Von verhexten Beziehungen

In den letzten Minuten hab ich viele Sätze getippt, nur um sie anschließend wieder zu löschen. Ich kann fühlen, was ich schreiben will, aber es fällt mir schwer, es auf den Punkt zu formulieren: Es beschäftigt mich seit ein paar Tagen mal wieder intensiv, dass ich in den allermeisten meiner Beziehungen das Gefühl habe, nicht gesehen zu werden und nicht gut genug zu sein.  Da ist zum Beispiel die enge Freundin, die mir Tag und Nacht WhatsApp-Nachrichten schreibt, mich quasi in Echtzeit an ihrem Seelenleben teilhaben lässt, aber nicht einmal auf die Idee kommt, mich zu fragen, was los ist, obwohl ich klar formuliere, dass es mir nicht gut geht. Da ist der Mann, der in all den Jahren nicht auf die Idee gekommen ist, mich heiraten zu wollen. Vermutlich weil ich nicht gut genug bin. Was einerseits okay ist, weil ich nicht heiraten will, aber andererseits in stummer Beharrlichkeit das Gefühl in mir erzeugt hat, dafür wohl nicht gut genug zu sein. Ein Gefühl, das schmerzt. Da ist die Freundin

Von familiären Backpfeifen

Telefonat, 17:34 Uhr

Muschelmädchen (voll motiviert und fröhlich): "Hallo Oma, ich wollte dir zum 92. Geburtstag gratulieren. Ich hoffe, dass das nächste Lebensjahr für dich toll wird, dass du gesund bleibst, viel Spaß hast und heute deinen Geburtstag so richtig schön feierst."
Oma (merklich angefressen): "Ach. Das ist ja schön, dass du dich auch noch meldest. So spät."
Muschelmädchen (stimmungstechnisch bereits leicht gedämpft, da recht sensibel): "Öhm... ja. Ich bin gerade von der Arbeit gekommen."
Oma (sehr resolut): "Du arbeitest zu viel. Das geht so nicht."
Muschelmädchen (bereits dabei, die familiäre Schutzmauer hochzufahren): "Mag sein."
Oma (sehr direkt und nachdrücklich): "Du bist alt. Du solltest jetzt Familie gründen und endlich schwanger werden!"
Muschelmädchen (sich innerlich völlig zurückziehend): "Mmhja."
Oma (noch einen draufsetzend): "Dein Lebensplan ist schlecht!"
Muschelmädchen (völlig überfordert von dem Schwall an negativer Energie): "..."
Oma (empathisch wie ein Nagelbrett): "Ich muss dann jetzt auch auflegen. Dein Cousin ist gerade gekommen. Der hat auch mitgehört. Der kommt mich wenigstens zu meinem Geburtstag besuchen."

-Piep-Piep-Piep-

Muschelmädchen (laut in den leeren Raum denkend: "Reg dich nicht auf. Sie ist 92 Jahre alt. Reg dich nicht auf. Sie ist 92 Jahre alt. Reg dich nicht auf. Reg dich nicht auf! Reg dich nicht auf!!!
Aber: Grrrr! Kopf → Tisch
Ich. Rege. Mich. Aber. Auf.

Ja, ich war nie so toll, wie mein Cousin, der mit 28 Jahren gelernt hat, wie man Wäsche wäscht und mit 29 Jahren das erste Mal völlig verzweifelt versucht hat, sich selbst einen Teller Fertignudeln zu kochen. Ja, ich habe dich noch nie angerufen, um nachzufragen, wie man Reis salzt. Ja, im Gegensatz zu meinem Cousin, der nur einen Katzensprung von dir entfernt lebt, liegen zwischen uns 8 Stunden Autofahrt. Ja, ich war immer das schwarze Schaf in deiner Familie. Die privilegierte Internatstussi. Die geisteswissenschaftliche Stundentin, der man Arbeitslosigkeit prophezeit hat. Die Tante, die nur Human Ressources macht.
Aber weißt du was, Oma?
Ich habe meine eigenen Entscheidungen getroffen. War früh selbständig. Habe eine eigene Meinung und kann diese auch sagen. Habe kein einziges Praktikum und keinen einzigen Job über Vitamin B angenommen. Weil ich das, so dämlich das auch sein mag, nicht wollte. Ich wollte unbedingt alles, was ich schaffe, selbst schaffen. Von mir aus und aus eigener Kraft.
Und das Wichtigste: Ich habe nicht keine drei Wochen nach Opas Tod versucht, sein Erbe abzuräumen. Zum einen: Weil mich euer Geld nicht interessiert. Zum anderen: Weil ich ein solches Verhalten als zutiefst unmoralisch empfinde und nicht mal im Traum auf so eine schwachsinnige Idee gekommen wäre.
Wenn du nicht jedes Mal die Moralkeule schwingen würdest, wenn ich dich anrufe, dann würde ich mich sicher auch öfter melden. Aber ich habe keine Lust, mir jedes Mal einen Vortrag darüber anzuhören, wie ich mein Leben leben soll und das ich alles falsch mache. Rede mir keine Selbstzweifel ein. Bestrafe mich nicht mit Liebesentzug. Mach mir nicht ständig Vorwürfe.
Glaub mir: Ich bin unsicher genug. In Bezug auf alles. Mein Aussehen, meinen Job, meine Entscheidungen, mein Leben, meine Zukunft.

