Von der anderen Liebe

"Es geht nicht um mich.", sagt er, "Es geht um dich. Es geht immer nur um dich." Seine Arme legen sich um mich, fangen mich auf, er vergräbt flüsternd die Nase in meinem Haar. "Es geht um dich. Es geht um dich. Es geht um dich.", flüstert er und jedes einzelne Wort fühlt sich an, als würde es tief in mich hineinfallen und mich von innen auftauen. Ich glaube, es ging noch nie in meinem Leben um mich. Natürlich tut es das auch jetzt nicht. (Weil es um ihn geht. Ist doch klar.) Aber es tut mir so gut, dass da jemand ist, der mich sieht. Der ohne eine einzige Forderung zu stellen, da ist, mich lieb hat und annimmt, ohne mich ändern zu wollen. Der einfach dankbar nimmt, was ich zu geben habe, ohne mir im Anschluss den Arm auszureißen und mich zu mehr zu drängen als ich geben will. Jemand, der so ein großes Herz hat, so warmherzig, gütig und voller Liebe ist. Ja, vielleicht ist das alles nur eine Momentaufnahme. Vielleicht wird morgen schon alles ganz anders sei

Vom Gefühl: not broken just bent

Es heißt ja, dass man in den schlechten Phasen seines Lebens eine Menge über sich selbst lernen kann. Das scheint irgendwie zu stimmen. Je mehr Zeit ich gerade Zuhause verbringe, auf der ersten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung meines Beruflebens hockend, desto mehr fange ich an, mich selbst zu verstehen. Manche Erkenntnisse erstaunen mich. Wieder andere schockieren mich selbst. Ich glaube, ich bin ziemlich verbogen. Nicht zerbrochen, aber verbogen und verbeult. Dabei bin ich viel zu jung, um mir die Hörner am Leben abzustoßen. Und zu stur.

Vor kurzem war ich für zwei, drei Tage verreist. Zusammen mit meiner Mama. Ich habe sie gebraucht. Ihre Liebe, ihre Zuwendung, die Gespräche mit ihr. In einem kleinen Restaurant am Meer, einem Italiener, habe ich ihr erzählt, dass ich schwanger bin. Ihre Reaktion hat sich in mich eingebrannt. Sie hatte Tränen in den Augen. Vor Freude.
Und sie sagte: Wir werden deinem Kind beibringen, dass es lieben muss. Denn das ist es, was ich in den letzten Jahren über mein Leben und mich gelernt habe: Ich bin oft geliebt worden. Aber ich selbst habe viel zu wenig geliebt. Heute, wo ich das erkenne, fällt es mir schwer, mich jemandem, einen Mann, zu öffnen. Die Angst vor Verletzungen ist mit den Jahren immer größer geworden, der Mut, etwas zu wagen, Zeit und Gefühle zu investieren, zu kämpfen, immer kleiner. Nur langsam wird mir klar, wie sehr ich mich Menschen und Gefühlen gegenüber irgendwann verschlossen habe. Dabei ist das falsch. Wenn dein Kind 18 Jahre alt wird, werde ich ihm mit auf den Weg geben, dass es jeden Menschen, den es liebt, festhalten soll. Und sollte es, als Zeichen dieser Liebe, auf die Idee kommen, mit jeder einzelnen seiner Lieben ein Kind zu zeugen, werde ich das unterstützen. Weil wir eine Familie sind und zusammenhalten. Wir schaffen alles.
Später gratulieren uns unsere Tischnachbarn, die unser Gespräch anscheinend verfolgt haben, zum Familienzuwachs. Und Mama tanzt zu den Beatles durchs Restaurant. Strahlend dreht sie sich ein ums andere Mal um die eigene Achse, den Menschen, die ordentlich, fast schon Knigge-konform, an ihren Tischen sitzen, die Serviette brav über den Beinen gefaltet, sanft zulächelnd, leise lachend, einfach glücklich.

Erkenntnisse aus den vergangenen Wochen:

