Von verhexten Beziehungen

In den letzten Minuten hab ich viele Sätze getippt, nur um sie anschließend wieder zu löschen. Ich kann fühlen, was ich schreiben will, aber es fällt mir schwer, es auf den Punkt zu formulieren: Es beschäftigt mich seit ein paar Tagen mal wieder intensiv, dass ich in den allermeisten meiner Beziehungen das Gefühl habe, nicht gesehen zu werden und nicht gut genug zu sein.  Da ist zum Beispiel die enge Freundin, die mir Tag und Nacht WhatsApp-Nachrichten schreibt, mich quasi in Echtzeit an ihrem Seelenleben teilhaben lässt, aber nicht einmal auf die Idee kommt, mich zu fragen, was los ist, obwohl ich klar formuliere, dass es mir nicht gut geht. Da ist der Mann, der in all den Jahren nicht auf die Idee gekommen ist, mich heiraten zu wollen. Vermutlich weil ich nicht gut genug bin. Was einerseits okay ist, weil ich nicht heiraten will, aber andererseits in stummer Beharrlichkeit das Gefühl in mir erzeugt hat, dafür wohl nicht gut genug zu sein. Ein Gefühl, das schmerzt. Da ist die Freundin

Von noch mehr Tagebuchsachen

Fieber messen.
OP-Kleidung anziehen.
Zugang legen lassen.
Blutdruck messen.
Als ich im Krankenhaus ankomme, liegt mein Blutdruck erstaunlicherweise irgendwo bei "scheintot". Dieses eine Mal verwundert mich das nicht. Er spiegelt vermutlich mein Innenleben. Ich fühle mich vollkommen gefühlstaub. Alles, was ich weiß, ist, dass ich hier nicht sein will. Aber genauso wenig besitze ich die Geduld, auf einen natürlichen Abgang zu warten. Der sich tage- bis wochenlang hinziehen könnte und nicht unbedingt ungefährlich sein muss. Dann will ich lieber einen klaren Schnitt. Möglichst brutal und bitte so schmerzhaft wie möglich. Damit ich weiß, dass es vorbei ist. Vielleicht kann ich mich dann auch wieder spüren.

In dem Zimmer, das ich mit drei anderen Frauen teile, rolle ich mich in meinem Bett zusammen, verstecke mich tief unter der Bettdecke, schließe die Augen und grenze mich aus. Ich will keine Gespräche. Nur meine Ruhe. Die Russin, im Bett neben mir, telefoniert durchgängig. Eine der anderen Frauen raschelt stetig, weil sie sich eine Süßigkeit nach der anderen in den Mund schiebt. Die dritte ist handysüchtig. Ihr Telefon vibriert permanent. Mir ist all das egal. Ich bin einfach nur froh, dass irgendjemand empathisch genug war, mich nicht mit drei hochschwangeren Frauen auf ein Zimmer zu legen.
Also schließe ich die Augen und lausche.
Meine Bettnachbarinnen erzählen sich Geschichten über Brustkrebs und Eierstocktumore.
Die Putzfrauen berichten, dass sie unterbesetzt sind und 9 Minuten Zeit haben, um jedes Patientenzimmer zu reinigen.
Ein paar Ärzte, die zur Visite kommen, rätseln darüber, warum die Patientin im Bett gegenüber Schmerzen beim Wasserlassen hat. Am Ende beschließen sie, sie auf die Urologie zu verlegen. Dort wäre sie besser aufgehoben.

Ich bin müde.
Wie gerne würde ich schlafen.
Aber ich kann nicht.
Das Aufwachen gruselt mich noch immer.

Eigentlich hatte ich gehofft, im Krankenhaus irgendein Beruhigungsmittel zu bekommen. Irgendetwas was mich runterbringt. Aber die LMAA-Tablette darf ich erst kurz vor der OP zu mir nehmen. Und weil niemand weiß, wann man mich spontan im OP-Plan unterbringen kann, ist es erst nach fünf Stunden soweit. Dafür geht dann alles ganz schnell. So schnell, dass die scheiß Tablette nicht mal ihre Wirkung entfalten kann. Das denke ich jedenfalls, als ich zu OP-Saal Nummer 10 geschoben werde. Und dann wieder zurück in die OP-Vorbereitung. Weil ein Notfall - akute Gefäßblutung - Vorrang hat. Die Minuten reihen sich an einander. Immer wieder lausche ich in mich hinein:
Wirkt die Tablette schon?
Ist mir endlich alles egal?
Die Antwort lautet jedes einzelne Mal: nein.
Es tut immer noch weh.
Aber weil der aufsehende Arzt sich fast schon liebevoll um mich kümmert, mich nach vielleicht einer Stunde Wartezeit von Kopf bis Fuß in eine wärmende Heizdecke einhüllt, döse ich irgendwann halbwegs weg. Ich spüre, das mein Körper völlig erschöpft ist. Zucke immer mal wieder panisch aus dem Schlaf hoch. Nur um mich dann wieder zu entsinnen, wo ich bin. Und alles irgendwie wieder von vorne zu fühlen.

