Von verhexten Beziehungen

In den letzten Minuten hab ich viele Sätze getippt, nur um sie anschließend wieder zu löschen. Ich kann fühlen, was ich schreiben will, aber es fällt mir schwer, es auf den Punkt zu formulieren: Es beschäftigt mich seit ein paar Tagen mal wieder intensiv, dass ich in den allermeisten meiner Beziehungen das Gefühl habe, nicht gesehen zu werden und nicht gut genug zu sein.  Da ist zum Beispiel die enge Freundin, die mir Tag und Nacht WhatsApp-Nachrichten schreibt, mich quasi in Echtzeit an ihrem Seelenleben teilhaben lässt, aber nicht einmal auf die Idee kommt, mich zu fragen, was los ist, obwohl ich klar formuliere, dass es mir nicht gut geht. Da ist der Mann, der in all den Jahren nicht auf die Idee gekommen ist, mich heiraten zu wollen. Vermutlich weil ich nicht gut genug bin. Was einerseits okay ist, weil ich nicht heiraten will, aber andererseits in stummer Beharrlichkeit das Gefühl in mir erzeugt hat, dafür wohl nicht gut genug zu sein. Ein Gefühl, das schmerzt. Da ist die Freundin

Von Pornos

Als Mädchen und als junge Frau haben mich Pornos häufig verunsichert.
Auch wenn in der Jugendzeitung "Bravo" oft genug zu lesen war, dass ich nichts Sexuelles tun muss, was ich nicht wirklich will, habe ich mich oft gefragt, ob es nicht von mir erwartet wird, zu allen Schandtaten - oder sexuellen Praktiken - sofort bereit zu sein, wenn ich mich auf einen Mann einlasse.
Oralsex, Vaginalsex, Analsex.
In Pornos wird all das immer so selbstverständlich dargestellt.
FFM, MMF, Gruppensex, Sex an öffentlichen Orten, Bukkake, Deep Throat.
Degradation, Humiliation, Domination, Ejaculation, Penetration, Masturbation.
Und all das bitte in einer Compilation.
Oft war ich früher neugierig, wenn ich all diese Begriffe las. Aber manchmal auch heimlich überfordert. Obwohl es damals, als ich meinen ersten Porno sah, noch gar nicht so leicht war, an Filme heranzukommen, wenn man nicht die Videothek besuchen wollte. Ich kann mich daran erinnern, dass eMule uns damals ziemlich viel Geduld abverlangte. Ehe die Pornoplattformen aus dem Boden schossen.

Als ich älter wurde, habe ich oft, gemeinsam mit Freunden, darüber diskutiert, ob diese Sexualisierung der Gesellschaft, die meines Erachtens in den letzten Jahren, unter anderem durch den Ausbau der Pornoindustrie, zugenommen hat, uns wirklich etwas Gutes gebracht hat. Oder ob es unserer Sexualität, durch die offensive Darstellung von Sex, nicht auch einen gewissen Reiz genommen und zu einem Erwartungs- beziehungsweise Leistungsdruck geführt hat, der kaum noch hinterfragt wird. Ich habe mich beispielsweise nie gefragt, ob ich es mag, Sperma zu schlucken. Stattdessen war für mich immer klar, dass ich keine dieser Frauen sein wollte, über die gelacht wird, weil sie im Anschluss an den Sex mit vollem Mund ein Taschentuch suchen, um sich zu erleichtern. Schlucken wurde vorausgesetzt - darüber ob das schön ist oder nicht, habe ich mir nie Gedanken gemacht. Vielleicht bin ich damit allein und war einfach nicht willens- beziehungsweise charakterstark genug, um mir solche Fragen zu stellen.
Das mag sein. Aber das zu glauben fällt mir schwer.

Heute gucke ich gerne Pornos.
Sie überfordern mich nicht mehr, schockieren mich kaum noch und lassen mich in den wenigsten Fällen nachdenklich zurück. Weit häufiger als nachdenklich fühle ich mich hinterher teil-befriedigt. Ich lasse mich gerne verführen, inspirieren, animieren und befriedigen. Wirklich. Über die Zeit gebrochen, schaue ich vermutlich nicht einmal übermäßig viele Pornos. Ich gucke nicht täglich. Aber wenn ich gucke, dann schon ausführlich. Ein bisschen binge-mäßig.
Doch in letzter Zeit frage ich mich ab und an, ob ich nicht mal porno-fasten sollte.
Denn wenn ich meinen Pornokonsum mal ganz nüchtern betrachte, bin ich mir plötzlich nicht mehr ganz so sicher, ob er meinem Sexualleben zuträglich ist. Zumal es immer ein wenig dauert, bis ich einen Film gefunden habe, der mich reizt. Die Mehrzahl der Filme interessiert mich schon mal nicht, weil sie einfach langweilig sind:

Warum liegt hier eigentlich Stroh? Rein-raus-fertig.
Das mag irgendwie witzig, weil absonderlich plump, sein, macht mich aber kein bisschen an. Und schon gar nicht meine Fantasie. Und die will angesprochen werden, immerhin bin ich eine Frau. Großaufnahmen von Geschlechtsteilen können spannend sein, ja. Aber nicht durchgängig. Das Drumherum interessiert mich schon auch ein bisschen. Die Situation, das Spiel, die Atmosphäre, die Protagonisten. Gerade den Protagonisten ist es geschuldet, dass mich viele Filme kein bisschen animieren. Denn wenn die Protagonisten seltsam aussehen, fällt es mir schwer, sie ernst zu nehmen.
Da sind zum Beispiel die vielen Silikonfrauen.
Ich frage mich ernsthaft, was an Frauen, die von oben bis unten aus Silikon bestehen, attraktiv ist. Ich meine, außer, dass man aus zwei Silikonbrüsten, wenn sie schlecht gemacht sind, vier zaubern kann, wenn man weiß, wie man zupackt? Ja, da spricht die Erfahrung. Aber ich finde das nicht schön. Genauso wenig wie aufgespritzte Lippen, superblondierte und fest verkleisterte Extensions und ein dreifach aufgetragenes Makeup. Das ist wenig inspirierend.
Aber auch zu viele Piercings und Tattoos stören mich irgendwie. Zumindest bei Frauen. Ich sehe so einfach nicht aus: Weder habe ich Piercings noch Tattoos noch Extensions noch Silikon an mir. Ich bin einfach ziemlich normal. Und mein Körper ist, im Verhältnis zu all den schönen Frauen, die in diesen Filmen zu finden sind, kein bisschen makellos. Da mir das über-bewusst ist, fällt es mir schwer, mich in sie hineinzuversetzen und Lust dabei zu empfinden, sie zu beobachten.
Und dann gibt es da noch die Pornos, bei denen du alle kennst, wenn du einen kennst. Ein klassisches Beispiel dafür sind die Videos, in denen James Deen zu sehen ist. Was war ich glücklich, als ich vor Jahren mal zufällig über einen Porno von ihm stolperte. Und die ersten zehn Filme, die ich sah, fand ich gut. Fand ich reizvoll, irgendwie anders und erregend. Heute klicke ich sie kaum mehr an. Was er zeigt, ist immer auf die eine oder andere Weise gleich, mal mehr, mal weniger grob. Und hat, in der Masse an Produktionen, den Reiz längst verloren.
Overkill.

Was ich in Pornos suche, ist der kleine Kick, die Stecknadel im Heuhaufen, die mich anmacht, wenn ich erregt bin, und über die Schwelle zum Orgasmus treibt. Aber je mehr Pornos ich schaue, desto schwieriger wird es für mich, diesen Kick zu finden. Dabei kann er so vielfältig sein: Ich suche eine bestimmte Situation oder ein reizvolles Rollenspiel, das mich erregt, einen Mann, dem man die Erregung anhören kann, eine unerwartete sexuelle Handlung, eine überraschende Perspektive, inspirierenden Dirty Talk oder ein wenig Dominanz, die wenigstens den Anschein von Ehrlichkeit vermittelt.
Normale Menschen.
Einen Hauch von Seele.
Einen Mann, der das Gefühl vermittelt, genau zu wissen, was er will.
Ein kleines bisschen Leidenschaft, Kontrolllosigkeit, Lust.
Einen Porno, in dem nicht vollkommen mechanisch agiert wird.
Nur: Je mehr Pornos ich schaue, desto schwieriger wird es, genau diesen Kick zu finden.
Mit der Konsequenz, dass ich von Blümchensex-Kategorien, die ich eh als reizlos empfinde, in jene wechsle, die härter sind, brachialer und eindeutiger. Definitiv: Grenzwertiger. Der Draht, auf dem ich hinsichtlich meiner Lust balanciere, wird dünner. Schockierend dünn. Und das ist mir bewusst. Manchmal, wenn die Lust längst abgeklungen und ich oberflächlich befriedigt zurückbleibe, beißt mir dann das schlechte Gewissen von hinten in die Knie.
Hast du dir das gerade wirklich angesehen?, fragt es dann.
Hat dir das tatsächlich gefallen?
Hast du dir Gedanken darüber gemacht, wie das gedreht worden ist?
Wie würdest du dich in der Rolle der Protagonistin fühlen?
Bist du eigentlich noch ganz sauber im Kopf, Muschelmädchen?
Zurück bleiben ein schaler Kick und ein ausgeprägtes Schamgefühl.
Sowie das Wissen darum, dass es auch in mir Abgründe gibt, die ich vermutlich besser verschweige. Um wenigstens gesunden Menschenverstand vorzutäuschen.