  1. Ich kann nicht um Hilfe bitten. Das liegt, glaube ich, auch daran, dass ich es nicht gelernt habe, zu erkennen, wann ich Hilfe brauche. Stattdessen habe ich immer großen Wert darauf gelegt, um Himmels Willen, bloß nicht und auf gar keinen Fall hilfebedürftig zu wirken. Den Gedanken, zu einem Menschen zu werden, der sich nur auf andere stützt und alleine nicht wirklich lebensfähig ist, fand ich immer gruselig. Und tendiere vermutlich deshalb zum anderen Extrem.
  2. Ich habe herausgefunden, warum ich mittlerweile massiv davor zurückschrecke, beschenkt zu werden. Mir vorzustellen, dass der Schenkende eines Tages herausfindet, dass ich all seine Geschenke weder wert war noch bin, macht mir Angst. Ich will niemanden enttäuschen. Das ist vermutlich die bescheuertste Einstellung zu Geschenken, die man haben kann. Es hat mich selbst überrascht, das zu erkennen.
  3. Wenn ich überfordert bin, ziehe ich mich, ohne Rücksicht auf Verluste, zurück. Ab und an frage ich mich, ob ich das nicht ändern könnte. Vor allem frage ich mich das deshalb, weil ich mit genau diesem Verhalten regelmäßig meine Mitmenschen zu überfordern scheine. Mit einer Menge Arbeit an mir selbst, viel Geduld und sich immer mal wieder wiederholenden Rückschritten wäre es bestimmt möglich, mich zu ändern. Auf der anderen Seite werde ich vermutlich nie ein Mensch sein, der irgendwann auch sein letztes Geheimnis preisgegeben hat. Es wird zu jedem Zeitpunkt noch eine Geschichte geben, die bisher unerzählt ist. Und ich weiß nicht, ob ich nicht einen ganz wesentlichen Teil von mir verleugnen würde, wenn ich versuchen würde, jemand anderes zu werden. Auf der anderen Seite ist einer der Sätze, die mir am verhasstesten sind, dieser hier: "Ich bin so." Wenn ich diesen Satz höre, will ich immer wütend entgegnen: "Himmelherrgott nochmal, dann ändere dich halt!"
  4. Ich fordere meinen Mitmenschen unfassbar viel Geduld ab. Mehr als nachvollziehbar ist. Mittlerweile tue ich mich schwer damit, zu vertrauen und über meinen eignen Schatten zu springen. Das will ich unbedingt ändern. So will ich nicht sein. Dann ziehe ich es lieber vor, naiv und gutgläubig zu sein. Dann gehe ich wenigstens von einer positiven Ausgangsbedingung aus.
  5. Ich würde es gerne lernen, Zuneigung auch mal zu fordern. Mich hinzustellen, zu zeigen und zu sagen: "Hier bin ich. Bitte mag mich, weil ich dich so sehr mag, dass es fast wehtut." Aber ich kann nicht. Ich kann einfach nicht. Aber ich will es lernen.
  6. Ab und an ziehe ich es in Erwägung, mich tätowieren zu lassen. Ein zierliches, feingliedriges Bild auf der Haut. Nur um mich dann doch wieder dagegen zu entscheiden. Früher habe ich mir immer ein Tattoo unter der Fußsohle gewünscht. Nur für mich. Aber seriöse Tätowierer lehnen das ab. Irgendetwas mit "Zauber" hätte ich gewählt. Um mich selbst daran zu erinnern, wie viel Zauber das Leben birgt. Heute wäre mir eher nach dem Schriftzug: not broken just bent. Aber wer will schon solche Wunden sichtbar auf seiner Haut nach außen tragen. Ich nicht. Und so bleibe ich weiter schmucklos. Keine Tatoos, keine Piercings, keine Brandings. Lediglich ein paar fein geschnittene, fast gänzlich verblasste Narben.
  7. So ein Operationssaal hat erstaunlich viel Ähnlichkeit mit einem Schlachthof.
  8. Ich kann es nicht ertragen, wenn sich Menschen Sorgen um mich machen. Das ist der Grund, warum ich generell alles, was in mir vorgeht, versuche, mit mir selbst abzukaspern. So kommt es, dass mein bester, nähester, engster und allerliebster Freund bis heute nicht weiß, dass ich schwanger war. Und das Kind verloren habe. Was eine Milchmädchenrechnung ist: Seit drei Monaten beantworte ich seine Anrufe nicht mehr. Bin nicht sicher, ob das wirklich weniger besorgniserregend ist.
  9. Ich bin eine beschissene Freundin. Wenigstens: Jetzt gerade und in letzter Zeit. Solche Freunde braucht kein Mensch.
