Von verhexten Beziehungen

In den letzten Minuten hab ich viele Sätze getippt, nur um sie anschließend wieder zu löschen. Ich kann fühlen, was ich schreiben will, aber es fällt mir schwer, es auf den Punkt zu formulieren: Es beschäftigt mich seit ein paar Tagen mal wieder intensiv, dass ich in den allermeisten meiner Beziehungen das Gefühl habe, nicht gesehen zu werden und nicht gut genug zu sein.  Da ist zum Beispiel die enge Freundin, die mir Tag und Nacht WhatsApp-Nachrichten schreibt, mich quasi in Echtzeit an ihrem Seelenleben teilhaben lässt, aber nicht einmal auf die Idee kommt, mich zu fragen, was los ist, obwohl ich klar formuliere, dass es mir nicht gut geht. Da ist der Mann, der in all den Jahren nicht auf die Idee gekommen ist, mich heiraten zu wollen. Vermutlich weil ich nicht gut genug bin. Was einerseits okay ist, weil ich nicht heiraten will, aber andererseits in stummer Beharrlichkeit das Gefühl in mir erzeugt hat, dafür wohl nicht gut genug zu sein. Ein Gefühl, das schmerzt. Da ist die Freundin

Vom Hageltanz

"Jeder spinnt auf seine Weise, 
der eine laut, der andre leise."

(Joachim Ringelnatz)


Manchmal verschwinden alle Gedanken. Einfach so. Dann hühnere ich kopflos durch die Gegend und folge wahllos wirr aneinandergereihten Impulsen. Das ist der Grund dafür, dass ich mich heute nicht zurückhalten kann. Als es plötzlich vor dem Fenster zu pritseln und zu prasseln beginnt , springe ich so abrupt auf, dass mein Schreibtischstuhl an die hinter mir stehende Schrankwand donnert.
"Was ist denn jetzt los?!", ruft mein Chef erschrocken und fährt zusammen.
Ich stürme an ihm vorbei.
Während ich die Balkontür öffne, drehe ich mich zu ihm um.
"Es hagelt!", rufe ich begeistert.
Seine Augen werden ganz groß, als er erkennt, was ich vorhabe.
"Nein, Muschelmädchen! Nein, nein!"
Mit nur einem Schritt hüpfe ich auf den Balkon. Verzaubert strecke ich die geöffnete Hand aus. Ein paar schneeweiße, runde Hagelkörner sammeln sich kalt in meiner Handinnenfläche. Sie rinnen mir durch die Finger wie Sand.
Der Chef ruft immer noch.
"Muschelmädchen, nein!"
Ich muss ein Schmunzeln unterdrücken, denn er klingt, als würde er seinen Hund versuchen zu erziehen. Meine Ohren sind auf Durchzug gestellt. Nur einen kleinen Sprung braucht es, um über die viel zu niedrige Balkonbrüstung zu hüpfen. Im Nullkommanichts lande ich mit beiden Füßen  auf dem Flachdach.
"Zieh dir wenigstens etwas an... Du bist viel zu dünn angezogen!", ruft es hinter mir.
Ich ignoriere ihn. Stattdessen laufe ich zur Mitte des Flachdaches. Dort schließe ich die Augen und recke meine Nasenspitze in den Himmel. Tausende von kleinen Hagelkörnchen fliegen, dicht an dicht, hinab. Sie kitzeln mich sanft auf der Kopfhaut und den Wangen, verfangen sich in meinen Haaren, meinem Tuch, der leichten Bluse, die ich trage, rutschen mein Dekolleté hinab, zaubern mir eine Gänsehaut. Zum ersten Mal an diesem Tag habe ich das Gefühl, frei atmen zu können. Und das allein ist Grund genug, für ein paar viel zu kurze Minuten alles loszulassen und mich lächelnd einmal quer über das Dach zu tanzen.

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