Wo führt mich mein Pornokonsum hin?
Ich war immer jemand, dem im Bett schnell langweilig wird, der gerne experimentiert, erforscht, ausprobiert. Stellungen, verschiedene Orte, unterschiedliche Praktiken, diverse Spielzeuge. Das gilt anscheinend nicht nur für die Realität, sondern auch für meinen Pornokonsum. Die Wahrheit ist vermutlich, dass die Suche nach dem Kick mich in immer ausgefallenere Gefilde treibt. Und ich weiß nicht so recht, ob mir das gefällt.
Nein - falsch:
Ich weiß es.
Das gefällt mir nicht.
Wie ich mir in klaren, unerregten Momenten einzugestehen vermag.
Nicht nur weil es mir schwerfällt mit anzusehen, in welchen Kategorien ich mittlerweile die Filme, die mich kicken, suche. Sondern auch weil ich mich frage, welche Ansprüche ich mittlerweile an einen Mann stelle, mit dem ich das Bett teilen möchte. Um bei James Deen, den ich oben schon erwähnt habe, zu bleiben: Ist es ein Kopfkonstrukt, dass ich eine Ohrfeige von einem Mann als erregend empfinden könnte? Oder ist die Kluft zwischen Fantasie und Realität längst riesig geworden? Ich kann die Frage nicht beantworten. Denn noch niemals hat mir ein Mann, in einem einvernehmlichen sexuellen Kontext, ins Gesicht geschlagen.

Je abgehobener und spezieller meine Fantasien werden, desto mehr frage ich mich, ob es möglich ist, einen Mann zu finden, der solche Fantasien mitgeht. Aber selbst wenn das der Fall ist und es solche Männer gibt: Was passiert, wenn ich auf halben Weg feststelle, dass ich all das gar nicht will und mir stattdessen nur die Fantasien über den Kopf gewachsen sind?
Meine Grenzen waren früher, als ich noch nicht regelmäßig Pornos gesehen habe, enger gesteckt. Ich war leichter zu kicken, hatte mehr Fantasie und vor allem:
Ich hatte viel, viel mehr Tabus.
Es gab unzählige No-Go's mehr.
Zu sehen, wie ich diese No-Go's und Tabus nach und nach, annähernd systematisch, unterminiere, sie einer fast schon perversen Neugier und einer immer wieder neuen Suche nach einem noch extremeren Kick weichen, macht mir Angst.
Wie weit nach hinten sollen sich meine Grenzen noch verschieben? Wie viel egoistischer, unmoralischer und verrohter kann meine Sexualität noch werden? Wie viele Grenzen muss ich verschieben, um krankhaft triebhaft zu werden? Und vor allem: Wie befriedigend ist all das wirklich?
So ganz ohne körperliche Nähe, zarte Küsse und ein greifbares Gegenüber, das es, in all seinen Vorlieben und Abneigungen, zu entdecken gilt?
Das ist der Grund, warum ich immer mal wieder darüber nachdenke, ob ich nicht mal porno-fasten sollte. Denn, ganz ehrlich: Vielleicht ist ein bisschen weniger in diesem Fall viel, viel mehr.


(Vielen Dank an Rain, der das Korrekturlesen übernommen und entschieden hat, 
dass ich das posten kann, ohne für verrückt erklärt zu werden. Ich war nämlich unsicher.)

Kommentare

  1. Rain hat Recht. Es gibt wahrhaft keinen Grund, dafür verrückt erklärt zu werden.
    Verrückt sind die Anderen.

    M.

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    1. Das Gefühl habe ich unwahrscheinlich oft. :-)
      Bin nicht sicher, ob das für oder gegen mich spricht.

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    2. Eindeutig dafür!

      M.

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  2. Wieso solltest Du verückt sein?
    Ich empfinde Deine Ausführungen als völlig normal.
    Tipp: Schon mal auf die Seite von Erika Lust geschaut? Da könnte auch etwas für Dich dabei sein. Und ja, ich konsumiere auch :-)

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    1. Ich kaufe noch ein "r" für "verrückt" :-)

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    2. Oh. Erika Lust - die hatte ich ganz vergessen! Danke für die Erinnerung. Die mochte ich tatsächlich mal sehr! In diese Richtung stöbere ich gerne mal wieder...

      Ehrlich? Ich finde Männer, die gar nicht konsumieren, auch ein wenig seltsam. Tatsächlich kenne ich zwei. Und ich bin mir nicht sicher - Wie soll ich das formulieren? - , ob es wirklich ratsam ist, komplett enthaltsam zu leben. ;-) Insofern empfinde ich es als regelrecht beruhigend, dass du auch konsumierst. Überrascht mich jetzt nicht so. :-)

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