Von verhexten Beziehungen

In den letzten Minuten hab ich viele Sätze getippt, nur um sie anschließend wieder zu löschen. Ich kann fühlen, was ich schreiben will, aber es fällt mir schwer, es auf den Punkt zu formulieren: Es beschäftigt mich seit ein paar Tagen mal wieder intensiv, dass ich in den allermeisten meiner Beziehungen das Gefühl habe, nicht gesehen zu werden und nicht gut genug zu sein.  Da ist zum Beispiel die enge Freundin, die mir Tag und Nacht WhatsApp-Nachrichten schreibt, mich quasi in Echtzeit an ihrem Seelenleben teilhaben lässt, aber nicht einmal auf die Idee kommt, mich zu fragen, was los ist, obwohl ich klar formuliere, dass es mir nicht gut geht. Da ist der Mann, der in all den Jahren nicht auf die Idee gekommen ist, mich heiraten zu wollen. Vermutlich weil ich nicht gut genug bin. Was einerseits okay ist, weil ich nicht heiraten will, aber andererseits in stummer Beharrlichkeit das Gefühl in mir erzeugt hat, dafür wohl nicht gut genug zu sein. Ein Gefühl, das schmerzt. Da ist die Freundin

Vom Opfersein


 (Mir war schon bewusst, dass die Netflix-Serie "Tote Mädchen lügen nicht", die in den Medien ja relativ kontrovers diskutiert wurde, nicht spurlos an mir vorbeigeht. Sie mir anzusehen ist eine Aufgabe, die ich mir selbst gestellt habe. Manchmal ist es mir wichtig, mir selbst zu beweisen, dass ich keine Angst mehr haben muss. Weder vor Erinnerungen, noch vor den Gefühlen, die diese in mir lostreten. Aber ein paar von den Empfindungen, die die Serie in mir hervorruft, muss ich hier parken. Damit ich sie wieder loslassen kann. Kompensations-Schreiben halt. Ihnen ist ja bewusst, dass dieser Blog fast ausschließlich ungefiltertes Kopfchaos von mir enthält. Hoffe ich.)


"Gewalt nimmt nicht immer sichtbare Formen an, und nicht bei allen Verletzungen fließt Blut."

(Haruki Murakami: IQ84)


Opfer sein. Ich war für zwei Jahre Opfer. Auf dem Schulhof. Drohungen, Nötigung, psychische und physische Gewalt. Jungs sind zwar grob, aber Mädchen sind grausam. Das ist es zumindest, was ich denke, wenn ich heute mein linkes Handgelenk ansehe und neben ein paar Narben, die nur für mich noch sichbar sind, die Mine eines Druckbleistiftes sehe, die seit Jahren unter meiner Haut liegt.

Viele Jahre später treffe ich einen der Täter wieder. Es ist eine Zufallsbegegnung. Er läuft auf offener Straße an mir vorbei. Während ich spüre, wie mir die Farbe aus dem Gesicht weicht und mein Körper, bis in die letzte Faser hinein, zu zittern beginnt, erkennt er mich nicht wieder. Das ist in gewisser Weise nachvollziehbar, denn das hässliche Entlein ist heute nicht mehr ganz so hässlich. Kein strenger Pferdeschwanz, keine Nickelbrille, kein flaches Brett mehr ohne Brüste.
"Ist alles in Ordnung?", fragt mein bester Freund, der neben mir läuft, besorgt und mustert mich verwundert. Ich schüttle still den Kopf. Mir ist schwindlig.
"Du bist plötzlich so blass. Hast du gerade einen Geist gesehen..?", fragt er.
Meine Stimme ist so heiser, dass ich drei Anläufe brauche, um ihn zu bitten, mit mir die Straßenseite zu wechseln. Und ich bin ihm dankbar, dass er mich nicht dazu drängt, ihm zu erzählen, was gerade in mir vorgeht.

Aber all das ist lange her. Zu behaupten, dass mich diese Zeit nicht mehr beschäftigt, wäre sicher gelogen. Ich vermute, dass eine ganze Menge meiner Selbstzweifel aus dieser Zeit herrühren. Das Gefühl, abstoßend und nicht liebenswert zu sein, zum Beispiel. Es ist einfach, gequält zu werden. Opfer zu sein. Aber noch viel einfacher ist es im Grunde genommen, sich selbst durch die Augen dieser Menschen zu sehen. Sich selbst gegenüber Verachtung und Abscheu zu empfinden. Sich selbst abzuwerten. Für wertlos zu halten.

