Von der anderen Liebe

"Es geht nicht um mich.", sagt er, "Es geht um dich. Es geht immer nur um dich." Seine Arme legen sich um mich, fangen mich auf, er vergräbt flüsternd die Nase in meinem Haar. "Es geht um dich. Es geht um dich. Es geht um dich.", flüstert er und jedes einzelne Wort fühlt sich an, als würde es tief in mich hineinfallen und mich von innen auftauen. Ich glaube, es ging noch nie in meinem Leben um mich. Natürlich tut es das auch jetzt nicht. (Weil es um ihn geht. Ist doch klar.) Aber es tut mir so gut, dass da jemand ist, der mich sieht. Der ohne eine einzige Forderung zu stellen, da ist, mich lieb hat und annimmt, ohne mich ändern zu wollen. Der einfach dankbar nimmt, was ich zu geben habe, ohne mir im Anschluss den Arm auszureißen und mich zu mehr zu drängen als ich geben will. Jemand, der so ein großes Herz hat, so warmherzig, gütig und voller Liebe ist. Ja, vielleicht ist das alles nur eine Momentaufnahme. Vielleicht wird morgen schon alles ganz anders sei

Vom Zufluchtsort

„Denn Zeit ist Leben. Und das Leben wohnt im Herzen.“

(Michael Ende: Momo)

Ich mag die Art, wie er sein Leben lebt. Er hat sich fast vollkommen aus der Gesellschaft zurückgezogen, lebt annähernd autark. Weil er nicht oft seinen Wald verlässt, sieht er immer ein bisschen schlumpelig aus. Die grauen Haare sind meistens ein wenig zauselig und zu lang, seine Kleidung wirkt alt und manchmal etwas zu groß und seine Schuhe sind ganz ausgetreten. Wann immer ich ihn besuche, erwartet er mich an dem großen hölzernen Tor seines Grundstückes. In seinen Augen spiegelt sich die Freude darüber, mich zu sehen und die Pfeife, die zu fast jeder Tages- und Nachtzeit seinen Mundwinkel ziert, wippt lustig, wenn er seine Lippen zu einem warmen Lächeln verzieht. Sein liebes, vom Leben gegerbtes Gesicht öffnet mir das Herz.

Wann immer ich ihn besuche, lerne ich etwas. Über die Arbeit mit den Händen, über Selbstorganisation, Bescheidenheit, mich selbst und nicht zuletzt über das Leben. Dabei ist es ganz egal, wie lange ich bei ihm verweile. Es gibt immer etwas in ihm, das nur für mich ist, etwas, dass er mir mitgibt, um es in mir zu bewegen, mich zu fordern und zum Nachdenken anzuregen. Manchmal lerne ich auch praktische Dinge. Er zeigt mir, wie ich Betten oder Schränke, Treppen oder Geländer baue, ein Dach decke, tapeziere, Holz spalte, Stein bearbeite oder Schriftbalken vergolde. Hier füttere ich Hühner, melke die Kuh und ernte, was je nach Jahreszeit zu ernten ist. Ich lerne es, die Dinge, die mich umgeben, wertzuschätzen, sie mit Sorgfalt zu behandeln und sie nicht abzunutzen, sondern nur dann zu verwenden, wenn es wirklich notwendig ist. Vor allem lerne ich es, ein jedes Ding zu lieben.

Nach einem Tag voller harter, körperlicher Arbeit, heizt er den alten Kachelofen an, kocht uns eine Kanne heißen Tee und schmiert uns Butterbrote, während er mir kleine Geschichten aus seinem Leben erzählt. Sie sind stets voller Sanftmut, Liebe und Weisheit, egal, welches Thema sie berühren. Dabei verzichtet er auf jeglichen moralischen Fingerzeig, auf Reue und Bitterkeit. Selbst wenn er vom Krieg und seiner Flucht nach Deutschland spricht, bleibt er gütig und offen. Er lehrt mich, Glück und Unglück anzunehmen, weich zu bleiben und mit dem, was mir das Leben geben will, umzugehen.

An manchen Abenden verzichten wir ganz auf Worte. Stattdessen halten wir die Zeit an. Er greift zu seiner selbstgebauten Geige, führt sie zum Kinn und gibt sich, mit geschlossenen Augen, seiner Musik hin. Manchmal bittet er mich, ihn am Klavier zu begleiten. Meistens mache ich es mir aber auf dem alten Sofa, das neben dem warmen Ofen steht, gemütlich, ziehe mir die Decke bis zur Nasenspitze und höre ihm zu. Während ich die schnurrende Katze, die sich auf meinen Beinen zusammengerollt hat, streichle, verliere ich mich in meinen Gedanken, in ihm, in mir und dem Moment. Zwischen den bunt gefüllten Bücherregalen, die uns umgeben, gleite ich sanft in den Schlaf hinüber und finde Frieden.

Mitten in der Nacht weckt er mich behutsam, um mich ins Bett zu schicken. Wenn ich dort liege, direkt unter dem Dach, ganz vergraben unter der dicken Federbettdecke, fällt mein Blick aus dem Fenster, das sich über mir befindet. In einer wolkenlosen Nacht sieht man hier so unendlich viele Sterne... Mit jeder Faser meines Körpers spüre ich die Stille in mir und öffne mich für die Geräusche der Nacht. Wenn die Mäuse damit beginnen, quietschend über die Dachpappe zu rutschen, habe ich manchmal das Gefühl, jetzt besser zu wissen, worum es im Leben geht.


Kommentare

  1. So jemanden hätte ich auch gerne gekannt.
    Bzw., eigentlich ist das Präteritum in dem Satz falsch.

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  2. Wo der schon ist, will ich grad hin. Und ich weiß eine Frau an meiner Seite, die diesen Weg mitgehen will.

    Gut: ohne die Geige und das Klavier vielleicht. [Das wäre jedenfalls gewisslich besser für alle Beteiligten.^^]

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    1. Dann hoffe ich, dass alle eure Träume und Wünsche in Erfüllung gehen. :-)

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