Vom Mauerloch
"Ich schreib' auf deine Mauer: "Hier ist die Tür".
Und ich renne fest dagegen, damit ich irgendetwas spür'.
Und je mehr ich deine Nähe such', desto weiter rückst du fort.
Und obwohl ich mich dafür verfluch', werf ich die Hoffnung nicht ganz über Bord."
(Alin Coen: Ich war hier)
Ich bin davon überzeugt, dass jede Begegnung einen Zweck hat, dass man, wann immer man einem Menschen über den Weg läuft, etwas von ihm nimmt und ihm etwas von sich selbst mitgibt. Ich weiß noch nicht, was genau er mir gibt, aber ich glaube zu wissen, warum ich seinen Weg gekreuzt habe:
Was immer mir das Leben serviert, ich versuche, etwas Gutes darin zu finden, selbst in den schwärzesten Momenten. Ich bin resilient. Falle auf meine Füße oder stehe, unter Aufbegehren all meiner Kraft, wieder auf. Selbst wenn es lange dauert alte Wunden zu heilen:
Ich liebe mich durch das Leben hindurch, liebe die Menschen und einfach alles, was mir wild vor die Füße fällt. Seitdem ich ihn kenne, verfolgt mich das hartnäckige Bedürfnis, ihm zu sagen, dass er liebenswert ist. Mir war lange unklar, woher dieses Gefühl kommt und ob es überhaupt eine Berechtigung hat. Aber ich bin dem Gefühl gefolgt. Ich habe versucht, ihn kennenzulernen und dabei zu ignorieren, dass er mir das wirklich schwer macht. Gefühlt bin ich gegen unzählige Mauern gerannt. Meistens war es okay. Nur ein bis siebzehn Mal habe ich ernsthaft überlegt, ob ich rekapituliere, mich in mein Schneckenhaus zurückziehe und es einfach lasse. Aber ich konnte dieses Gefühl, dass ich es noch einmal, nur noch einmal, versuchen muss, einfach nicht loswerden. Ich war aufdringlich. So richtig. Wieder und wieder und ganz gegen meine eigentliche Natur. Denn eigentlich dränge ich mich nicht auf. Wer mich kennt, weiß, dass ich lieber weglaufe, als mich aufzudrängen. Aber das hier hat sich anders angefühlt. Ich konnte nicht aufhören, nach einem Schlupfloch in dieser verdammten Mauer zu suchen. Ich konnte einfach nicht, auch wenn ich immer mal wieder von Herzen wollte.
Vor einigen Tagen hat er ein kleines Loch in die Mauer geschlagen und mir einen Einblick in sein Leben gegeben. Ich habe das überhaupt nicht mehr kommen sehen. Es war ein kurzer, vollkommen überraschender, aber so intensiver Einblick, dass ich einigermaßen fassungslos, fast schon schockiert um Worte gerungen habe. Die, die ich gefunden habe, waren nicht gut genug. Aber seitdem ich mehr über ihn weiß, glaube ich, dass das Bedürfnis ihm zu zeigen, wie liebenswert er ist, seine Berechtigung hat. Außerdem ist genau dieses Bedürfnis nun ins Unermessliche gestiegen. Vielleicht sind wir uns also dafür begegnet: damit er lernen kann, sich durch meine Augen zu sehen und Frieden zu schließen mit Dingen, die waren und unabänderlich sind. Das könnte heilsam sein. Es wäre schön, wäre es heilsam.
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