Von der anderen Liebe

"Es geht nicht um mich.", sagt er, "Es geht um dich. Es geht immer nur um dich." Seine Arme legen sich um mich, fangen mich auf, er vergräbt flüsternd die Nase in meinem Haar. "Es geht um dich. Es geht um dich. Es geht um dich.", flüstert er und jedes einzelne Wort fühlt sich an, als würde es tief in mich hineinfallen und mich von innen auftauen. Ich glaube, es ging noch nie in meinem Leben um mich. Natürlich tut es das auch jetzt nicht. (Weil es um ihn geht. Ist doch klar.) Aber es tut mir so gut, dass da jemand ist, der mich sieht. Der ohne eine einzige Forderung zu stellen, da ist, mich lieb hat und annimmt, ohne mich ändern zu wollen. Der einfach dankbar nimmt, was ich zu geben habe, ohne mir im Anschluss den Arm auszureißen und mich zu mehr zu drängen als ich geben will. Jemand, der so ein großes Herz hat, so warmherzig, gütig und voller Liebe ist. Ja, vielleicht ist das alles nur eine Momentaufnahme. Vielleicht wird morgen schon alles ganz anders sei

Von der Gefühlsachterbahn

Es ist die Zeit der Oktoberfeste und auf einem solchen befinde ich mich schließlich am Samstagabend. Aus beruflichen Gründen. Der Brausepulvermann ist nicht anwesend. Und so gehe ich entspannt an diesen Abend heran, drehe mich in meinem Dirndl über die Tanzfläche und lasse mich, um meine Füße zu schonen, immer mal wieder von Gespräch zu Gespräch treiben.
"Wer ist eigentlich der Mann, der dich so scharf findet?", fragt eine Bekannte, "Zeigst du ihn mir?".
Als ich auf einen Mann, an einem der Tische in unserer näheren Umgebung, deute, zieht sie die linke Augenbraue nach oben.
"Ernsthaft?!", fragt sie, "Dem ist aber schon klar, dass er so gar nicht in deiner Liga spielt, oder?"
"Bitte?", frage ich verblüfft.
"Na ja. Der ist ungefähr 15 Jahre älter als du und... nicht dünn. Und er bekommt graue Haare!"
Ich schweige. Mir gefällt nicht, was sie sagt. Weil ich Laurenz mag. Ihn und seine Augen. Die mir so viel mehr über ihn verraten, als er glaubt. Wir funktionieren zusammen. Beide im Sternbild Skorpion geboren, haben wir ein untrügliches Gefühl dafür, den anderen zu locken und zu reizen. Zwischen den Zeilen. Niemals ist bisher ein konkretes Wort gefallen. Und das genieße ich. Ich mag die Subtilität dieses Spiels, das kleine, schmutzige Geheimnis, das wir vor den Augen aller anderen verbergen. Dessen Existenz wir vielleicht selbst nur erahnen, weil wir die Spannung, die in der Luft liegt, fühlen können.
"Er ist toll.", sage ich zu der Bekannten, die noch immer neben mir steht. Mein Ton fällt ein wenig schärfer aus, als ich es gewollt habe. Aber ich mag es nicht, wenn man Menschen aufgrund ihrer Körperfülle oder ihres Alters verurteilt. Ganz besonders dann nicht, wenn solche Worte Menschen betreffen, die ich mag. Vermutlich weil ich weiß, wie es sich anfühlt, verurteilt zu werden. Und über Ligen denke ich für gewöhnlich auch nicht nach. Außer wenn ich das Gefühl habe, nicht in der Liga des Mannes zu spielen, der mich interessiert. Was natürlich, immerhin bin ich die Prinzessin der Selbstzweifel, hin und wieder vorkommt.

