Von der anderen Liebe

"Es geht nicht um mich.", sagt er, "Es geht um dich. Es geht immer nur um dich." Seine Arme legen sich um mich, fangen mich auf, er vergräbt flüsternd die Nase in meinem Haar. "Es geht um dich. Es geht um dich. Es geht um dich.", flüstert er und jedes einzelne Wort fühlt sich an, als würde es tief in mich hineinfallen und mich von innen auftauen. Ich glaube, es ging noch nie in meinem Leben um mich. Natürlich tut es das auch jetzt nicht. (Weil es um ihn geht. Ist doch klar.) Aber es tut mir so gut, dass da jemand ist, der mich sieht. Der ohne eine einzige Forderung zu stellen, da ist, mich lieb hat und annimmt, ohne mich ändern zu wollen. Der einfach dankbar nimmt, was ich zu geben habe, ohne mir im Anschluss den Arm auszureißen und mich zu mehr zu drängen als ich geben will. Jemand, der so ein großes Herz hat, so warmherzig, gütig und voller Liebe ist. Ja, vielleicht ist das alles nur eine Momentaufnahme. Vielleicht wird morgen schon alles ganz anders sei

Vom Trinkverhalten I

"Das ist das Problem am Trinken, dachte ich mir, während ich mir einen Drink einschüttete. Wenn etwas schlechtes passiert, trinkt man um zu vergessen; wenn etwas gutes passiert, trinkt man um zu feiern; und wenn gar nichts passiert, trinkt man, damit etwas passiert."

(Charles Bukowski)

Als ich das erste Mal bewusst Alkohol trinke, bin ich 14 Jahre alt. Es ist meine erste Nacht auf dem Internat und zur Begrüßung kreist, lange nach der Bettgehzeit, eine Flasche Korn. Wir meiern. Später pieke ich dem Jungen, dessen Zimmer meinem gegenüber liegt, mit dem Zeigefinger in den Bauch und versuche ihm mit möglichst geraden Worten zu erklären, wie hübsch er ist. Er aber lacht nur freundlich und weist mich in aller Altersmilde liebevoll daraufhin, dass ich ziemlich betrunken bin. Die erste Zigarette meines Lebens, die wir, auf dem Dach des alten Fachwerkhauses sitzend, rauchen, ist meinem Dusel nicht besonders zuträglich. Als ich endlich im Bett liege, dreht sich der Raum lustig. Um mich zu erden, stelle ich meine Füße auf den Boden. Das Gefühl, zu ertrinken, begleitet mich bis in den Schlaf hinein.

Ich trinke mich durch die Zeit. In der achten Klasse schleichen wir uns annähernd jede Nacht, mindestens aber jede zweite, um Mitternacht aus dem Gebäude heraus und treffen uns an einem nahegelegenen See oder unter der nächstgelegenen Autobahnbrücke, wo wir Lagerfeuer entzünden, sprayen, trinken und manchmal, besonders zeitnah nach den Drogentests, kiffen.
Zwar werden diese Gelage zum Abitur hin weniger, eine gewisse Konstanz ist jedoch durchaus vorhanden. Ich fange mir den einen oder anderen Tadel, werde auch mal für ein paar Tage von der Schule suspendiert, aber alles in allem stört mich das nicht. Weil ich zum ersten Mal in meinem Leben richtige Freunde habe. Außerdem trinke ich gerne und bin dafür bekannt, als einziges Mädel die Kerle reihenweise unter den Tisch trinken zu können. Und sie selbst volltrunken noch beim Tischfußball abzuziehen.
Auf dem Höhepunkt unserer Allgemeinbildung entsorgen wir Frederiks Auto im See. Zum Frühstück gibt es geschnorrten Kuchen, Bier und Zigaretten. Danach klettern wir Regenrinnen fremder Häuser hinauf und stibitzen Kissen von Fensterbrettern, um uns in den Kofferräumen unserer Autos zum Schlaf zusammenzurollen. Es ist bereits Mittag. Die Sonne steht hoch am Himmel.

