Von verhexten Beziehungen

In den letzten Minuten hab ich viele Sätze getippt, nur um sie anschließend wieder zu löschen. Ich kann fühlen, was ich schreiben will, aber es fällt mir schwer, es auf den Punkt zu formulieren: Es beschäftigt mich seit ein paar Tagen mal wieder intensiv, dass ich in den allermeisten meiner Beziehungen das Gefühl habe, nicht gesehen zu werden und nicht gut genug zu sein.  Da ist zum Beispiel die enge Freundin, die mir Tag und Nacht WhatsApp-Nachrichten schreibt, mich quasi in Echtzeit an ihrem Seelenleben teilhaben lässt, aber nicht einmal auf die Idee kommt, mich zu fragen, was los ist, obwohl ich klar formuliere, dass es mir nicht gut geht. Da ist der Mann, der in all den Jahren nicht auf die Idee gekommen ist, mich heiraten zu wollen. Vermutlich weil ich nicht gut genug bin. Was einerseits okay ist, weil ich nicht heiraten will, aber andererseits in stummer Beharrlichkeit das Gefühl in mir erzeugt hat, dafür wohl nicht gut genug zu sein. Ein Gefühl, das schmerzt. Da ist die Freundin

Vom Untrennbaren

"Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen,
die sich über die Dinge ziehn.
Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen,
aber versuchen will ich ihn."
 (Rainer Maria Rilke: Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen)

Wenn man es genau nimmt, wusste ich, dass sich etwas ändert, als ich meine Großeltern das letzte Mal gesehen habe. In den vergangenen Jahren ist mein Opa in sich zusammengefallen. Die Demenz hat ihn zu einem glücklicheren Menschen gemacht, weil er endlich die Kriegserinnerungen, die Bilder, die sich im Schützengraben in seine Seele hineingebrannt haben, vergessen konnte. Gleichermaßen hat er aber an Selbstbewusstsein verloren. Die Unsicherheit, die in seinem Blick liegt, ist nicht zu übersehen. Denn er spürt, dass etwas mit ihm nicht stimmt. Er hat eine Ahnung davon, dass er Dinge vergisst. Zumindest in seinen klaren Momenten.
Anfangs wirkte er manchmal nur leicht verwirrt: Im Supermarkt kaufte er statt Kartoffeln Schokolade, verpasste Arzttermine oder vergaß, den Herd auszuschalten. Später verirrte er sich in der Stadt und fand den Weg nicht mehr nach Hause. Alles ging so schnell. Und schließlich kam der Tag, an dem er begann, die Menschen nicht mehr wiederzuerkennen. Es fiel mir unglaublich schwer, ihm nicht zu zeigen, wie weh es tat, dass er mich schließlich nicht mehr erkannte. Ich wollte ihm nicht mit dem Gefühl belasten, etwas falsch gemacht zu haben, wollte sie nicht sehen, diese Unsicherheit, den Schmerz, etwas falsch gemacht zu haben, in seinem trüben Blick.
Heute morgen wurde mir erzählt, dass er morgen in ein Pflegeheim zieht. Meine Oma bleibt zurück. Sie schafft es, mit über 90 Jahren, nicht mehr, sich um ihn zu kümmern. Allein dass sie dies jetzt erkennt und ausspricht, ist ein riesiges Alarmzeichen. Dennoch fühlt es sich für mich an, als würden wir Opa aufgeben. Meine Großeltern sind über 70 Jahre mit einander verheiratet. Sie kennen einander in- und auswendig, sind ein Herz und eine Seele. Sind so voll tiefer Liebe für einander. Kein Tag ist in den letzten 25 Jahren vergangen, an dem sie nicht an der Seite des anderen waren. Und nun kommt es mir vor, als würden wir ewas Untrennbares mit Gewalt trennen. Das fühlt sich vollkommen falsch an.

Kommentare

  1. Dass wir alle immer älter werden (können), hat also einen unerwarteten Effekt auf unsere Leben und die, die wir lieben: Jahrtausende lang war der Abschied von ihnen ein plötzlicher, ohne die Möglichkeit einer Vorbereitung
    In der großen Mehrheit der Fälle ein körperliches Gebrechen, oft ein plötzlicher Tod, der die Angehörigen urplötzlich herausriss aus dem vertrauten Gefüge, sie von jetzt auf nachher in eine neue Situation hineinschubste.

    Heute sind die Abschiede mehr und mehr von angekündigterer Natur - körperlich noch funktionsfähige Menschen entwickeln mentale Erkrankungen, die sie scheibchenweise und in einem längeren Prozess von uns wegzerren, sie zurückschieben in das Stadium unselbständiger Kleinstkinder.
    Ein rollback des Lebenslaufs, den die Angehörigen hilflos mit ansehen müssen, statt sich kurz und schmerzvoll dem plötzlichen Abschied stellen zu müssen.

    Ich weiß nicht, was besser ist oder wofür der Mensch eher "gemacht" wurde.
    Vielleicht geht die langsame, schrittweise Loslösung von einem Menschen in dem Bewusstsein, dass es ihn in der Form, wie man ihn gekannt hat, ohnehin in Kürze nicht mehr geben wird, doch leichter?

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