Von verhexten Beziehungen

In den letzten Minuten hab ich viele Sätze getippt, nur um sie anschließend wieder zu löschen. Ich kann fühlen, was ich schreiben will, aber es fällt mir schwer, es auf den Punkt zu formulieren: Es beschäftigt mich seit ein paar Tagen mal wieder intensiv, dass ich in den allermeisten meiner Beziehungen das Gefühl habe, nicht gesehen zu werden und nicht gut genug zu sein.  Da ist zum Beispiel die enge Freundin, die mir Tag und Nacht WhatsApp-Nachrichten schreibt, mich quasi in Echtzeit an ihrem Seelenleben teilhaben lässt, aber nicht einmal auf die Idee kommt, mich zu fragen, was los ist, obwohl ich klar formuliere, dass es mir nicht gut geht. Da ist der Mann, der in all den Jahren nicht auf die Idee gekommen ist, mich heiraten zu wollen. Vermutlich weil ich nicht gut genug bin. Was einerseits okay ist, weil ich nicht heiraten will, aber andererseits in stummer Beharrlichkeit das Gefühl in mir erzeugt hat, dafür wohl nicht gut genug zu sein. Ein Gefühl, das schmerzt. Da ist die Freundin

Vom Analverkehr

In letzter Zeit wird in der Mittagsrunde ab und an über Analsex diskutiert. Wenn es soweit ist, werde ich immer ganz still. Das liegt hauptsächlich daran, dass sich die Mädels, wieder und wieder sich gegenseitig bestätigend, erzählen, wie eklig sie Analsex finden.
Früher hätte ich vielleicht noch etwas gesagt. Mit meiner abweichenden Meinung ein bisschen provoziert, sie herausgefordert und geneckt. Aber mittlerweile weiß ich, dass einige von ihnen es überhaupt nicht mögen, wenn ich ihnen Bilder in den Kopf zaubere, in denen ich eine sexuelle Rolle spiele. Sie finden das in etwa so angenehm, wie sich ihre Großaltern beim Sex vorzustellen.
"Aber wir leben im Jahr 2018.", habe ich beim letzten Mal gesagt, "Wo ist eure sexuelle Aufgeschlossenheit? Eure Toleranz? Eure Neugier?"
Doch ich erntete nur schiefe Blicke.

Also enthalte ich mich in letzter Zeit manchmal dieser Gespräche. Stattdessen hänge ich meinen eigenen Gedanken nach. Ich erinnere mich daran, wie ich damals, als ich gerade 18 Jahre alt geworden bin, mit Amö im Bett liege und er mit einem seiner Finger an meinen Hintern will. Ich zucke empört zurück. "Lass das...", bitte ich ihn und erkläre, dass ich das widerlich finde. Er sieht reichlich enttäuscht aus, hakt aber nicht nach. Stattdessen vergräbt er sein Gesicht zwischen meinen Schenkeln. Ein Wort verlieren wir nie wieder darüber.

Einige Jahre später wiederholt sich dieses Spiel mit einem anderen Mann. Mit dem Unterschied, dass ich mit ihm offen über Sex sprechen kann, ohne mich schämen oder rot werden zu müssen.
"Findest du das nicht eklig? Analverkehr?", frage ich, "Schmutzig?"
Er lacht.
"Darüber habe ich mir nie Gedanken gemacht.", sagt er, "Ich hatte nie Analsex. Aber bei dir kann ich mir das vorstellen. Weil ich glaube, dass Analsex eine der intimsten sexuellen Spielereien ist, die ich mir vorstellen kann. Und das ist alles, was ich will: Dir so nahe wie möglich sein."
In der Nacht, die vor uns liegt, probieren wir es aus. Ich lerne, das Analsex nicht so schmerzt, wie ich es mir vorgestellt habe. Dass es darum geht, einfach locker zu bleiben und sich fallenzulassen. Mit einem Mann, der ausreichend viel Feingefühl mitbringt, erlebe ich eines der intensivsten sexuellen Gefühle, die ich mir vorstellen kann. Und ja: Analsex ist intim. Ich fühle mich dem Mann, mit dem ich das Bett teile, unfassbar nahe.

Trotzdem kenne ich keine einzige Frau, die zugibt, Analsex schon einmal ausprobiert zu haben oder ihn gar zu mögen. Zuzugeben, dass man sich im Bett ausprobiert, dass man gerne versucht, antiquierte Tabus zu brechen, scheint irgendwie verpönt zu sein. Deshalb schweige ich, wenn die Mittagsrunde zum Thema Analsex tagt. Manchmal schäme ich mich heimlich dafür, dass ich ihn mag. Ich will kein schmuddeliges Luder it vulgärem Touch sein. Aber vielleicht sollte ich die Mittagsrunde auch nicht als Maßstab für sexuelle Aufgeschlossenheit benutzen, um meine Unsicherheiten zu unterfüttern. Wer weiß.

Kommentare

  1. Das Ausbleiben von Kommentaren lässt vermuten, dass das verpönte auch hier herrscht...
    Schön, dass Du Dich dem ab und zu widersetzt. Zumindest hier.

    M.

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    1. Du hast mich heute gerettet, M. Danke dafür! Ich dachte, ich rebelliere wenigstens hier, heimlich und leise, im Untergrund. ;-)

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    2. Zu viel der Ehre, Rettung ist mehr...
      Noch dazu zwei andere viel mehr -ihre Meinung- hierzu beigetragen haben.
      Und ich mag nunmal den Untergrund

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    3. Ich habe mich trotzdem gefreut! Umso mehr, weil du den Untergrund magst...

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  2. Ich mag`s, situativ. ich kann sogar anale Orgasmen haben ;-)

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    1. Es ist schön, das zu lesen. Du bist damit die erste Frau, die ich kenne, die das zugibt. Danke! :-)

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  3. Was soll daran "schmuddelig" sein? Erlaubt ist, was gefällt.
    Ob allerdings der Arbeitsplatz der richtige Ort zum Meinungsaustausch ist, wage ich zu bezweifeln ...

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    1. So einfach ist das? Wirklich?
      Nunja, grundsätzlich teile ich deine Meinung. Allerdings ist die Mittagsrunde speziell. Und das ist auch gut so. Wir sind alle ein wenig mehr als Kollegen. Eher Freunde.

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