Von der anderen Liebe

"Es geht nicht um mich.", sagt er, "Es geht um dich. Es geht immer nur um dich." Seine Arme legen sich um mich, fangen mich auf, er vergräbt flüsternd die Nase in meinem Haar. "Es geht um dich. Es geht um dich. Es geht um dich.", flüstert er und jedes einzelne Wort fühlt sich an, als würde es tief in mich hineinfallen und mich von innen auftauen. Ich glaube, es ging noch nie in meinem Leben um mich. Natürlich tut es das auch jetzt nicht. (Weil es um ihn geht. Ist doch klar.) Aber es tut mir so gut, dass da jemand ist, der mich sieht. Der ohne eine einzige Forderung zu stellen, da ist, mich lieb hat und annimmt, ohne mich ändern zu wollen. Der einfach dankbar nimmt, was ich zu geben habe, ohne mir im Anschluss den Arm auszureißen und mich zu mehr zu drängen als ich geben will. Jemand, der so ein großes Herz hat, so warmherzig, gütig und voller Liebe ist. Ja, vielleicht ist das alles nur eine Momentaufnahme. Vielleicht wird morgen schon alles ganz anders sei

Vom Absturz



Augen himmelwärts, das hat weh getan,
Rost ums Eisenherz war wohl schuld daran.

(Garish – Eisenherz)


Ich stehe auf einem weiten Feld. Über mir kollidieren zwei Flugzeuge. Eines davon, rot-weiß-gestreift, verliert einen Flügel. Mit ausgestrecktem Finger zeige ich gen Himmel und rufe erschrocken: „Da!“. Die Blicke der Menschen um mich herum, die das Unglück noch nicht bemerkt haben, folgen mir. Während alle anderen schreiend, weinend und vollkommen verängstigt losrennen, um dem hinunterstürzenden Flugzeug zu entgehen, bleibe ich stehen. Erst ist es mir unmöglich, mich zu bewegen, dann ist es für jedwede Bewegung zu spät. Einigermaßen gelähmt versuche ich, in Zeitlupe, mehreren losen Flugzeugteilen, die mit unglaublicher Kraft über mich hereinbrechen, auszuweichen. Es gelingt mehr schlecht als recht. Halbtotgeschlagen fühle ich mich, als das Flugzeugwrack nur knapp über meinen Kopf hinweg fegt und mit einem unbeschreiblich lauten, dumpfen Knall auf dem Feld aufschlägt. In diesem Moment ergreift mich die nackte Panik.

Plötzlich spüre ich, dass ich nicht mehr allein bin. Jemand umfasst mich von hinten, schlingt seine Arme um mich, ganz sanft, ganz konträr zu der eigentlichen Situation. Ich weiß nicht, ob da eine Stimme ist, die mir sagt, dass alles gut wird, oder ob es lediglich ein Gefühl ist, das immer mehr an Gewicht gewinnt und sich meiner bemächtigt. Mit einem Mal fallen alle Panik, alle Angst und aller Schmerz, den die körperlichen Verletzungen verursachen, von mir ab. Ich bin mir bewusst, dass der Aufschlag des Flugzeuges eine Druckwelle verursachen wird, die mich in die Knie zwingen wird, aber mit einem Male empfinde ich das nicht mehr als bedrohlich. Im Gegenteil: Vielmehr fühle ich mich derartig angeschlagen, dass ich nichts mehr tun kann, als mich den Armen, die mich vorsichtig halten, hinzugeben und mich in sie hineinfallen zu lassen. Als die Druckwelle mich erfasst und meine Ohren anfangen zu klirren, verstärkt sich der Griff der beiden Arme um mich. Anstatt gegen den Druck zu arbeiten, geben wir uns ihm hin, lassen wir uns von ihm treiben. Als wären wir schwerelos sinken wir zu Boden und fliegen über das Feld. Bis die Welle, wesentlich weniger schlimm als erwartet, schließlich verebbt.

