Von verhexten Beziehungen

In den letzten Minuten hab ich viele Sätze getippt, nur um sie anschließend wieder zu löschen. Ich kann fühlen, was ich schreiben will, aber es fällt mir schwer, es auf den Punkt zu formulieren: Es beschäftigt mich seit ein paar Tagen mal wieder intensiv, dass ich in den allermeisten meiner Beziehungen das Gefühl habe, nicht gesehen zu werden und nicht gut genug zu sein.  Da ist zum Beispiel die enge Freundin, die mir Tag und Nacht WhatsApp-Nachrichten schreibt, mich quasi in Echtzeit an ihrem Seelenleben teilhaben lässt, aber nicht einmal auf die Idee kommt, mich zu fragen, was los ist, obwohl ich klar formuliere, dass es mir nicht gut geht. Da ist der Mann, der in all den Jahren nicht auf die Idee gekommen ist, mich heiraten zu wollen. Vermutlich weil ich nicht gut genug bin. Was einerseits okay ist, weil ich nicht heiraten will, aber andererseits in stummer Beharrlichkeit das Gefühl in mir erzeugt hat, dafür wohl nicht gut genug zu sein. Ein Gefühl, das schmerzt. Da ist die Freundin

Vom guten Ende

Wenn ich mal groß bin, hätte ich gerne ein Haus an einem See. Das kleine, weiße Hexenhaus - liebevoll meine Villa Kunterbunt, wahlweise auch "Gutes Ende" genannt - hätte blaue Fensterläden und vor ihm stünde eine kleine Holzbank, auf der ich abends sitzen und dem Rauschen der Blätter in den Bäumen lauschen würde. Birken, Apfel- und Kirschbäume würde ich pflanzen. Und ein Meer von bunten Feldblumen säen. Am Seeufer, direkt neben der kleinen Feuerstelle, würde ein schmaler Holzsteg in den See hineinragen. Dort wäre ein rotes Ruderboot zu finden, mit dem ich manchmal auf den See hinausfahren würde, um tief durchzuatmen, mich treiben zu lassen und die Wolken betrachten. Oder um doch mal die Angel auszuwerfen.

In meinem Haus, einem Haus mit riesigen Fenstern, habe ich endlich Platz. Ich habe dort Platz für alle meine Bücher, die ich in den Regalen, die bis unter die Decke reichen, unterbringe. Damit ich auch an die Bücher in den höheren Regalen herankomme, habe ich eine Leiter gezimmert. Sie ist ein klitzekleines bisschen windschief. Aber das stört weder mich noch meine Katzen, die sich manchmal in die höheren Ebenen zurückziehen, um sich zwischen Welt- und Schundliteratur schnurrend zu einem kleinen Schläfchen zusammenzurollen.
In der Mitte meiner kleinen Bibliothek steht ein großer, roter Ohrensessel. Dort sitze ich im Schneidersitz und blättere in meinen Lieblingsbüchern, während draußen die Sonne dabei ist unterzugehen und den Raum in orangerotes Licht taucht. Die weißen Vorhänge, die das geöffnete Fenster umsäumen, wölben sich leicht im Wind. Hier hört man nichts außer dem leisen Gezwitscher der Vögel und der Musik, die der Schallplattenspieler spielt. Wenn ich aufstehe und an dem kleinen Kamin vorbeigehe, in dem im Winter ein warmes Feuer lodert, kann ich mit den Fingerspitzen über die Buchrücken der einzelnen Bücher streichen, wohlwissend, dass ein jedes Werk seinen Platz hat. Mein Blick kommt auf meinem Klavier zu ruhen. Ich habe es vermisst. Wie viele Jahre musste ich warten, um es endlich zu mir zu holen und hier aufzustellen. Behutsam klappe ich den Deckel des Klaviers auf. Nur probehalber tanzen meine Finger über die Tasten. Eine richtige Klavierspielerin werde ich nie. Aber das Spielen erdet mich. Wenn ich spiele, bleibt kein Raum, um sich den Kopf zu zerbrechen. Alles in mir fokussiert sich darauf, die Noten zu lesen und die richtigen Tasten zu treffen. Ich fühle die Musik mehr, als ich ihrer jemals gerecht werden und sie spielen könnte.