Nach zwei weiteren Stunden werde ich schließlich in den OP geschoben.
Auf dem Weg dahin wird mir schlagartig klar, dass die LMAA-Tablette nach so viel vergangener Zeit schon längst ihre Wirkung verloren haben muss. Ich spüre, wie mein Herz in meinem Brustkorb schlägt. Und als man schließlich meine Handgelenke auf so einer Art schmalen Beistelltischen mit Klettverschlussmanschetten fixiert, weiß ich plötzlich, dass es das jetzt war. Dass es gleich vorbei sein wird. Und das ich das nicht kann. Ich bin nicht bereit dafür. Meine Hand zuckt in der Fixierung, weil ich sie auf meinen Bauch schieben will. Karl "Krümel" Löwenherz beschützen muss. Oder mich wenigstens verabschieden. Aber die Fixierung löst sich nicht. Stattdessen streicht die Intensivschwester immer wieder zart mit ihren Fingerspitzen über die Innenseite meines Unterarmes. Jemand flüstert beruhigende Worte, während mir die Narkoseärztin behutsam ihre Hand an die Wange legt und mir die Atemmaske über Mund und Nase stülpt. Tief einatmen, sagt sie. Würde ich gerne. Kann ich aber nicht. Denn wenn ich einatme, kann ich nicht mehr die Luft anhalten und ich muss die Luft anhalten, um nicht laut loszuschluchzen. Aber weil ich keine Luft bekomme, bekomme ich stattdessen Panik. Also muss ich irgendwann doch einatmen. Plötzlich fließen eine Menge Tränen.
Für einen kurzen Augenblick frage ich mich, ob ich mich schämen muss.
Aber eigentlich ist es auch egal.
Weil alles egal ist.
Jemand fragt: Wieviel?
Eine andere Stimme antwortet ruhig: Die volle Dosis.
Ich denke, dass ich nicht einschlafen werde, dass ich wachbleiben muss, aber bereits nach dem dritten oder vierten tiefen Luftschnappen habe ich das Gefühl, an dem Narkosemittel zu ersticken. Und dann verliere ich den Kampf.

Als ich wieder aufwache, befinde ich mich noch immer im OP, aber die Fixierung ist schon gelöst. Die OP hat fast 20 Minuten länger gedauert, als ursprünglich angesetzt. Noch ziemlich weggetreten wische ich mir über die Augen. Frage mich, warum mein Gesicht noch immer tränennass ist. Verliere den Gedanken aber wieder. Nach dem Wechsel von der OP-Liege auf das Krankenhausbett bin ich völlig erschöpft. Jemand flüstert noch, dass alles gut verlaufen ist. Ich habe Durst. Seit fast 24 Stunden habe ich nichts mehr getrunken. Aber eigentlich ist das auch unwichtig. Noch während ich in den Aufwachraum gefahren werde, bin ich schon wieder dabei, in den Schlaf zu entgleiten. Dankbar für jede Sekunde Nichtsfühlen, die ich bekommen kann.
Mit geschlossenen Augen höre ich, wie eine Schwester erzählt, dass in OP-Saal 1 gerade eine Frau entbindet.
35. Schwangerschaftswoche.
Sie weiß erst seit ihrer Einlieferung ins Krankenhaus, vor ein paar Stunden, dass sie schwanger ist.
Meine Hand schiebt sich suchend auf meinen Bauch.
Kein Gefühl von Leere.
Einfach gar kein Gefühl.
Aber schon wieder Tränen.
Meine Nerven sind definitiv zu dünn.
Der Schlaf zieht mich mit sich.

Einen Tag später fühle ich mich etwas gefestigter. Das meint: Ich kann sprechen, ohne zu weinen. Und deshalb frage ich mich, ob es nicht sinnvoll ist, einfach wieder arbeiten zu gehen.
Aber als ich auf Arbeit anrufe, spricht mir mein Chef ein Arbeitsverbot aus:

Nehmen Sie sich JETZT die Zeit zu verarbeiten, was passiert ist.
Sonst holt es Sie irgendwann wieder ein.

