Von verhexten Beziehungen

In den letzten Minuten hab ich viele Sätze getippt, nur um sie anschließend wieder zu löschen. Ich kann fühlen, was ich schreiben will, aber es fällt mir schwer, es auf den Punkt zu formulieren: Es beschäftigt mich seit ein paar Tagen mal wieder intensiv, dass ich in den allermeisten meiner Beziehungen das Gefühl habe, nicht gesehen zu werden und nicht gut genug zu sein.  Da ist zum Beispiel die enge Freundin, die mir Tag und Nacht WhatsApp-Nachrichten schreibt, mich quasi in Echtzeit an ihrem Seelenleben teilhaben lässt, aber nicht einmal auf die Idee kommt, mich zu fragen, was los ist, obwohl ich klar formuliere, dass es mir nicht gut geht. Da ist der Mann, der in all den Jahren nicht auf die Idee gekommen ist, mich heiraten zu wollen. Vermutlich weil ich nicht gut genug bin. Was einerseits okay ist, weil ich nicht heiraten will, aber andererseits in stummer Beharrlichkeit das Gefühl in mir erzeugt hat, dafür wohl nicht gut genug zu sein. Ein Gefühl, das schmerzt. Da ist die Freundin

Vom mechanischen Orgasmus

Es ist mitten in der Nacht. Die dritte Nacht infolge und ich kann nicht schlafen. Seit dreieinhalb Stunden drehe und wende ich mich, ohne zur Ruhe zu kommen. Die Gedanken toben so laut durch meinen Kopf, dass ich mich frage, wie der Mann, der neben mir im Bett liegt, so friedlich schnarchend vor sich hinschlafen kann, ohne etwas von dem Chaos in meinem Kopf zu ahnen. Die Nacht ist zu dunkel für mich. Immer wieder denke ich, dass mein Körper doch irgendwann müde genug sein muss, um den Kopf auszuschalten und einzuschlafen. Aber die Gedanken verselbständigen sich. Wieder und wieder. Um 1:30 Uhr gebe ich auf und stehe auf. Allerdings schleiche ich mich nicht aus dem Zimmer, sondern erst einmal zum Schlafzimmerschrank. Leise öffne ich die Schublade unter den Socken und taste zwischen all dem Spielzeug nach dem, was ich suche. Ich muss mich entspannen. Dringend und schnell. Da ist der Womanizer die beste Wahl.

Auf dem Sofa im Wohnzimmer liegend scrolle ich mich durch mein Handy. Wenn ich mich heute meinem Kopfkino überlasse, kann ich im Anschluss noch weniger schlafen, weil ich ganz genau weiß, wo das hinführt. Nämlich zu einem anderen Mann. Also suche ich nach einem passenden Porno, der mich ablenkt. Doch obwohl ich jetzt wirklich lange Pornofasten betrieben habe, ist es schwierig. Der Kram ist so langweilig. Die immer gleichen Szenen, immer ähnliche Handgriffe, die glattgebügelten Protagonisten mit ihren viel zu schönen, durchtrainierten Körpern. Silikonbrüste, Silikonlippen, Silikonlächeln. Menschen, die aussehen, als hätte man ihnen den Charakter aus dem Gesicht geschrubbt. Kalkulierbare Abläufe: Ausziehen, Blowjob, oder bemüht wild: Deep Throat, oral, vaginal, anal, rein, raus. Irgendwo dazwischen, weil es ja "hart" sein soll, etwas Dirty Talk, eine sanfte, aber lieblose Ohrfeige und/oder der obligatorische Klaps auf den Hintern. Genitalien in Großaufnahme. Cumshot. Fertig. (Ich sollte in die Pornobranche wechseln. Ich schwöre, meine Pornos wären besser!)

Das alles ist so offensichtlich gestellt, dass es mir nicht gelingt, mir einzureden, es wäre echt. Deshalb kickt es nicht. Und normalerweise würde ich genau an diesem Punkt jetzt anfangen, das härtere Zeug zu suchen - auf der Suche nach irgendetwas, was mich überrascht und deshalb erregt. Aber heute mag ich nicht. Ich will mich nicht hinterher schlecht fühlen, weil ich mir irgendeinen Dreck reingezogen habe, bei dem unklar ist, ob die Einvernehmlichkeit gespielt oder echt war. Ich will schlafen können.

