Von der anderen Liebe

"Es geht nicht um mich.", sagt er, "Es geht um dich. Es geht immer nur um dich." Seine Arme legen sich um mich, fangen mich auf, er vergräbt flüsternd die Nase in meinem Haar. "Es geht um dich. Es geht um dich. Es geht um dich.", flüstert er und jedes einzelne Wort fühlt sich an, als würde es tief in mich hineinfallen und mich von innen auftauen. Ich glaube, es ging noch nie in meinem Leben um mich. Natürlich tut es das auch jetzt nicht. (Weil es um ihn geht. Ist doch klar.) Aber es tut mir so gut, dass da jemand ist, der mich sieht. Der ohne eine einzige Forderung zu stellen, da ist, mich lieb hat und annimmt, ohne mich ändern zu wollen. Der einfach dankbar nimmt, was ich zu geben habe, ohne mir im Anschluss den Arm auszureißen und mich zu mehr zu drängen als ich geben will. Jemand, der so ein großes Herz hat, so warmherzig, gütig und voller Liebe ist. Ja, vielleicht ist das alles nur eine Momentaufnahme. Vielleicht wird morgen schon alles ganz anders sei

Von Bummibärenängsten

Ich sitze auf dem weichen Teppich des Kinderzimmers. "Das ist mein Lieblingsstickeralbum.", sagt sie und lehnt sich an mich. Ihr Ellenbogen stützt sich spitz auf meinen Oberschenkel und ich wage es nicht, mich zu bewegen. Wie zerbrechlich dieses Mädchen mir erscheint und wie wertvoll ihr Vertrauen in mich. Wie immer, wenn ich mit ihr zusammen bin, überfällt mich das tiefe Bedürfnis, sie vor allem Unheil dieser Welt zu schützen.

Seite um Seite blättert das kleine blonde Mädchen in ihrem Stickeralbum um und zeigt mir jeden ihrer Aufkleber einzeln, als wäre er ein Schatz von immenser Bedeutung. Sie erklärt mir, wer ihr welchen wann geschenkt hat und erfindet kleine Geschichten zu den Bildern. Irgendwann aber fangen wir an, uns auf jeder Seite auszusuchen, welches der Bilder uns selbst am meisten entspricht. So verwandelt sie sich nacheinander in ein Pony, einen Welpen und ein grünes, aber sehr niedliches Schrankmonster, während ich mich in einen Schmetterling, einen herzigen gelben Smiley und eine Topftulpe verzaubern lasse.

Als wir die letzte Seite des Buches erreichen, muss ich lachen. "Die böse Hexe aus ´Schneewittchen´, die das schöne Mädchen mit einem Apfel vergiftet, sieht aber nicht besonders böse aus?", frage ich und deute auf einen der Aufkleber. "Was?", fragt das kleine Mädchen, das neben mir sitzt, empört. Sie widerspricht mir sofort: "Doch, die Hexe sieht total böse aus!". "Aber schau mal", sage ich, "Die hat doch so eine lustige Knollnase. Ich finde, das sieht eher niedlich aus. Wenn du der Hexe begegnen würdest, würdest du dich doch nicht fürchten, oder? Du müsstest dir doch wahrscheinlich eher das Lachen verkneifen?". "Doch, ich hätte Angst.", sagt sie und wird auf einmal ganz still. Ihr schmaler Körper presst sich ein wenig enger an mich. "Ich habe auch Angst vor dem Bummibären. Der hat so gruselige Augen...", gesteht sie leise. "Wirklich?!", frage ich und bin ganz verblüfft. Zuerst denke ich, dass sie mich auf den Arm nehmen will, was sie öfter einmal tut. Aber dann sehe ich in ihren Augen, dass dem nicht so ist. Also lege ich einen Arm um sie und lächle sie an. "Du musst keine Angst vor dem Bummibären haben.", sage ich, "Der tut dir nichts. Außerdem ist er nur eine Zeichnung. Irgendjemand, der nicht malen konnte, hat ihn erfunden.". Sie sieht mich zweifelnd an. "Aber wenn es ihn doch gibt und er mir etwas tun wollen würde, würdest du mich dann beschützen?", fragt sie. Dabei guckt sie fürchterlich ernst. Ich antworte ohne zu zögern. "Natürlich würde ich dich beschützen.", sage ich mit fester Stimme. "Schau mal", fordere ich sie auf und zeige auf einen anderen Aufkleber, der Schneewittchens Prinzen zeigt, "Wenn wir dem Bummibären begegnen, dann stibitze ich dem Prinzen einfach sein Schwert.". Als sich ein kleines Lächeln auf ihrem Gesicht zeigt, spüre ich, dass es ihr gut tut, das zu hören. "Du musst keine Angst haben.", füge ich hinzu, "Vor gar nichts. Deine Eltern und ich haben dich viel zu lieb, als das wir zulassen würden, dass irgendetwas oder irgendjemand dir Angst macht oder dir etwas tut. Das wird auch immer so bleiben. Da kannst du dir ganz sicher sein.".

Sanft streichle ich ihr über den Kopf und erinnere mich daran, dass es manchmal ganz schön schwierig sein kann, so ein kleiner Mensch zu sein. Wenn man die Welt noch nicht überblicken kann, ist es doch naheliegend, dass sie manchmal beängstigend wirkt. Immerhin ist sie riesig.

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