Von der anderen Liebe

"Es geht nicht um mich.", sagt er, "Es geht um dich. Es geht immer nur um dich." Seine Arme legen sich um mich, fangen mich auf, er vergräbt flüsternd die Nase in meinem Haar. "Es geht um dich. Es geht um dich. Es geht um dich.", flüstert er und jedes einzelne Wort fühlt sich an, als würde es tief in mich hineinfallen und mich von innen auftauen. Ich glaube, es ging noch nie in meinem Leben um mich. Natürlich tut es das auch jetzt nicht. (Weil es um ihn geht. Ist doch klar.) Aber es tut mir so gut, dass da jemand ist, der mich sieht. Der ohne eine einzige Forderung zu stellen, da ist, mich lieb hat und annimmt, ohne mich ändern zu wollen. Der einfach dankbar nimmt, was ich zu geben habe, ohne mir im Anschluss den Arm auszureißen und mich zu mehr zu drängen als ich geben will. Jemand, der so ein großes Herz hat, so warmherzig, gütig und voller Liebe ist. Ja, vielleicht ist das alles nur eine Momentaufnahme. Vielleicht wird morgen schon alles ganz anders sei

Vom runden Abschluss

"Ich habe eine Weile überlegt, ob ich das so schreiben darf, denn mir war ja immer klar, dass du liest, was ich schreibe. Und trotzdem habe ich geschrieben und dich offensichtlich ziemlich getroffen. Das war dir gegenüber nicht fair. Ich wollte dich, Muschelmädchen, nicht verurteilen oder beurteilen und es tut mir wirklich leid, dass ich dich verletzt habe."

(E-Mail, 23.04.2017)

Liebes Muschelmädchen,

weißt du, dass du mich heute ein wenig stolz gemacht hast? Wie lange hast du überlegt, die Blumenfrau mit deinen Gefühlen zu konfrontieren? Ein Jahr? Zwei Jahre? Heute hast du es getan. Anstatt das Für und Wider zu zergrübeln, hast du dich hingesetzt und aufgeschrieben, dass es dir wehgetan hat, dich von einem Menschen, der dich nicht kennt, verurteilen zu lassen. Ich finde, dass es dir auf eine sehr nette Art und Weise gelungen ist, ihr mitzuteilen, was du dabei empfunden hast. Du hast ihr keinerlei Vorwürfe gemacht, lediglich Gefühle beschrieben und aufgezeigt, welche Reaktion du dir alternativ gewünscht hättest. Mehr noch: Du hast sogar versucht, zu verstehen, warum sie dich und dein Verhalen verurteilt. Als du alles aufgeschrieben hattest, hast du fast ohne zu Zögern auf den "Senden"-Button gedrückt. Du hast es tatsächlich geschafft, deine Gefühle an den Menschen zu bringen, der sie ausgelöst hat. Das ist gut. Du musst jetzt nicht mehr grübeln und an dir selbst zweifeln, den du hast den Ball zurückgespielt. Er liegt nicht mehr bei ihr. Sie muss jetzt mit den Gefühlen, die sie in dir ausgelöst hat, umgehen. Und das ist mehr als fair. Denn, nur mal unter uns beiden gesagt, ich finde genau wie du, dass sie sich für ihr Verhalten schämen sollte. Ganz egal, welche edlen Motive sie angetrieben haben mögen.

Du weißt es noch nicht, aber in deinem Posteingang wartet bereits Ihre Antwort auf dich. Mitten in der Nacht hat sie dir zurückgeschrieben. Ein wenig wirst du zittern, während du ihre Mail öffnest und ihre Zeilen liest. Aber das ist unnötig: Denn sie wird Verständnis dafür haben, dass du sie mit deinen Gefühlen konfrontierst. Auch wenn man deine Reaktion nicht wirklich als "zeitnah" bezeichnen kann. Mehr noch: Sie wird sich bei dir für ihr unfaires Verhalten entschuldigen. Und du wirst dich erleichtert fühlen. Zwei Tage später wirst du dich fragen, warum du nicht schon viel eher das Wort ergriffen hast.

Du kannst jetzt abschließen mit, dem was war. Ich weiß, dass das ein bisschen Zeit benötigen wird. Das ist vollkommen in Ordnung. Nur um einen Gefallen möchte ich dich bitten: Vor ein paar Tagen ist mir aufgefallen, dass du den Druck, den dir T. in den vergangenen Monaten gemacht hat, ziemlich internalisiert hast. Ich habe die vage Vermutung, dass du dich mittlerweile schon pro forma in einer Situation siehst, der du dem Druck eines anderen Menschen ausgesetzt bist. Das gefällt mir nicht so gut. Vielleicht kannst du versuchen, wieder etwas offener anderen Menschen gegenüber zu sein. Mir hat die gutgläubige, naive Frau von früher eigentlich ganz gut gefallen. Geh davon aus, dass jemand gut ist, Muschelmädchen. Das Gegenteil kann er dir noch immer beweisen.
Zudem mag ich dich bitten, auf dich aufzupassen. Ich kenne deine kleinen und großen Macken, die du hegst und pflegst, wenn du in Stresssituationen kommst oder dich vor emotionalen Herausforderungen siehst. Und ich sehe es, wenn du den Fingernagel deines Zeigefingers in deinen Daumen drückst bis es schmerzt. Also hör auf damit.
Und denk dran: Ich bin du. Ich will nur das Beste für dich.

Alles Liebe.
Dein Muschelmädchen.
 

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Vom Kaffee und vom Leben

Vom Unglücklichsein

Vom Schmerzgedächtnis