Direkt an die Bibliothek schließt sich das Wohnzimmer an, dessen Vorderfront bis in die Dachspitze hinein verglast ist. Von hier aus kann man auf den See schauen. Manchmal, wenn es noch viel zu früh ist, trinke ich meinen morgendlichen Kaffee hier und beobachte, wie der Nebel sich allmählich vom See zu trennen versucht, um dem anbrechenden Tag, kurz bevor die Sonne beginnt den Horizont zu kitzeln, seinen Raum zu geben.
Hier, vor dem riesigen Fenster, steht meine Staffelei. An ihr arbeite ich nie, weil mir das zu unbequem ist. Aber ich habe mir schon als Kind eine richtige Staffelei gewünscht. Heute bringe ich nur die Zeichnungen, von denen ich glaube, dass ich sie fertiggestellt habe, auf der Staffelei unter. So kann ich sie, bevor sie nach ein paar Tagen auf Nimmerwiedersehen in der Zeichenmappe verschwinden, noch ein wenig betrachten. Weil mir Fehler und Makel auf meinen Bildern häufig erst nach und nach auffallen. Neben der Staffelei, an der Innenwand, steht ein großer Holzschreibtisch. Endlich habe ich einen Ort, an dem es (für mich blindes Huhn) genug Licht gibt, um zu zeichnen. Manchmal versuche ich dort auch, zu schreiben. Bis ich ein ums andere Mal feststelle, dass das Alphabet für mich zu wenig Buchstaben besitzt, um Empfindungen tatsächlich in passende Worte zu gießen. Aber darüber verzweifle ich heute nicht mehr. Stattdessen freue ich mich darüber, dass ich endlich einen Ort habe, an dem ich meine unzähligen Zeichenutensilien aufgeräumt unterbringen kann. Deshalb begeistert mich vermutlich auch das große Regal so, das sich an den Schreibtisch anschließt. In vielen farbigen Kartons ist hier alles, was ich mir über die Jahre zusammengesammelt habe, untergebracht: Acrylfarben, Ölfarben, Aquarellfarben, Werkzeuge zur Ton-, Stein- und Gipsbearbeitung, Pinsel, Schneidgeräte, Wolle, Häkelgarn, Schleifpapier, Pinsel, die Airbrushmaschine, Reinigungssprays, Fixiersprays, allerhand Lacke, ... Endlich muss ich nicht mehr an zwölfzig verschiedenen Orten herumkramen, um zu finden, was ich suche.

Im Inneren des Wohnzimmers steht ein großes Sofa, das fast schon eine Liegelandschaft ist. Von hier aus kann man wunderbar nach draußen sehen und die Seele baumeln lassen. Alles in diesem Zimmer ist gemütlich, fast schon urig: Ich mag die Regale voller Schall- und Schellackplatten, die vielen Bilder in weißen, aber unterschiedlichen Bilderrahmen, die kleinen Schätze, die mir wertvolle Erinnerungen sind oder mich an vergangene Reisen erinnern.
Gut versteckt, auf den ersten Blick hin kaum wahrnehmbar, führt im hinteren Teil des Raumes eine kleine Treppe in mein kleines Maisonette-Schlafzimmer unter dem Dach. Hier ist alles ganz schlicht gehalten. Dass massive, weiß lackierte Holzbett ist mit einem weißen Laken und weißer Bettwäsche bezogen. Neben dem Bett stehen zwei einfache, fast schon schmucklose Nachttische, die kleine und große Intimitäten vor allzu neugierigen Blicken zu schützen vermögen. An Sommertagen liebe ich die Sonnenflut, die sich durch die Glasfront im Wohnzimmer mit in das Schlafzimmer hinein ergießt und alles in helles Licht taucht. Das erhellt den Raum hier oben ausreichend. Dennoch gibt es, nur für mich, zwei Oberlichter im Schlafzimmer. Ich habe mir immer gewünscht, in sternenklaren Nächten in den Himmel sehen zu können. Manchmal zähle ich heimlich Sterne, bevor ich in den Schlaf hinübergleite.