  10. Ich brauche das Gefühl, mich den Menschen, die ich liebe, nahe fühlen zu dürfen. Auch in kontaktarmen Zeiten. Gemeint ist aber nicht, dass ich ständigen Kontakt brauche. Eher benötige ich das Gefühl, jemandem verbunden zu sein. Was auch impliziert, mich nicht verstellen oder verändern zu müssen, um Zuneigung zu erfahren.
  11. Ich bin zu sensibel. Das macht mich kompliziert. Und es nervt mich selbst, dass ich so bin. Dass ich die Dinge zergrüble und zu Tode interpretiere. Ich selbst mag es ja auch, klar zu kommunizieren. Warum stelle ich dann nicht auch deutliche Nachfragen? Das sollte ich überdenken.
  12. Ich kann eifersüchtig sein. Ziemlich sehr. Aber ich äußere das nicht, indem ich zickig oder unfair werde. Stattdessen verstumme ich einfach. Und werde zum bewegungsunfähigen Kaninchen, das vor der Schlange hockt. Statt um einen Menschen zu kämpfen, mich aus mir selbst herauszuwagen und Risiken einzugehen, kapituliere ich gleich. Das erscheint mir weniger schmerzhaft. Sorgt dafür im Nachhinein allerdings für jede Menge "Was wäre gewesen, wenn..."-Fragen. Ich weiß nicht, ob das die bessere Alternative ist.
  13. Wenn ich nur die Verantwortung für mich trage, schlumpere ich damit herum. Bin ich stattdessen noch für eine andere Person, wie etwa ein ungeborenes Kind, verantwortlich, fällt es mir leicht, mich von Dingen, die mir nicht gut tun, abzugrenzen. Ich werde zur Löwenmama, bei Menschen, die ich liebe und beschützen will.
  14. Ganz viele meiner Handlungen, vermutlich zu viele, sind darauf ausgelegt, niemanden zu verletzen. Und erzielen das Gegenteil vom Erwünschten. Vermutlich ist das eine Art der selbsterfüllenden Prophezeiung. Vielleicht sollte ich das Pferd bei Gelegenheit mal von hinten aufzäumen und mir vornehmen, mal so richtig um mich zu ballern. Vielleicht führt dieses Verhalten zu mehr Erfolg... Bin jedoch skeptisch.
  15. Meine Prioritäten liegen manchmal falsch. Beruflich betrachtet, ist es ein Kinderspiel für mich, selbst in Stresssituationen die Prioritäten richtig zu setzen. Effizient zu arbeiten. Privat bin ich damit im Zweifel überfordert. Es stört mich, dass ich es nicht schaffe, alle Dinge, die ich tun will, gleichzeitig zu erledigen. Und dass dann, am Ende, die falschen Dinge hinten runterfallen. Oft habe ich das Gefühl, eigentlich alltagsunfähig zu sein. Komisch, dass das noch nie jemand bemerkt hat.
  16. Wenn ich traurig bin, neige ich dazu, vor mir selbst flüchten zu wollen. Gestern habe ich mein Konto gecheckt und Reisen zusammengestellt. Leider ist in Tha.iland Regenzeit. Bal.i würde gehen. Oder L.a R.eun.ion. Ka.pve.rdi.sche Inseln. S.eyc.hellen. Dann habe ich festgestellt, dass es nicht schlau ist, vor mir selbst wegzulaufen. Zumindest nicht jetzt. Eher in ein, zwei Monaten. Dann kann ich auch noch für die entsprechenden Impfungen sorgen. Vor mir selbst weggelaufen bin ich dann trotzdem. Solange bis die Schmerztabletten nicht mehr gegen die Schmerzen angekommen sind. Ich hatte das Bedürfnis, etwas zu kaufen. Irgendetwas. Und habe mich in Heinrich VIII - einen Bet.ta Spl.end.ens - schockverliebt. Der wohnt jetzt im A.qua.rium. Zieht aber demnächst um. Zwar versteht er sich zurzeit noch mit den anderen bereits vorhandenen Mitbewohnern. Und sicher würde das auch langfristig gehen. Aber ich glaube, ein eigenes Königreich behagt ihm mehr. Nur steht sich sein Reich gerade noch ein. Heute fahre ich nicht in die Zo.ohandlung. Habe Angst, dass ich sonst demnächst tatsächlich einen Zoo in meiner Wohnung eröffnen kann. Frage mich, ob Heinrich VIII seinem Namensgeber wohl biografisch nacheifern wird. Dann hat er am Ende seines Lebens 72 000 Menschen umgebracht und stirbt als fetter, alter, garstiger Mann. Schätze, ich werde es herausfinden. ... Heute laufe ich nicht weg. Ich versuche einfach, hierzubleiben. Und die Traurigkeit auszuhalten.
  17. Es ist gut, siehe oben, zu wissen, was mich stört. Jetzt habe ich niedergeschriebene, konkrete Anhaltspunkte. Damit kann ich (an mir) arbeiten. Wenn ich wieder mehr Kraft habe.