Im ersten Studium lerne ich, dass eine Party dann gut wird, wenn das erste Glas auf dem Boden liegt. Das sogenannte "Fuß-Pils" - das letzte Bier, das auf dem Heimweg getrunken wird - ist immer "schlecht" und es ist nie eine gute Idee, den Mitternachtsdöner bis zum nächsten Morgen in der Handtasche aufzubewahren. Wir trinken gutes Billigbier und ernähren uns am Ende des Monats von Brot mit Tomatenmark. Zwischenzeitlich stürmen wir im Pulk irgendwelche Privatpartys, die wir von der Straße aus sichten, schließen neue Bekanntschaften und bemitleiden uns an den Tagen danach gegenseitig, wenn uns der Kater niederstreckt. In den 7 Uhr-Vorlesungen landen wir oft, ohne eine einzige Minute im Bett verbracht zu haben. Sternhagelvoll lässt sich "Praktische Philosophie" allerdings wesentlich besser verstehen. Und Statistik ist mit einer Acht im Turm und meinem Zahlenverständnis regelrecht witzig.
Zeugnis über die wildesten unserer Nächte legen ein Tisch, ein Sessel, diverse Bier- und Cocktailgläser, Pfeffer- und Salzstreuer, ein Zeitungshalter, das eine oder andere Straßenschild sowie die riesige Parteiflagge ab, die wir mitten in der Nacht aus dem Garten der Parteizentrale mopsen. Es zahlt sich aus, im Sportunterricht unter den Besten beim Stangenklettern gewesen zu sein. Ich bin verrückt nach Andenken, jung, übermütig und größenwahnsinnig. Nur für ein paar Momente versuche ich die Augenblicke zu konservieren, in denen ich das Gefühl habe, frei zu sein. Unbezwingbar.

Im zweiten Studium schaffe ich den Absprung in die neue Studienstadt nicht wirklich, denn mein Herz hat längst in der alten Stadt ein Zuhause gefunden. Außerdem sind meine Kommilitonen irgendwie eigenartig: Bereits in der ersten Vorlesung wird uns mehrfach eingetrichtert, dass wir die Elite von morgen sind, weil wir ein mehrstufiges Auswahlverfahren absolvieren mussten, um es in einen noch recht neuen Studiengang hineinzuschaffen, der pro Jahr lediglich eine niedrige zweistellige Anzahl von Studierenden aufnimmt. Während ich innerlich überhaupt nicht mehr damit aufhören kann, mit den Augen zu rollen, sitzt der Rest meiner Kommilitonen verzückt lauschend im Vorlesungssaal. Als ich sehe, dass einige von ihnen es sogar fertigbringen, das elitäre Rumgepupse der Dozenten abzunicken, muss ich mit vermehrtem Würgereiz kämpfen. Trotzdem brauche noch mehr als nur ein paar Monate um zu verstehen, dass ich so gar nichts mit diesen Leuten gemein habe. Denn sie tun nichts anderes außer zu lernen, kriechen Professoren in den Hintern, kommen immer pünktlich, schwänzen nie eine Vorlesung und haben überhaupt niemals Spaß. Alles, wirklich alles, dreht sich um Leistung, Druck und Credit Points. Die meisten meiner Kommilitonen sind so erwachsen, wie ich es nicht mal im hohen Alter sein werde.
So kommt es, dass ich mich in mich selbst zurückziehe und stiller werde. Unter viel Frustration muss ich lernen, dass ich in diesem Studium nicht denken darf, sondern den Kopf ausschalten und mich durchbeißen muss. Ich darf keine Dinge hinterfragen, darf nicht diskutieren, keinen Gedankengang in Frage stellen. Alles, was ich tun soll, besteht darin, pro Fach circa 650 PowerPoint-Folien auswendig zu lernen, die von systemgetreuen Hilfswissenschaftlern zusammengestellt werden. Denn unsere Professoren wissen nicht einmal, wie man einen Polylux anschaltet.

