Vom Zufall

Wir verbringen Weihnachten in meiner alten Unistadt Magdeburg. Heute Abend wollten wir auf den Weihnachtsmarkt, an unserem früheren Lieblingsglühweinstand, Glühwein trinken. Es ist nur einem glücklichen, kleinen Zufall geschuldet, dass meine Familie heute Abend nicht dort war. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir unter den Verletzten oder Toten gewesen wären, wäre hoch, denn mein Lieblingsglühweinstand ist auf dem Video, das durchs Netz geistert und zeigt, wie das Auto über den Weihnachtsmarkt gesteuert wird und reihenweise Menschen erfasst, gut zu sehen. Seit Stunden steht der Hubschrauber über der Innenstadt. Ab und zu hört man noch vereinzelt Sirenen. Die Straßenbahnen fahren leer. Und trotzdem ist es auf einmal, als ob Magdeburg den Atem anhält. Es ist zu still. Es ist furchtbar. Und ich bin irgendwie konfus, komme nicht zur Ruhe. Vielleicht liegt das auch daran, dass mein Handy permanent piept. Es haben doch deutlich mehr Menschen mitbekommen, wo wir die Feiertage verbringen, als ich ...

Von Kinderbitten

"Hanne?", fragt Luki leise.
"Mmh?", ich wende mich ihm zu, während ich darauf warte, dass mein Kind sein Spiel beendet und sich anzieht.
"Kannst du meiner Mama eine WhatsApp-Nachricht schreiben, dass sie mir morgen für den Ausflug ein Frühstück mit gibt?"
Ich muss schlucken. Mein Herz brennt lichterloh, wenn ich versuche mir vorzustellen, wieviel Überwindung es ihn kosten muss, mich das zu fragen. 
"Ja, das kann ich machen, Großer.", antworte ich schlicht. Ich bewerte nichts - weder seine Frage noch die Möglichkeit, dass seine Eltern das Ausflugsfrühstück vergessen könnten. Und das tue ich absichtlich. Ich möchte, dass er sich bei mir sicher fühlt. Einerseits bin ich ein bisschen stolz darauf, dass er sich traut, mich anzusprechen und mir die Möglichkeit gibt, ihm zu helfen. Andererseits macht es mich einfach traurig, dass ein fünf Jahre altes Kind das Gefühl hat, sich selbst organisieren zu müssen, um ausreichend versorgt zu werden.
"Du, Hanne?", fragt er leise.
"Ja, Luki?"
Er schaut auf seine Schuhspitzen.
Als ich schon fast nicht mehr daran glaube, dass er noch etwas sagen wird, setzt er schließlich doch zögerlich an:
"Und wenn sie es trotzdem vergessen...", er holt tief Luft. "Und wenn sie es trotzdem vergessen", wiederholt er und sucht jetzt meinen Blick, "Dann machen wir es einfach so wie letztes Mal, ja?" In seinen Worten schwingen Unsicherheit und Hoffnung mit.
Ich lächle ihn an.
"Genauso machen wir das.", verspreche ich leise, "Wenn sie es vergessen, sagst du mir das einfach."

Kommentare

  1. Luki hat das Pech, solche Eltern zu haben.
    Aber er hat das große Glück, den Mut gehabt zu haben, Dich anzusprechen und in Dir eine Unterstützung gefunden zu haben.

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    1. Ich weiß nicht, ob man von Pech reden kann. Seine Eltern lieben ihn sicher. Aber sie haben eben auch viele andere Dinge im Kopf, gehen arbeiten, bekommen zu wenig Geld für zuviel Arbeit, müssen sich um diverse Tiere kümmern. Ich denke, ihre Prioritäten sind vielleicht überarbeitungswürdig. Andererseits laufe ich nicht in ihren Schuhen. Ich habe keine Ahnung, warum sie was wie tun und mir steht gewiss auch kein Urteil zu.
      Allerdings kann es nie schaden, eine Unterstützung zu haben - und die wünsche ich jedem, und ganz besonders jedem Kind dort draußen.

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  2. Gar nichts geben, geht gar nicht. Ich hatte damals nicht die Zeit etwas vorzubereiten, bin dann mit ihnen zum Bäcker damit sie Frühstück dabei haben. Jetzt mache ich Frühstück, Brotzeit und Mitagessen (zum mitnehmen).

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    1. Genau. Es gibt immer eine Lösung und auch ein schnelles Frühstück vom Bäcker ist eine solche.
      (Allerdings ist dir meine grenzenlose Bewunderung sicher, wenn du schreibst, dass du drei Mahlzeiten vorbereitest! Das ist alltagsheldenhaft.)

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    2. Man(n) ist kein "Alltagsheld", wenn man sich um die Bedürfnisse des Kindes sorgt. Bei den beiden "Großen" konnte ich das aus beruflichen Gründen nicht. Bei dem "Kleinen" ist das jetzt möglich.

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    3. Ganz streng betrachtet hast du natürlich recht. Aus der Sicht einer Person heraus, die jeden Morgen nach viel zu wenig Schlaf in der Küche steht und zwei Brotdosen vorbereitet, finde ich drei Brotdosen dennoch viel. Und man darf doch auch "selbstverständliche" Dinge einfach mal feiern, ganz unabhängig vom Geschlecht des bzw. der Zubereitenden. :-) (Ehrlich gesagt, feiere ich mich manchmal sogar selbst dafür, dass ich das mit den Brotdosen, auch wenn es nur zwei sind, gut hinbekomme. Ich hätte nämlich niemals erwartet, dieses Maß an Selbstorganisation erreichen und eines Tages von mir behaupten zu können, dass die Kinder in dieser Familie gut und ausgewogen ernährt werden. Weil ich selbst nie jemand war, der sich wirklich gut ernährt hat. Deshalb kostet mich das Überwindung und manchmal auch Kraft. Davon abgesehen glaube ich, das wir solche Dinge generell viel mehr wertschätzen sollten.)

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