Und ja: Morgen habe ich ein schlechtes Gewissen, dass ich das so unreflektiert hier niedergeschrieben habe. Denn normalerweise traue ich mich nicht einmal, so etwas überhaupt zu denken und verbiete mir jeglichen Anflug, der in diese Richtung gehen könnte. Aber heute kann ich es nicht in mich reinfressen. Sonst bekomme ich Magenschwerzen vor Wut.

Ich wünsche dir trotzdem einen schönen Geburtstag.
Ehrlich. Von Herzen.
Ich hoffe, du genießt ihn.

Kommentare

  1. Heute spar ich mir ausnahmsweise mal meine schlauen Sprüche. Komm, lass dich umärmeln!

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    1. Danke dir. Die Umarmung nehme ich gerne.
      Inzwischen ist die Wut abgeflaut und ich schäme mich ein bisschen für den Post. Naja.

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    2. Ich finde nicht, dass du dich für den post schämen musst. Erstens: es war eine Momentaufnahme. Zweitens: Ist man Mensch, und nicht immer gut drauf, oder perfekt, oder in seiner Mitte. Und wenn man grad so nicht ganz in seiner Mitte ist, regen einen Dinge auf, über die man sonst eher hinweggehen kann. Das ist nun mal so. Und dass einen das in dem Moment dann grad echt ärgert, und man sich unzulänglich fühlt, und gerade mit seinen offenen Flanken in dem Moment kritisiert wurde, noch dazu von einer so nahe stehenden Person - da darf man das auch dann mal rauslassen. Und man muss nicht mit allem einverstanden sein, was einen nahe stehende Personen so mitteilen.

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    3. Es ist ein gutes Gefühl zu wissen, dass er Post als die Momentaufnahme, die er ist, verstanden wurde. Danke!
      Ich war wirklich so, so wütend und angeschossen nach diesem Telefonat.
      Aber... vielleicht gehört das manchmal auch einfach dazu.

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  2. Antworten
    1. Ah, nein. Sowas darfst du doch nicht sagen, bitte.
      Ich mag meien Oma. Ich war gestern einfach nur sehr wütend...

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  3. Manchmal ist es aber besser seine Wut zu sagen oder in diesen Fall zu schreiben, ich kann dich da gut verstehen. Auch das man nicht den Mut hat es einen ins Gesicht zu sagen, grade wenn es jemand ist den man liebt & mein Gott, Generationen weit von einen ist. Ich denke deine Oma meint es nicht böse, dass weißt du aber sicher. Damals als sie jung war, da sah die Welt ganz anders aus, da war man abhängig von der Familie, da war Wunsch Job für die Frau unmöglich & Kinder ein muß. Doch die Zeiten ändern sich, du bist eine neue Generation & machst alles richtig. Lass dich in Arm nehmen & schieb die Zweifel mal zur Seite. Klopf dir selber auf die Schulter, denn du packst das alles echt super! <3

    Lg Nicky

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    1. Das war ein so toller und sanftmütiger Kommentar, dass ich vor der Wahrheit, aber auch Weisheit seiner Worte den Hut ziehe. Und mich vollinhaltlich anschließe.

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    2. Ich hätte es falsch gefunden, meiner Oma direkt an ihrem Geburtstag eine Ansage zu machen. Das hätte sie nur geärgert und das wollte ich nicht. Also blieb mir nur übrig, meine Gedanken aufzuschreiben. Wenig sanft. Aber genau so war es nötig und musste raus. Auch wenn ich - da hast du recht - mir fast sicher bin, dass meine Oma es nicht so gemeint hat.
      Danke dir für die lieben worte, Nicky.
      (Und dir für die Bestätigung, Rain.)

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  4. Deine Oma ist alt. Sehr alt. Und sie kommt aus einer anderen Zeit. Mit anderen Werten. Ihre Prioritäten verschieben sich mit zunehmendem Alter stark, objektive Ansichten werden schwer, fast unmöglich.
    Ich kenne das. Meine Schwiemu (ich hatte sie sehr gern) starb dieses Frühjahr mit 92. Die letzten 3 Jahre waren für uns Angehörigen ein Lehrstück.
    Lass´ Milde walten, Du hast sie nicht mehr lange ...
    Du machst das ganz bestimmt richtig! *umärmel*

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    1. Du hast ja recht. Aber manchmal brauche ich den einen oder anderen Moment, um zur Milde zurückzufinden...

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