Also fällt meine Wahl auf einen vollkommen beliebigen Film. Jetzt, wo ich diese Zeilen schreibe, kann ich mich nicht einmal mehr daran erinnern, wie die Protagonisten aussahen. Sie waren vollkommen austauschbar. Einzig eine Szene bleibt mir im Gedächtnis: Seine Hand liegt fest um ihren Hals. Er drückt nicht zu, aber vermittelt ihr doch das deutliche Gefühl von Überlegenheit. Während er sich über sie beugt, sich hart und unnachgiebig in sie stößt, küsst er sie verhältnismäßig sanft. Den Widerspruch in der Intensität zwischen den zeitgleichen Berührungen mag ich sehr.

Aber meine Lust ist letztendlich wie der Film, den ich konsumiere: Leidenschaftslos. Während ich meinen Körper, mit Womanizer und Fingern, regelrecht antreiben muss sich hinzugeben, lausche ich immer mal wieder ins Schlafzimmer. Das Schnarchen ist verstummt, aber sonst rührt sich nichts. Mit schlechtem Gewissen schalte ich mich von Vibrationsstufe zu Vibrationsstufe und versuche meine Gedanken einzufangen.

Aller Bemühungen zum Trotz verselbständigen sie sich trotzdem immer mal wieder. Lustigerweise sind sie jedoch, im Verhältnis zum laufenden Film, regelrecht harmlos. Dennoch erregen sie mich viel mehr, als der explizite Film, der eigentlich vor meinen Augen abläuft. Ich stelle mir vor, dass er auf dem Rücken liegt und ich auf ihm sitze. Beide sind wir voll bekleidet. Ich spüre ihn, hart, durch seine Hose hindurch, unter mir und reibe mich sanft an ihm, während ich ihn direkt ansehe. Er erwidert meinen Blick, aber schließt die Augen, als ich mich zu ihm hinab beuge. Mein Atem streift sein Gesicht. Er lächelt mit geschlossenen Augen. Drei Küsse, so zart, das sie kaum wahrnehmbar sind: Auf die linke Augenbraue, auf das rechte Augenlid, auf den linken Mundwinkel. Dabei beobachte ich jede Regung seines Gesichts. Als er mich zu sich zieht, mich küssen will, schrecke ich aus meinen Gedanken.

Ich sollte nicht daran denken, einen anderen Mann zu küssen, als den, der im Nebenzimmer liegt. Also halte ich inne. Lasse die Lust sich abkühlen und beginne von vorne. Alle Konzentration bemüht auf den Film gerichtet, der auf dem Handy läuft. So wird der Orgasmus zur Schwerstarbeit. Und als er schließlich kommt, ist er weit davon entfernt, mich zu überrollen. Oder überhaupt: gut zu sein. Stattdessen falle ich vielmehr, ganz langsam, in den Orgasmus hinein. Er fühlt sich mechanisch an. Als ob der Körper weiß, wie er auf zielgerichtete Berührungen reagieren muss, aber der Kopf nicht mit der Lust mitgegangen ist. Was der Wahrheit entspricht. Vor allem aber ist der Orgasmus maximal unbefriedigend. Ich könnte, ohne eine Pause einzulegen, einfach weitermachen. Ätzend. So ätzend. Jetzt bin ich nicht nur wach sondern auch genervt und unbefriedigt.

Aber ich weiß auch, dass es heute nicht mehr besser wird. Zumindest solange ich mich meinen Gedanken nicht hingebe. Und das habe ich nicht vor. Nicht hier, nicht jetzt, nicht so. Wenn ich mich im Anschluss schon schuldig fühlen muss, dann soll es sich wenigstens lohnen. Also gebe ich auf und schleiche schließlich, auf leisen Sohlen, ins Schlafzimmer zurück. Als ich mich ins Bett gleiten lasse, ist der Mann wach. 

"Ist alles okay?", flüstert er.

Ohne meine Antwort abzuwarten, ist er längst wieder eingeschlafen, während ich, einen Tag später, noch immer die richtige Antwort auf seine Frage suche.

Kommentare

  1. Ein guter Mann hat nichts dagegen, sich in einem solchen "Notfall" wecken zu lassen um zu helfen, den Missstand zu beseitigen ...

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    1. Aber was ist, wenn "Mann" die Ursache des Wachseins ist?
      M.

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    2. Ich muss sagen: Ich freue mich gerade sehr, eure beiden Namen hier zu lesen! Nachdem ich mich hier in letzter Zeit einmal durch alles alte Zeug inklusive der Kommentare gelesen habe, noch viel mehr.
      Schön, dass ihr da seid!

      (Inhaltlich mag ich gar nichts sagen :-))

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    3. Ich bleib´ Dir treu :-)

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    4. "von Briefen an den Gärtner" muss das BESTE jemals erdachte blogpost -Label sein.

      Und die Geschichte....Verdammt.
      Wieso war ich so lange nicht hier?

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