Von verhexten Beziehungen

In den letzten Minuten hab ich viele Sätze getippt, nur um sie anschließend wieder zu löschen. Ich kann fühlen, was ich schreiben will, aber es fällt mir schwer, es auf den Punkt zu formulieren: Es beschäftigt mich seit ein paar Tagen mal wieder intensiv, dass ich in den allermeisten meiner Beziehungen das Gefühl habe, nicht gesehen zu werden und nicht gut genug zu sein.  Da ist zum Beispiel die enge Freundin, die mir Tag und Nacht WhatsApp-Nachrichten schreibt, mich quasi in Echtzeit an ihrem Seelenleben teilhaben lässt, aber nicht einmal auf die Idee kommt, mich zu fragen, was los ist, obwohl ich klar formuliere, dass es mir nicht gut geht. Da ist der Mann, der in all den Jahren nicht auf die Idee gekommen ist, mich heiraten zu wollen. Vermutlich weil ich nicht gut genug bin. Was einerseits okay ist, weil ich nicht heiraten will, aber andererseits in stummer Beharrlichkeit das Gefühl in mir erzeugt hat, dafür wohl nicht gut genug zu sein. Ein Gefühl, das schmerzt. Da ist die Freundin

Vom Schreien

Der Mann und ich haben seit mehreren Tagen Besuch. Eigentlich mag ich den Besuch. Aber zurzeit bin ich so sehr mit mir selbst beschäftigt, dass es mich belastet, nicht in dem Maße allein sein zu können, in dem ich es brauche, damit es mir gut geht. Also schiebe ich heute einen Termin vor, den ich durchaus hätte ausfallen lassen können, und nutze ihn, um förmlich von Zuhause zu flüchten. Leider aber reicht die Zeit, die ich nicht Zuhause verbringe, bei weitem nicht aus, um mich zu regenerieren.

Nach dem Termin merke ich, dass ich nicht nach Hause fahren will. Die dauerhafte Lautstärke dort, fabriziert durch mehrere Kinder im Alter zwischen vier und sieben Jahren, geht mir an die Substanz. Und ich mag auch nicht reden. Oder jemanden unterhalten müssen. Stattdessen will ich einsiedlerkrebsen. Alleine und still und nur für mich sein. 

Mein Herz ist schwer. Es fühlt sich an, als würde es in meinen Fußsohlen schlagen und sie überreden wollen, woanders hin zu laufen. Also verlängere ich meinen Rückweg künstlich. Fahre über kleine Straßen, die von uralten Bäumen umsäumt werden, schotterige Feldwege und Straßen, auf denen ich mich alleine fühle, weil mir kilometerlang kein Auto entgegenkommt. Ich bin viel zu schnell, vor allem für die Enge der Straßen, mag aber auch nicht den Fuß vom Gaspedal nehmen. Weil es mir gut tut, so schnell zu fahren, dass ich wirklich nur fahren kann, nicht nachdenken muss. 

Hinter einer der zahlreichen Wegbiegungen zwinge ich mich trotzdem dazu anzuhalten. Ich steige aus, stiefele auf das nasse Feld hinaus, über dem tief der Nebel hängt, und atme ein. Da ist so viel Sehnsucht in mir, dass es schmerzt und ich es kaum schaffe, dagegen anzuatmen. Also schreie ich. Ich schreie einmal dieses verdammte Feld zusammen, lasse all die Gefühle raus, die so nahe unter der Oberfläche schlummern. Schreie, bis ich keine Luft mehr bekomme und mir die Kraft ausgeht, gegen den Wind an. Der Nebel verschluckt die Geräusche.

Als ich wieder im Auto sitze, fällt mir ein, dass wir das früher, als Jugendliche, oft getan haben. Unzählige Male haben wir uns, zu jeder Tages- und Nachtzeit, aufs Feld gestellt und alles an Gefühlen, was sich übermächtig angefühlt hat, herausgebrüllt. An Tagen, an denen es besonders schlimm war, haben wir Geschirr geklaut und es schreiend auf dem grauen Asphalt zerschmettert. Massen von Geschirr sind meinen Gefühlen zum Opfer gefallen. Ich habe jahrelang nicht mehr daran gedacht. Aber ich wünschte mir gerade sehr, Geschirr hier zu haben. Auch wenn ich insgeheim bezweifle, dass es mir dann besser gehen würde.

Kommentare

  1. Das ist faszinierend - das "Hinausschreienkönnen". Und wollen.
    Ich glaube das durfte ich mir nie erlauben.
    Und der Gedanke, dass meine eigene Lautstärke jemanden hätte stören können, hat mich stets stumm bleiben lassen.

    Genau genommen kann ich mich an jedes einzelne Mal erinnern, an dem ich geschrien habe, und allein die Erinnerung daran bereitet mir großes Unbehagen.

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    1. Das ist eine Erinnerung an meine Kindheit: Ich sollte immer leise sein. Und über Konflikte wurde nicht gesprochen.

      Du kennst mich schon so lange: auch ich bin nicht laut. Deshalb kann ich dir nur empfehlen, mal zu versuchen zu schreien. Es kann sehr befreiend sein.

      Schreibst du mal über deine Erinnerungen an das Schreien? :-)

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    2. Auftrag verstanden.
      Setze mich in Marsch.

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