitet.
Die Situation ist absurd.
Während sich das Auto mit Wasser füllt, drehen sich Phils Augen dem Himmel entgegen.
"Hach.", seuft er trocken, als wir schon längst im Wasser sitzen, "Ich glaube, eine Forelle hat gerade meinen Schwanz geküsst." 
Ich kann nicht anders: Das Kitzeln in mir ist einfach nicht auszuhalten.
Ein Kichern, viel zu dick für meine Kehle, kämpft sich an die Oberfläche. 
Einfach so lasse ich los.
Lache Tränen.
Während der pummlige Frederik am Ufer rumpelstilzelt.
"Alter!", schreit er am Ufer stehend, "Mein Auto! Mein Auto! Macht doch was!"

Und als der erste Schreck schließlich der Erkenntnis weicht, dass auch dieser Abend nur einmal in unserem Leben stattfinden wird, greife ich unter der Wasseroberfläche nach Phils Hand. Er drückt sie. Und wir beide wissen, ohne es laut auszusprechen, dass dieser Moment perfekt ist. Wir sehen einander an, lehnen uns zurück und spüren lächelnd, wie das kalte Wasser nach uns greift.
Bis die Räder des Wagens schließlich Grund finden.
Über uns verblassen die Sterne unter dem sich ausbreitenden Morgenrot.
Frederik schreit noch immer und das ganze Leben liegt vor uns.


Kommentare

  1. Von den zahlreichen Erlebnissen, die Bloggershausen zu erzählen weiß, dürfte das hier eines der highlights sein^^.

    Und den mit der Forelle am Schwanz muss ich mir merken!

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    1. Meines war es noch nicht. Ein paar Geschichten habe ich noch...

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  2. 'unser Nichtwissen kompensieren wir mit Begeisterung'
    Schöner Satz und so wahr.
    Schwierig wird es erst, wenn man älter wird und dies nicht erkennt.

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    1. Ich habe vor, Peter Pan zu heiraten und niemals, niemals alt zu werden - oder wenigstens so geistig beweglich und so offen wie möglich zu bleiben. Das wäre schön.

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