Mit einem Male fühle ich mich anders, nicht dazugehörig. Ich passe weder in dieses Studium noch zu diesen Menschen, die sich morgens um einen Platz in der ersten Reihe des Vorlesungssaales streiten und in den Kursen der Prüfungsvorbereitung allen Ernstes danach fragen, ob die PowerPoint-Folie 621 auch klausurrelevant ist.
Hier, in meinem neuen Leben, gehe ich nicht mehr so oft feiern, wie im letzten Studium, aber am Wochenende kehre ich in meine alte Studienstadt zurück und schlage mir die Nächte um die Ohren. Ich bin froh, wann immer ich die neue Studienstadt verlassen kann.

Auf einer Reise quer durch Ägypten lerne ich Nilsson kennen. Er ist nur ein wenig älter als ich und Starkstrom-Alkoholiker. Bereits zum Frühstück braucht er vier bis sechs Bier, damit sich der Tremor, der ihn durchschüttelt, auf ein einigermaßen erträgliches Maß reduziert. Wir freunden uns vor allem deshalb an, weil ich es bodenlos unverschämt finde, wie offensichtlich sich seine Eltern für ihn schämen. Er, der von seiner Familie zu dieser Reise gezwungen wird, leidet - unter der heißen Sonne, unter seiner Sucht, unter seinen eigenen Schamgefühlen und dem harschen, familiären Regiment. Das zu spüren, tut mir fast körperlich weh. Und auch wenn es mich zutiefst erschüttert, zu sehen, wie sehr Nilsson von seiner Sucht beherrscht wird, mögen wir uns. Ganze Nächte verbringen wir damit, am Ufer des Nils zu sitzen, auf das kaum bewegte Wasser zu schauen und uns unsere Lebensgeschichten zu erzählen. Als er mir berichtet, dass er in dem gleichen Alter angefangen hat zu trinken, wie ich es getan habe, wandert eine Gänsehaut über meine Arme. Ich frage ihn, was ich für ihn tun kann, wie ich ihn unterstützen kann, etwas gegen seine Sucht zu tun. Aber er lächelt nur milde.
"Ich werde eines Tages sterben, Muschelmädchen.", sagt er leise, "Vermutlich wird es bis dahin nicht mehr lange dauern. Mein Körper ist vollkommen kaputt." Wie zum Beweis zeigt er mir seine Hände, die wie Espenlaub zittern.
"Ich habe mir durch den Alkohol mein ganzes Leben versaut. Für mich ist es zu spät.", erzählt er, um dann einen Moment innezuhalten. "Aber du, du kannst etwas für dich tun. Denn - und ich hoffe, du nimmst mir das nicht übel - dein Trinkverhalten kommt mir auch nicht so ganz sauber vor. Für ein Mädchen kannst du ganz schön bechern. Pass bitte auf dich auf..."

Das ist nichts, was ich hören will. Ich kann förmlich spüren, wie ich mich seinen Worten widersetze, sie zur Seite schiebe, um sie schnellstmöglich zu vergessen.
Und doch: Seine Worte werden mich noch lange begleiten.
Selbst dann noch, als ich mein Trinkverhalten schon lange geändert habe.

Kommentare

  1. Es ist schon sehr lange her, dass ich (negative) Rückmeldungen zu meinem Trinkverhalten erhalten habe, oder genauer: Zu meinem Verhalten nach unbotmäßigem Konsum.

    Ich habe mir diese Rückmeldungen sehr gut gemerkt, und ich möchte seither vermeiden,
    überhaupt Rückmeldungen zu bekommen.
    Auch, wenn ich inzwischen in einem Alter bin, in dem man nicht mehr so ohne Weiteres
    alkoholerkrankt. Und genau genommen vertrage ich gar nicht mal viel.

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    1. Ist Alkoholismus altersabhängig?
      Das ist mir neu...

      Aber: Find ich gut. Alles :-) So handhabe ich das auch. Auch wenn das in den Folgebeiträgen erst einmal nicht so wirken wird.

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