Von der anderen Liebe

"Es geht nicht um mich.", sagt er, "Es geht um dich. Es geht immer nur um dich." Seine Arme legen sich um mich, fangen mich auf, er vergräbt flüsternd die Nase in meinem Haar. "Es geht um dich. Es geht um dich. Es geht um dich.", flüstert er und jedes einzelne Wort fühlt sich an, als würde es tief in mich hineinfallen und mich von innen auftauen. Ich glaube, es ging noch nie in meinem Leben um mich. Natürlich tut es das auch jetzt nicht. (Weil es um ihn geht. Ist doch klar.) Aber es tut mir so gut, dass da jemand ist, der mich sieht. Der ohne eine einzige Forderung zu stellen, da ist, mich lieb hat und annimmt, ohne mich ändern zu wollen. Der einfach dankbar nimmt, was ich zu geben habe, ohne mir im Anschluss den Arm auszureißen und mich zu mehr zu drängen als ich geben will. Jemand, der so ein großes Herz hat, so warmherzig, gütig und voller Liebe ist. Ja, vielleicht ist das alles nur eine Momentaufnahme. Vielleicht wird morgen schon alles ganz anders sei

Von Tagebuchsachen

Es ist eine Woche, die es in sich hat. Denn sie konfrontiert mich mit alten Wunden. Reißt sie auf, langsam, nachhaltig und schmerzhaft. Eine Woche, die ich schnell ad acta legen sollte.

(1)

Mitte der Woche verstirbt jemand. Ein Mensch, mit dem ich aufgewachsen bin. Das ist der vierte Verlust dieses Jahr. Und ich schäme mich dafür, aber mir kommt die Redewendung in den Sinn: "Sie sterben wie die Fliegen." Und ich frage mich, ob ich irgendwann alleine hier zurückbleibe. Oder ob ich zu denen gehöre, die zu früh gehen. Weder das eine noch das andere gefällt mir. Ich will keinen Abschied mehr nehmen müssen.

(2)

Meine Mama kämpft mit dem Verlust. Wir telefonieren oft und lange. Ich versuche, so gut das eben möglich ist, also kaum, ihr ein wenig Trost zu spenden. Sie erzählt mir, dass sie unsere Geburtstage, die recht nahe beieinander liegen, dieses Jahr am allerliebsten ausfallen lassen möchte. Ich sage ihr, dass wir das tun können, wenn sie sich wirklich sicher ist, dass sie das will.
Lange nachdem wir das Telefonat beendet haben, erinnere ich mich an meine Kindheit und daran, dass mir meine Eltern einmal den Geburtstag gestrichen haben. Als Strafe dafür, dass ich groben Unfug angestellt hatte. Ich kann mich noch daran erinnern, dass ich an meinem Geburtstag von meinen Eltern geweckt wurde und erst einmal anfangen musste, zu weinen. Vor Scham und Frustration und Enttäuschung. Plötzlich, während ich daran denke, ist er wieder da, dieser reine, grenzenlose Kinderschmerz. Diese Idee, die Geburtstage ausfallen zu lassen, tut mir weh. Nicht weil ich es, dieses Mal, als Strafe empfinde. Sondern weil ich spüre, dass das Verhalten meiner Eltern mir damals eine ziemlich tiefe Wunde zugefügt hat. Auch wenn das schon viele, viele Jahre her ist und sicher nicht beabsichtigt war.
Ich will nicht darauf bestehen, unsere Geburtstage dieses Jahr zu feiern, wenn meiner Mama nicht danach ist. Weil das egoistisch wäre. Trotzdem will ich in ihren Arm. Und ich will, dass sie mir sagt, dass sie mich lieb hat. Sollte ich mich nicht eigentlich glücklich wähnen, ein Jahr jünger zu sein, als es mein Personalausweis bezeugt, anstatt darüber nachzudenken, dass mich ein Geburtstagsausfall irgendwie traurig macht?

(3)

Ich fange wieder an zu stricken. Was wahrscheinlich kein besonders gutes Zeichen ist. Denn meistens stricke ich dann, wenn ich versuche, zu viele Gefühle zu verarbeiten.
Beim Stricken denke ich an T. Ihm habe ich den letzten Schal gestrickt, glaube ich. Ein ausgesprochene hässliches Exemplar. Es war genauso wenig perfekt, wie T. und ich es waren. Damals, als ich T. den Schal geschenkt habe, hat er mit Jana geschlafen. Im Bus, im Bett, auf den Meditationsmatten. Vermutlich lag sie unten und er lag oben, während er sich mit der Hand auf dem Schal abgestützt hat, während er... So ist das Bild dazu in meinem Kopf. Nein, verarbeitet habe ich das nicht. So kein bisschen. Das wird mir klar, als der Schal vor meinen Augen verschwimmt. Nachdem meine große Liebe versucht hat, sich das Leben zu nehmen, war T. der erste Mann, dem ich vollkommen kompromiss vertraut habe. Wie habe ich das eigentlich gemacht? Wie hat er mich dazu gebracht, mich ihm so sehr auszuliefern?
Ich kann mich nicht mehr daran erinnern.
Nur an das Gefühl, nicht genug zu sein.