Kommentare

  1. Ach Muschelmädchen,

    wo ist Dein Selbstbewusstsein? :-(
    Wer hat es Dir genommen?
    Wer hat Dich dahin gebracht?
    Du bist wie Du bist. Ein Mensch mit Ecken und Kanten, Stärken und Schwächen, Ängsten ...

    Ich wünsche Dir alle Kraft, die Du brauchst.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Mein Selbstbewusstsein ist tagesformabhängig.
      Aber: Ich bin (denke ich) selbstbewusster, als es meine Posts manchmal vermuten lassen. Nur hier - an diesem Ort, der hauptsächlich für mich ist - kann ich eben auch mal die unangenehmen, selbstzweifelnden Gedanken rauslassen. Das hilft mir, tut mir gut.

      Nichtsdestotrotz wäre ich gerne ein besserer Mensch.
      Aber das ist ja ein Ziel, an dem man arbeiten kann.

      Hab vielen Dank!

      Löschen
    2. Noch besser als Du sowieso schon bist? Das ist schon schwer genug.
      Die Tatsache, das Du ein besserer Mensch werden möchtest, zeigt, das Du in Ordnung so bist, wie Du bist.
      Jeder, der sich vollkommen in Ordnung findet, dokumentiert doch nur, das er sein Denken und Handeln nicht mehr hinterfragt. Manch einer ist dan nur noch das, als was man die hintere Öffnung bezeichnet.

      Was Deine Erlebnisse der letzten Woche betrifft: Im Grunde kann man dazu nichts sagen. Es ist grausam, gemein, unfair. Und ich weiß auch, das es kein Trost ist, wenn man hört, das kommt oft vor. Doch leider ist das ne Tatsache. Ich habs auch durch. Und irgendwann meinen Frieden damit machen müssen.

      Löschen
    3. Das ist seltsam...
      Weißt du, ich höre gerade von allen Seiten: "Das ist mir auch schon passiert."
      Und damit meine ich: Von wirklich allen Seiten.
      Ich habe gerade mal durchgezählt - in meinem Freundes- und Bekanntenkreis haben das 8 von 10 Frauen erlebt. Aber wenn dem so ist, warum ich spricht dann dann niemand darüber? Ist das ein Tabuthema?

      Klar. Irgendwann muss man seinen Frieden damit machen.
      Das wird schon... Muss ja.
      Aber irgendwann ist, glaube ich, noch nicht gleich heute.
      Ich brauche noch ein bisschen Zeit.

      Danke...

      Löschen
    4. Eigentlich nicht so seltsam. Und die Quote in meinem Bekanntenkreis ist ähnlich.
      Ich sprach nicht gerne drüber, weil ich die Sprüche nicht mehr hören konnte. Du weist schon, das was dann gern mal gesagt wird, ihr seid noch jung, ihr habt noch Zeit, die Natur hilft sich selber, irgendwas war nicht in Ordnung.....Von der Vernunft her war und ist mir das klar gewesen, mein Gefühl sagte was anderes.
      Gefühlt bekam außer mir jede ein Kind nach dem anderen.
      Für manche Sachen gibts einfach keinen Grund, und man wird verrückt, wenn man darin einen Sinn finden möchte.

      Nun ist das bei mir auch schon recht lange her, ich bin auch ein Mensch, der mit Distanz die Dinge sehr rational betrachten kann. Leicht ist es trotzdem nicht, unfair bleibts auch.
      Und irgendwann ist auch dehnbar. Die Eine kommt schneller damit klar, die nächste braucht mehr Zeit. So sind die Menschen.....

      Löschen
    5. Danke für die Erklärung. Das verstehe ich. Ja, das verstehe ich wirklich...

      Löschen

Kommentar veröffentlichen

Willkommen im Zauberreich. Da dieser Blog ziemlich viel persönlichen Krimskrams enthält, lassen Sie uns einander doch duzen:

Schreib mir gerne einen Kommentar, bringe mich zum nachdenken, schmunzeln oder lachen. Aber bitte vergiss nicht, dass dieser Blog ein Spiegel meines Innen- und Gedankenleben ist. Ich würde mich demnach freuen, wenn du deine Worte sorgfältig wählst und behutsam mit den Dingen umgehst, die ich hier niederschreibe. Außerdem möchte ich dich darum bitten, mir deinen Namen oder wenigstens ein Kürzel unter dem Kommentar zu hinterlassen, damit ich weiß, mit wem ich es zu tun habe. Dankeschön!

Bitte beachte zudem, dass die von dir eingegebenen Formulardaten (und unter Umständen auch weitere personenbezogene Daten, wie z. B. deine IP-Adresse) an Google-Server übermittelt werden. Mehr Infos dazu findest du in meiner Datenschutzerklärung (https://zauberreich.blogspot.de/p/datenschutz.html) und in der Datenschutzerklärung von Google.

Beliebte Posts aus diesem Blog

Vom Kaffee und vom Leben

Vom Unglücklichsein

Vom Schmerzgedächtnis