Von verhexten Beziehungen

In den letzten Minuten hab ich viele Sätze getippt, nur um sie anschließend wieder zu löschen. Ich kann fühlen, was ich schreiben will, aber es fällt mir schwer, es auf den Punkt zu formulieren: Es beschäftigt mich seit ein paar Tagen mal wieder intensiv, dass ich in den allermeisten meiner Beziehungen das Gefühl habe, nicht gesehen zu werden und nicht gut genug zu sein.  Da ist zum Beispiel die enge Freundin, die mir Tag und Nacht WhatsApp-Nachrichten schreibt, mich quasi in Echtzeit an ihrem Seelenleben teilhaben lässt, aber nicht einmal auf die Idee kommt, mich zu fragen, was los ist, obwohl ich klar formuliere, dass es mir nicht gut geht. Da ist der Mann, der in all den Jahren nicht auf die Idee gekommen ist, mich heiraten zu wollen. Vermutlich weil ich nicht gut genug bin. Was einerseits okay ist, weil ich nicht heiraten will, aber andererseits in stummer Beharrlichkeit das Gefühl in mir erzeugt hat, dafür wohl nicht gut genug zu sein. Ein Gefühl, das schmerzt. Da ist die Freundin

Vom Zufluchtsort

„Denn Zeit ist Leben. Und das Leben wohnt im Herzen.“

(Michael Ende: Momo)

Ich mag die Art, wie er sein Leben lebt. Er hat sich fast vollkommen aus der Gesellschaft zurückgezogen, lebt annähernd autark. Weil er nicht oft seinen Wald verlässt, sieht er immer ein bisschen schlumpelig aus. Die grauen Haare sind meistens ein wenig zauselig und zu lang, seine Kleidung wirkt alt und manchmal etwas zu groß und seine Schuhe sind ganz ausgetreten. Wann immer ich ihn besuche, erwartet er mich an dem großen hölzernen Tor seines Grundstückes. In seinen Augen spiegelt sich die Freude darüber, mich zu sehen und die Pfeife, die zu fast jeder Tages- und Nachtzeit seinen Mundwinkel ziert, wippt lustig, wenn er seine Lippen zu einem warmen Lächeln verzieht. Sein liebes, vom Leben gegerbtes Gesicht öffnet mir das Herz.

Wann immer ich ihn besuche, lerne ich etwas. Über die Arbeit mit den Händen, über Selbstorganisation, Bescheidenheit, mich selbst und nicht zuletzt über das Leben. Dabei ist es ganz egal, wie lange ich bei ihm verweile. Es gibt immer etwas in ihm, das nur für mich ist, etwas, dass er mir mitgibt, um es in mir zu bewegen, mich zu fordern und zum Nachdenken anzuregen. Manchmal lerne ich auch praktische Dinge. Er zeigt mir, wie ich Betten oder Schränke, Treppen oder Geländer baue, ein Dach decke, tapeziere, Holz spalte, Stein bearbeite oder Schriftbalken vergolde. Hier füttere ich Hühner, melke die Kuh und ernte, was je nach Jahreszeit zu ernten ist. Ich lerne es, die Dinge, die mich umgeben, wertzuschätzen, sie mit Sorgfalt zu behandeln und sie nicht abzunutzen, sondern nur dann zu verwenden, wenn es wirklich notwendig ist. Vor allem lerne ich es, ein jedes Ding zu lieben.

Nach einem Tag voller harter, körperlicher Arbeit, heizt er den alten Kachelofen an, kocht uns eine Kanne heißen Tee und schmiert uns Butterbrote, während er mir kleine Geschichten aus seinem Leben erzählt. Sie sind stets voller Sanftmut, Liebe und Weisheit, egal, welches Thema sie berühren. Dabei verzichtet er auf jeglichen moralischen Fingerzeig, auf Reue und Bitterkeit. Selbst wenn er vom Krieg und seiner Flucht nach Deutschland spricht, bleibt er gütig und offen. Er lehrt mich, Glück und Unglück anzunehmen, weich zu bleiben und mit dem, was mir das Leben geben will, umzugehen.

An manchen Abenden verzichten wir ganz auf Worte. Stattdessen halten wir die Zeit an. Er greift zu seiner selbstgebauten Geige, führt sie zum Kinn und gibt sich, mit geschlossenen Augen, seiner Musik hin. Manchmal bittet er mich, ihn am Klavier zu begleiten. Meistens mache ich es mir aber auf dem alten Sofa, das neben dem warmen Ofen steht, gemütlich, ziehe mir die Decke bis zur Nasenspitze und höre ihm zu. Während ich die schnurrende Katze, die sich auf meinen Beinen zusammengerollt hat, streichle, verliere ich mich in meinen Gedanken, in ihm, in mir und dem Moment. Zwischen den bunt gefüllten Bücherregalen, die uns umgeben, gleite ich sanft in den Schlaf hinüber und finde Frieden.

Mitten in der Nacht weckt er mich behutsam, um mich ins Bett zu schicken. Wenn ich dort liege, direkt unter dem Dach, ganz vergraben unter der dicken Federbettdecke, fällt mein Blick aus dem Fenster, das sich über mir befindet. In einer wolkenlosen Nacht sieht man hier so unendlich viele Sterne... Mit jeder Faser meines Körpers spüre ich die Stille in mir und öffne mich für die Geräusche der Nacht. Wenn die Mäuse damit beginnen, quietschend über die Dachpappe zu rutschen, habe ich manchmal das Gefühl, jetzt besser zu wissen, worum es im Leben geht.


Kommentare

  1. So jemanden hätte ich auch gerne gekannt.
    Bzw., eigentlich ist das Präteritum in dem Satz falsch.

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  2. Wo der schon ist, will ich grad hin. Und ich weiß eine Frau an meiner Seite, die diesen Weg mitgehen will.

    Gut: ohne die Geige und das Klavier vielleicht. [Das wäre jedenfalls gewisslich besser für alle Beteiligten.^^]

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    1. Dann hoffe ich, dass alle eure Träume und Wünsche in Erfüllung gehen. :-)

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