Von der anderen Liebe

"Es geht nicht um mich.", sagt er, "Es geht um dich. Es geht immer nur um dich." Seine Arme legen sich um mich, fangen mich auf, er vergräbt flüsternd die Nase in meinem Haar. "Es geht um dich. Es geht um dich. Es geht um dich.", flüstert er und jedes einzelne Wort fühlt sich an, als würde es tief in mich hineinfallen und mich von innen auftauen. Ich glaube, es ging noch nie in meinem Leben um mich. Natürlich tut es das auch jetzt nicht. (Weil es um ihn geht. Ist doch klar.) Aber es tut mir so gut, dass da jemand ist, der mich sieht. Der ohne eine einzige Forderung zu stellen, da ist, mich lieb hat und annimmt, ohne mich ändern zu wollen. Der einfach dankbar nimmt, was ich zu geben habe, ohne mir im Anschluss den Arm auszureißen und mich zu mehr zu drängen als ich geben will. Jemand, der so ein großes Herz hat, so warmherzig, gütig und voller Liebe ist. Ja, vielleicht ist das alles nur eine Momentaufnahme. Vielleicht wird morgen schon alles ganz anders sei

Von Wolverine


Und dann gibt es diese Situationen, in denen mein Hirn auf Stecknadelkopfgröße schrumpft und meinem Herz den Dienst versagt: Ich handle schneller, als ich denken kann. Völlig unkontrolliert gebe ich einem Impuls nach, fange an zu grinsen, hebe, in der einen Hand den Tonarm des Grammophons haltend, meine Arme und drehe mich singend fünfmal um die eigene Achse, bis ich schließlich unsanft mit einem der Baumarkt-Mitarbeiter zusammenstoße.

„Oh!“, sage ich, etwas überrumpelt, grinse verlegen und streiche mir die wirren Haare aus dem Gesicht. Er lacht. „Kein Problem!“, sagt er und nimmt meine Entschuldigung vorweg, ohne dass ich sie aussprechen muss. 
Verwirrt mustere ich ihn. Irgendwie kommt er mir bekannt vor? Er ist etwa einen Kopf größer als ich, drahtig, hat volles, leicht angegrautes Haar, ziemlich zerzauste Koteletten und stahlblaue Augen. Koteletten? Wolverine! Er ist schmaler, aber er sieht aus wie Wolverine! Ich beiße mir auf die Lippen, um nicht zu lachen. Hübsch ist er. Also: Wolverine. Hugh Jackman ist mir ein wenig zu glatt und durchtrainiert. 

„Kann ich ihnen helfen?“, fragt Wolverine freundlich. „Ja“, sage ich und halte ihm den Tonarm meines Grammophons hin. „Ich restauriere ein altes Grammophon.“, antworte ich und zeige auf eine Schraube, „Und habe es – klugerweise – geschafft, die Rändelschraube, die die Nadel hält, abzubrechen. Leider kenne ich niemandem mit einer Standbohrmaschine, also will ich die von Hand ausbohren und dann das Gewinde neu schneiden.“. 
Ungläubig starrt er mich an. „Haben sie das schon mal gemacht?“, erkundigt er sich. „Nö.“, sage ich, „Aber mir fällt nichts besseres ein. Das ist der originale Tonarm und eigentlich will ich den behalten. Außerdem dürfte da doch eigentlich nichts schiefgehen? Wenn ich es verbocke, kann ich das Gewinde ja einfach größer schneiden, dachte ich?“. Ich gucke fragend. Hat mein Plan Löcher? Ich habe keine Ahnung davon. Aber so wie ich mir das vorgestellt habe, war das logisch. In meinem Kopf. Aber mein Kopf ist nun mal mein Kopf ist nun mal mein Kopf. Logik gehört eher selten zu seinen Stärken. Wolverine guckt, als hätte ich ihm gerade ein unmoralisches Angebot gemacht. Amüsiert und ein bisschen erstaunt, aber durchaus nicht abgeneigt. 

„Na ja, doch, das geht schon.“, gibt er zögernd zu. „Schön!“, freue ich mich und ignoriere seinen das-funktioniert-niemals-Gesichtsausdruck erfolgreich. „Dann suche ich einen passenden Bohrer.“, lächle ich ihn an, „Können sie mir da behilflich sein?“. „Natürlich.“, grinst er und führt mich ein paar Meter weiter. Er zeigt mir ein paar Exemplare, erklärt hier und da etwas und glänzt mit seinem Fachwissen. Anders formuliert: Er nimmt sich Zeit für mich und beteiligt sich voller Leidenschaft an der Rettung des Tonarms, was ihn nicht nur ziemlich sympathisch, sondern auch noch sehr viel attraktiver macht. Deshalb fällt es mir schwer, mich auf seine Worte zu konzentrieren. Stattdessen verführe ich ihn in Gedanken, hier, in der fünften Reihe des Baumarktes, um zwischen lauter Schrauben und Bohrern wilden und hemmungslosen Sex zu haben. 

„Auf jeden Fall wünsche ich ihnen viel Erfolg!“, sagt er freundlich, womit ich ziemlich abrupt wieder in die Realität zurückkehre. Ich spüre, wie eine leichte, atemlose Röte mein Gesicht überzieht, als mir mein kurzes Gedanken-Intermezzo bewusst wird. „Danke.“, sage ich leise und lege den Kopf schräg, als könnte ich mein Kopfkino stoppen, indem ich es aus meinem Kopf herausschüttle. „Das ist nett von ihnen.“, sage ich, „Drücken sie mir die Daumen.“. Er grinst mich offensiv an. „Ich werde den ganzen Tag an sie denken.“, verspricht er und zwinkert mir zu, was im Angesicht meiner Gedanken seltsam zweideutig anklingt. In diesem Moment bin ich mir vollkommen sicher, dass er meine Gedanken lesen kann. Verlegen lächelnd weiche ich seinem Blick aus, um ihn nicht noch mehr in mir lesen zu lassen.
Aber als ich mich schon längst auf dem Weg nach Hause befinde, stelle ich fest, dass ein annähernd grenzdebiles Grinsen auf meinen Lippen klebt. Hach. Manchmal mag ich Baumärkte.

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