Ganz außer Atem und in mir gefangen, bin ich nicht dazu imstande irgendetwas zu denken, zu tun oder zu entscheiden. Lediglich spüren kann ich, den dumpfen Schmerz, der in mir arbeitet und den ich wahrnehme, als würden sich zwischen ihm und mir mehrere Lagen Watte befinden. Im Gegensatz dazu nehme ich die beiden Arme, die mich noch immer halten, kein bisschen gedämpft wahr. Ich wundere mich, dass sie jetzt, da das Gröbste überstanden zu sein scheint, nicht verschwinden. Das ist aber auch der einzige klare Gedanke, den ich fassen kann. Wohlig warm ist mir in der Umarmung, die mich hält und ich will gar nichts: Alles ist egal, nichts ist geblieben, dass in irgendeiner Art und Weise von Bedeutung ist.

Die beiden Arme ziehen mich nach oben und versuchen, mich auf die Beine zu stellen. Es dauert ein wenig, ehe es gelingt. Alles wirkt wacklig und unsicher, die Welt schwankt in ungleichförmigen Halbkreisen. Auf einen Schlag kehrt der Ton zurück, erst jetzt wird mir bewusst, dass ich in den letzten Minuten nichts gehört habe: Das abgestürzte Flugzeug steht in Flammen, das Feuer prasselt, Menschen schreien wie am Spieß, Kinder weinen und Sanitäter schreien. Um mich herum füllt sich das Feld plötzlich. Eine Sanitäterin fragt einen Mann, der neben mir steht, wie es ihm geht und wendet sich dann einer verletzten Frau zu. Die Arme, die noch immer um meine Taille liegen, schieben mich nach vorne. Sie drücken mich, ohne mich auch nur für eine Sekunde lang loszulassen, sanft, aber bestimmt, gegen die Sanitäterin, die sich mir zuwendet. Als sie mich ansieht, weiten sich ihre Augen. 

Ich will etwas sagen, will der Sanitäterin sagen, dass es mir gut geht und sie sich viel lieber um die schlimmer Verletzten kümmern soll, aber irgendwie ist die Verbindung zwischen meinem Kopf und meinem Mund gekappt. Dem erschreckten Blick der Sanitäterin folgend, sehe ich an mir herunter. Ich kann das gar nicht verstehen, was ich da sehe. 
Meine Arme stehen in einem vollkommen absurden Winkel von mir ab, die Knochen stehen wüst aus der Haut heraus, die plötzlich so dünn wie Pergamentpapier zu sein scheint. Ich wundere mich, dass ich kaum Schmerz fühle. Weil ich mich nicht artikulieren kann, reiche ich der Sanitäterin eine meiner Hände, als würde ich ihr einen Guten Tag wünschen wollen, um ihr zu bedeuten, dass wirklich alles in Ordnung ist. Verblüfft sieht sie mich an. Ich will mich abwenden, aber wieder drücken mich die Arme, die mich halten, näher zu der Sanitäterin. Diese redet Dinge, die mein Kopf nicht richtig verarbeiten kann. Das Wort „Schock“ fällt. Als sie davon spricht, dass sie meine Arme und Beine irgendwo einhängen will, um sie zu richten, wird mir plötzlich ganz übel. Von einer Sekunde zur nächsten fange ich an, wie verrückt zu zittern. Von innen nach außen durchfährt mich ein hartes, unkontrolliertes Beben. Plötzlich ist da ganz viel Blut auf meiner Kleidung und meiner Haut, ein eisenhaltiger, schwerer Geschmack liegt mir auf der Zunge und Schmerz wird laut, grell und unüberhörbar. Ich spüre, wie meine Knie immer weicher werden und sich langsam alles beginnt zu drehen, bis ich so schnell Karussell fahre, das alles um mich herum zu einer bunten Masse verschwimmt. 
Als ich zusammensacke denke ich: Komisch. Eigentlich geht es mir doch gut.




(Weil ich unlängst gefragt wurde, ob ich auch Albträume so intensiv träume. 
Ganz klar: Ja.)

Kommentare

  1. Und jetzt frage ich mich: War es richtig zu fragen?

    M.

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    1. Ich glaube schon. Du wirst lachen: Letzte Nacht habe ich tatsächlich eine Variation dieses Traumes geträumt. Und plötzlich haben, wenn auch nicht ganz unverletzt, alle Insassen des Flugzeuges überlebt. Was ziemlich gut war, denn im Flugzeug saßen nur Menschen, die mir sehr viel bedeuten...

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