In meiner Küche duftet es immer nach Kaffee. Hertha - meine Oldschool-Kaffeemaschine aus Studienzeiten - läuft annähernd durchgängig. Ich kann mich einfach nicht von ihr trennen. Denn das sie bei jedem Kaffee, den sie brüht, klingt, als würde sie einem weiblichen Orgasmus erliegen, so verführerisch seufzt und stöhnt, ist einfach bezaubernd und bringt mich tagein, tagaus zum Lächeln.

Auf dem Fensterbrett in der Küche stehen Gewürze in allerlei farbigen Gefäßen. Ich habe Basilikum, Oregano, Thymian und Kresse angepflanzt. Dazu passend schmückt ein großer Gewürzschrank den Raum. Dort sind Tiegelchen mit diversen Inhalten zu finden, wie etwa mit getrocknete Bananen und Aprikosen, aber auch große Porzellanbehälter, die mit Nudeln, Reis, Mehl, Zucker und Salz gefüllt sind. Natürlich würde ich das nie verraten, aber ich mag es, mit den Fingerspitzen in diese Gefäße einzutauchen, dass weiche Mehl zwischen den Fingern zu zerreiben, mir den Zucker durch die Finger rinnen zu lassen oder das leichte Kratzen der vielen kleinen Salzkristalle auf der Haut zu spüren.
Meine Küche ist bunt und genauso verschroben, wie ich es bin. In vielen verschiedenen Regalen sind bunte Kochtöpfe, gepunktet und gestreift, zu finden. Kein Teller und keine Tasse gehört zu der anderen. Einzig das gute Silberbesteck meine Uroma ist vollständig.
Auf dem hölzernen Küchentisch steht ein Korb, der mit frischen Obst und Gemüse gefüllt ist. Ab und an, wenn mich der Mut überwältigt, sitze ich hier gerne, genieße die große Arbeitsfläche, den Genuss mich drehen und wenden zu können, ohne mich dabei an allen Ecken und Enden zu stoßen, und versuche mich in der Kunst des Kochens. Diese Versuche sind jedoch viel zu selten von Erfolg gekrönt. Denn ich finde es irgendwie seltsam und nicht nachvollziehbar, dass ein Essen nicht mehr schmeckt, wenn man von der Lieblingszutat so viel wie möglich nimmt.

Diesen Ort - diese Villa Kunterbunt, mein "Gutes Ende" - wünsche ich mir. Hier würde ich gerne ankommen. Nach anstrengenden Arbeitstagen, wundersamen Reisen und alkoholgeschwängerten, durchtanzten Nächten. Das wäre Zuhause. Und so es das Leben will, wird vielleicht eines Tages, hier oder an einem anderen Ort, mein Herz schlagen.
Wild geträumt.


Kommentare

  1. Ein wunderschönes Bild, was Du da zeichnest von Deiner Villa Kunterbunt. Und immer wieder schmunzle ich über Deine Formulierung "wenn ich mal groß bin" :) .

    Dein Haus am See wirkt wie ein Ort, der es Einem leicht macht, anzukommen
    und ihn zu seinem "zuhause" auszurufen.

    Und ich wünsche Dir sehr Dein "gutes Ende", wie Du es nennst.

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    1. Danke. Jeder braucht ein gutes Ende, nicht wahr?
      Das sagte mir einst ein kluger Mann, der für die gleiche Aussage englische Worte wählte.
      Du hattest recht damit.

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  2. Wunderschön.
    Diese Bildsprache.
    Man kann es quasi mit Dir erleben.
    Schön.

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    1. So sollte es sein...
      Vor ein oder zwei Jahren habe ich mal einen "Schreibkurs" belegt. Du kannst mir glauben, dass bei diesem Text der Coach vom Glauben abgefallen wäre - er hat stets und ständig versucht, mich von der Verwendung übermäßig vieler Adjektive abzuhalten. Ich möchte behaupten: Daran ist er wohl gescheitert. (Na gut. Und ich hab den Kurs irgendwann abgebrochen. Weil ich das Gefühl hatte, zu einem profillosem Schreiberling zu werden, der mit der Menge verschmilzt. Vielleicht war ich aber auch nicht kritikfähig. Keine Ahnung.)
      Jedensfalls freue ich mich, dass dir die Bildsprache gefällt.

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