Ich habe viel über diese Zeit damals nachgedacht. Heute glaube ich, dass ich eine Teilschuld daran trage, wie ich behandelt wurde. Denn ich habe mich zum Opfer machen lassen. Ich war zu jung, zu linkisch, zu kindisch. In einem Wort: Unterentwickelt. Körperlich und geistig. Mich zu wehren, mich abzugrenzen, "Nein" zu sagen habe ich nie gelernt. Und besonders mutig war ich auch nicht. Eher scheu. Zu sanft, zu introvertiert, zu verträumt.
Gerettet hat mich damals ein Schulwechsel. Vermutlich, mehr oder weniger, in letzter Sekunde. Ich kann mich noch daran erinnern, dass ich an diesen Schulwechsel mit den Gedanken herangegangen bin: "Jetzt oder nie. Du setzt alles auf eine Karte. Entweder du schaffst jetzt einen Neustart oder du beendest es."
Ich hatte keine Lust mehr auf Leben. Man vermag nicht zu glauben, wie wenig Lust ein kleiner Mensch auf Leben haben kann, wenn das Leben so scheiße zu ihm ist.

Aber, um ganz ehrlich zu sein, es gibt auch gute Dinge, die ich aus dieser Zeit mitgenommen habe.
Egal, wie blöd ich meinen Gegenüber finde, ich bleibe freundlich. Es ist mir einfach nicht möglich, jemanden grundlos scheiße oder unfair zu behandeln. Das ist, wie ich später auf der neuen Schule lerne, aber keineswegs selbstverständlich: Ich mache die Erfahrung, dass ganz besonders Menschen, die schon einmal selbst Opfer waren, dazu neigen, später zu Tätern zu werden. Einen von ihnen habe ich mal auf sein Verhalten angesprochen. Kurz nachdem er, in einer Gruppe natürlich, einen Mitschüler unter Androhung von körperlicher Gewalt dazu gezwungen hat, seine Spucke mit den Fingern auf dem Treppengeländer zu zerreiben. Zumindest bis ich dazu kam. Ich habe gefragt: "Wie kannst du das tun? Wie kannst du jemanden so unmenschlich behandeln? Gerade du müsstest doch wissen, wie sich schlimm es sich anfühlt, erniedrigt zu werden?" Man kann sich die Antwort denken: "Lieber nicht aus der Reihe fallen. Lieber Unrecht begehen, aber sich dafür einer Gruppe zugehörig fühlen. Nur nie wieder selbst zum Opfer werden." Mich hat das damals zutiefst erschrocken.
Und noch etwas gibt es, was ich aus dieser Zeit mitgenommen habe. Ich verfüge über eine Fähigkeit, von der die meisten Menschen nicht glauben, dass es sie wirklich gibt: Ich bin richtig gut darin, mich unsichtbar zu machen. Aber ich bin wirklich froh, dass ich auf diese Fähigkeit schon seit Jahren nicht mehr zurückgreifen muss.


Kommentare

  1. Es gibt einen Punkt, bei dem ich Dir widersprechen möchte. Du bist nicht aktiv Opfer geworden. Denn das hieße, dass Du jemand zum Täter hättest machen können und das ist nicht möglich.

    Und ich finde, dass Du schon sehr weit gekommen bist, denn ich hätte mir eine Serie, die meinen Seelenschatten so nahe kommt, nicht ansehen können. Bei solchen Fernsehabenden habe ich dann irgendwie immer etwas anderes zu tun ;-)

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    1. Hm. Aber... ich habe schon eine Steilvorlage geboten. Ich glaube, ich muss über deine Worte nachdenken...

      Es gibt verschiedene Angst-Typen. Ich bin jemand, der mittlerweile sehr dazu neigt, sich mit seinen eigenen Ängsten zu konfrontieren, sich bewusst in Angst-Situationen hinein zu begeben, um mir selbst zu beweisen, dass die Angst nicht so groß ist, wie sie sich anfühlt.

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