Ich bin nicht sicher, was ich verarbeiten soll.
Das Leben geht irgendwie weiter.
Muss ja.
Ich komme zurecht.
Aber ich will so etwas niemals, niemals, niemals wieder erleben.

Kommentare

  1. Liebes Muschelmädchen, ich hab ganz sehr an Dich gedacht.
    Deinen Wunsch nach Arbeit kann ich total nachvollziehen, aber ich muss auch sagen: Du hast einen wirklich guten Chef.

    AntwortenLöschen
  2. Was Helma sagt.
    Auch meine Gedanken waren und sind bei dir.
    Gwen

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ich danke dir.
      Das wird schon alles wieder, nicht wahr?
      Muss ja. Wird schon.

      Löschen
  3. Ich habe für das alles keine passenden Worte.
    Wenn es Dir guttut, dann nehm ich Dich jetzt mal virtuell in den Arm.
    Wenn es Dir guttut, sitz ich einfach nur schweigend neben Dir.
    Ich wünsche Dir alles Gute.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Danke, lieber Heiko, für die Anteilnahme.
      Passende Worte zu finden, fällt mir auch oft schwer. Das ist einer der Gründe, warum ich recht wenig in Bloggerhausen kommentiere...
      Die Umarmung nehme ich gerne.

      Löschen
  4. "Nehmen Sie sich JETZT die Zeit zu verarbeiten, was passiert ist.
    Sonst holt es Sie irgendwann wieder ein.

    Ich bin nicht sicher, was ich verarbeiten soll."

    Du hast einen schweren Verlust erlitten, und es wird Dich einholen. Dein Chef, der mir gerade sehr sympatisch menschlich ist , hat Recht !
    Nimm Dir eine Auszeit, verbringe sie mit Menschen die Dir Halt geben, mit denen Du Weinen kannst, aber ganz wichtig: die Dich auch zum Lachen bringen. Und nach einer Weile wirst Du feststellen dass Dein Lachen wieder etwas leichter wird und es Dir hilft.

    Ich wünsche Dir von ganzem Herzen dass Du sowas niemals niemals niemals wieder erleben musst.
    Fühl Dich unbekannterweise gedrückt !

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. dem kann ich nur zustimmen. Sonst kann ich nicht viel sagen, trotzdem bereits ein Tag vergangen ist, seit ich den Beitrag gelesen habe. Mir fehlen die Worte. Möge dich die Trauer für eine Weile begleiten und mögest du dich auf sie einlassen können. Mögest du von dir lieben Menschen umgeben sein, die dich begleiten auf diesem Weg. Mögest du nach einer gewissen Zeit feststellen, dass es leichter wird,.

      Löschen
    2. Danke, ihr zwei...

      Ich hoffe, dass es leichter wird.
      Trauern muss ich, glaube ich, erst lernen. Also: Mir Zeit dafür zu nehmen. Mich darauf einzulassen. Das klingt so leicht. Aber irgendwie fällt es mir schwer...

      Löschen

Kommentar veröffentlichen

Willkommen im Zauberreich. Da dieser Blog ziemlich viel persönlichen Krimskrams enthält, lassen Sie uns einander doch duzen:

Schreib mir gerne einen Kommentar, bringe mich zum nachdenken, schmunzeln oder lachen. Aber bitte vergiss nicht, dass dieser Blog ein Spiegel meines Innen- und Gedankenleben ist. Ich würde mich demnach freuen, wenn du deine Worte sorgfältig wählst und behutsam mit den Dingen umgehst, die ich hier niederschreibe. Außerdem möchte ich dich darum bitten, mir deinen Namen oder wenigstens ein Kürzel unter dem Kommentar zu hinterlassen, damit ich weiß, mit wem ich es zu tun habe. Dankeschön!

Bitte beachte zudem, dass die von dir eingegebenen Formulardaten (und unter Umständen auch weitere personenbezogene Daten, wie z. B. deine IP-Adresse) an Google-Server übermittelt werden. Mehr Infos dazu findest du in meiner Datenschutzerklärung (https://zauberreich.blogspot.de/p/datenschutz.html) und in der Datenschutzerklärung von Google.

Beliebte Posts aus diesem Blog

Vom Kaffee und vom Leben

Vom Unglücklichsein

Vom Schmerzgedächtnis