(4)

Seit Montag teile ich mir das Büro mit einer Schwangeren. Das ist ein seltsames Gefühl, wenn ich bedenke, dass ich jetzt selbst eigentlich in der 27. Schwangerschaftswoche wäre. Ich frage mich, ob mein Chef auch nur einmal daran gedacht hat, dass es vielleicht ein wenig belastend für mich sein könnte, mich in einem Büro unterzubringen, in der die Hälfte der Belegschaft schwanger ist. Vermutlich nicht. Eventuell reagiere ich über. Wenigstens missgönne ich aber anderen ihr Glück nicht. Wirklich nicht. Überhaupt nicht. Nur fühle ich mich nicht wohl damit. Ich mag nicht pausenlos damit konfrontiert sein, dass es keine drei Monate her ist, dass ich ein Kind verloren habe. Und anderen dabei zusehen, wie der Bauch wächst. Das tut mir weh.

Kommentare

  1. Zu 1.)
    Erstmal mein herzliches Beileid. !
    Ich kann Dir das sehr gut nachempfinden. Mein Bekannten und Freundeskreis ist weit älter als ich. Selbst mein Mann ist 17 Jahre älter...und manchmal macht mich dieses "irgendwann stehst Du alleine da" ganz schön kirre.
    Andererseits hatte ich in den vergangenen 365 Tagen zweimal Glück und die anderen hätten beinahe ohne mich dagestanden. Menschen die mich lieben, lassen mich wissen wie sehr sie dieser Umstand mitgenommen hat. Weder das eine noch das andere ist schön :(

    Zu 2.)
    Schwierig. Es klingt ein bisschen blöd, aber dennoch ist an diesem abgedroschenen Satz "Das Leben geht weiter" irgendwie etwas dran. Du kennst meinen Blog. Wir standen letztes Jahr vor der selben Situation. Vielleicht solltet ihr feiern, vielleicht etwas "dezenter" und dann erhebt das Glas auf die Menschen die nicht mehr fühlbar bei euch sind. Das wäre es bestimmt was sie gewollt hätten. !
    Einen Kindergeburtstag ausfallen zu lassen als Strafe für schlechtes Benehmen...hmmm....halte ich nicht viel davon ! Auch wenn es vielleicht nicht böse gemeint war, aber man behält ein Leben lang die Erinnerungen an diesen Tag.

    Zu 3.)
    Vielleicht solltest Du Dir ein anderes Hobby suchen. Eins was Dich wirklich glücklich macht, bei dem Du abgelenkt bist, was Dich erfüllt, anstatt Dich mit schweren Gedanken zu belasten. Hast Du nicht noch irgendetwas was Dir so richtig von Herzen Freude bereitet ? Knie Dich da hinein.
    Und nicht DU warst nicht gut genug, sondern ER hat einfach Deinen Wert nicht erkannt. Ich kenne Dich nicht persönlich, "kenne" Dich nur von Deinem Blog, und glaube das Du ein ganz wertvoller und wichtiger Mensch bist !

    Zu 4.)
    Uff....das ist hart. Man möchte am Liebsten alles was damit zu tun hat für Jahre verbannen. Aber es geht leider nicht :( Auch hier weiß ich wie Du Dich fühlst. Meine Kollegin kam freudestrahlend auf mich zu, sie sei schwanger. Ich hab mich mit ihr gefreut, aber versucht ihr dennoch irgendwie immer aus dem Weg zu gehen. Das erste Mal befreiter habe ich mich gefühlt als sie endlich in Mutterschutz ging.
    Für das Umfeld sind unsere Gedanken und Gefühle leider nicht nachvollziehbar :(
    Fühl Dich gedrückt !!!

    Ich wünsche Dir von Herzen dass es bald wieder bergauf geht und Du wieder ein wenig positiver nach vorne schauen kannst !
    Liebe Grüße
    Deichkind ;)

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    1. Danke für diesen supertollen Kommentar, liebe Deichkind. Und für die Zeit, die du die dafür genommen hast!

      zu 1.
      Dankeschön.
      Du hast natürlich recht: Weder das eine noch das andere ist schön. Danke, dass du mich daran erinnerst.

      zu 2.
      Es geht mir gar nicht so wirklich darum, dass ich feiern will. Nur das ich mit den Menschen zusammen sein möchte, die mir wichtig sind, mit meiner Familie. Aber das mag meine Mama dieses Jahr nicht. Also muss ich das, wenngleich zähneknirschend, wohl akzeptieren.
      Ja, stimmt, über die Strafe einen Kindergeburtstag ausfallen zu lassen, kann man streiten. Ich würde es nicht tun, niemals, weil ich weiß, wie es sich anfühlt.

      zu 3.
      Ist es nicht manchmal ganz sinnvoll, sich auch den schweren Gedanken zu stellen? Tatsächlich kann ich das gut, besonders beim Stricken. Ich kann gut nachdenken, während meine Hände beschäftigt sind. Aber auch das wird, wie sonst auch, sicher nur eine kurze Phase sein, bis ich wieder Schmuck bastle, zeichne oder was auch immer.
      (Ich muss tatsächlich noch den einen oder anderen schweren Gedanken denken, bis ich Frieden schließen kann. Das braucht einfach Zeit. Aber innerer Frieden ist wichtig.)

      zu 4.
      Danke!

      Na klar, es geht ganz bestimmt bald wieder bergauf. Ich musste meine Gedanken nur mal hier parken. Damit sie einfach raus aus meinem Kopf sind und es wieder Platz für neue Gedanken gibt.

      Liebe Grüße zurück.
      Pass auf dich auf.

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