Später am Abend versiegen die Gespräche. Stattdessen wiegen wir uns in der Menge, tanzend, hüpfend und singend. Ein ums andere Mal staune ich darüber, wie wenig tiefgängig die Songs sind, die gespielt werden. Vielleicht bin ich ein klitzekleines bisschen konservativ. Aber bei Peter Wackel zucke ich doch innerlich ein wenig zusammen. Während die Menschenmasse um mich herum frenetisch den Liedtext mitschreit: Ich verkaufe meinen Körper / ganz, ganz billig / ganz, ganz billig!". Unwillkürlich frage ich mich, ob ich eine Spaßbremse bin, weil ich diesen Songetxt einfach nur unfassbar dämlich finde.
Passend zu diesem Lied - und doch scheint es Zufall zu sein - verirrt sich plötzlich eine Hand an meinen Hintern. Erst beachte ich sie nicht weiter, weil ich die Berührung für ein Versehen halte. Umgeben von Menschen kann das eben passieren. Da bin ich unempfindlich. Aber als die Hand, die eben noch auf meinem Hintern lag, sich plötzlich ziemlich grob zwischen meine Beine schiebt, ist selbst mir klar, dass das kein Versehen sein kann. Erstaunlichweise verfalle ich dieses eine Mal nicht in eine Schockstarre. Weder fühle ich mich zurück versetzt in die Rolle des hilflosen Kindes noch bin ich gelähmt. Stattdessen kämpft sich innerhalb eines Bruchteils einer Sekunde eine so rasende Wut in mir hoch, dass ich mich ruckartig mit erhobener Hand umdrehe, bereit, dem Typen hinter mir eine Ohrfeige zu verpassen, die er so schnell nicht vergisst! Dieser aber weicht so behände zurück, dass ich ihn nicht erwische. Er wird einfach von den hunderten von Menschen hinter mir verschluckt.Als wäre er nie da gewesen.
Doch kaum habe ich mich wieder umgedreht, in meine ursprüngliche Position, mit Blick zu der Bühne vor mir, ist es plötzlich wieder da: Das eiskalte Händchen. An meinem Hintern. Hinabwandernd, zwischen meine Beine. Jetzt spüre ich neben rasender Wut auch einen Anflug von Panik. Es ist nicht okay, das einmal zu machen. Aber es zweimal zu tun ist schlimmer. Es verdoppelt die Angst. Signalisiert mir ernsthafte, konkret auf mich, meinen Körper bezogene Absichten. Es nimmt mir die Vermutung, willkürlich ausgesucht worden zu sein.
Laurenz, der irgendwo vor mir tanzt, sieht mich an. Mir steht offenbar die Angst ins Gesicht geschrieben, denn mit einem Mal steht er neben mir und fasst mich am Ellenbogen. Das ist der Moment, in dem ich aufwache. Wie eine Furie drehe ich mich zu dem Mann hinter mir um. Aber er entwischt mir wieder. Und ich erschrecke mich vor mir selbst. Weil ich plötzlich das Bedürfnis verspüre, diesem Menschen, der mich so berührt, wehzutun. Ich möchte ihn schlagen. Und das ist... verrückt. Es entspricht kein bisschen meinem Naturell. Das doch sonst so friedliebend und harmonisch ist.

Laurenz mustert mich. "Kommst du klar?", scheint sein Blick zu fragen und ich nicke. Er streicht mit dem Daumen kurz über meinen Ellenbogen, bevor er mich loslässt und sich in die Menge schlägt. Was er tut, sieht ziemlich zielgerichtet aus. Und er schlägt die Richtung ein, in der der Kerl, der hinter mir stand, verschwunden ist. Zufall? Ich habe keine Ahnung. Ich weiß nicht, was Laurenz gesehen hat. Aber mir ist unwohl. Meine Gefühle spielen plötzlich verrückt. Ich kann nicht mehr einordnen, ob ich gerade überreagiere nur weil mich irgendwer ein bisschen grob berührt hat oder ob ich das Recht habe, mich verletzt zu fühlen. Ein Zittern kriecht durch meinen Körper und ich frage mich, ob ich eine frigide Ziege bin. Bekomme plötzlich Angst vor weiteren Berührungen. Schamesröte kriecht mir die Wangen empor.

Ein Kellner rettet mich. Er trägt ein Tablett voller Schnäpse. Und ich trinke drei davon. Im Sturz. Gegen die Angst. Danach breitet sich das Gefühl von Watte in meinem Kopf aus und meine Glieder beginnen, sich schwer anzufühlen. Das ist ein schönes Gefühl. Träge kämpfe ich mich an den Rand der Tanzfläche. Meine Füße brennen von den hohen Absätzen. Also nutze ich den Augenblick und lehne mich an einen der massiven Betonpfeiler, die das Festzelt stützen. Anstatt mich zu bewegen schaue ich meinem Chef, meinen Kollegen und den vielen wildfremden Menschen dabei zu, wie sie sich im Takt der Musik bewegen. Den schützenden Betonpfeiler in meinem Rücken. Der Bass wummert im Takt meines Herzens.
"Bleib für einen Moment genau so.", bittet mich plötzlich eine Stimme ganz nah an meinem Ohr. Erschocken zucke ich zusammen und will mich von dem Pfeiler hinter mir abstoßen, als ich Laurenz´ Stimme erkenne. "Dein Chef tanzt gerade.", sagt er, "Der schaut nicht her. Gib uns einen Moment."
Mein Kopf ist leer. Ich versuche, einen Blick auf Laurenz´ Hände zu erhaschen, einen Hinweis darauf zu finden, dass er den Typen, der mich angefasst hat, in der Menschenmenge wiedergefunden hat. Aber er verbirgt seine Hände in den Hosentaschen. Lässig lehnt er sich seitlich an den Betonpfeiler. Und anstatt die Distanz zu suchen, lasse ich mich zurückfallen, bis ich schließlich, mit meinem ganzen Körpergewicht, an ihm lehne. Sein Körper ist warm. Warm und eckig und kantig und männlich. Er ist ein Schrank von Mann. Mit ihm in meinem Rücken kehrt das Gefühl zurück, mich hier sicher fühlen zu dürfen. Auch inmitten von Menschen. Inmitten von betrunkenen Männern. Irgendwann verebbt das Zittern.

Als wir uns, Stunden später, verabschieden, sind wir betrunken.
Das Festzelt leert sich, der Rausschmeissersong ist längst gespielt worden und dennoch stehe ich noch immer hier, am Rande der Tanzfläche, vertieft in ein Gespräch mit zwei Kollegen, als Laurenz plötzlich sanft seinen Arm um meine Taille legt und, wirklich erstaunlich vorsichtig, als wäre ich aus Porzellan, mit den Fingern behutsam von der einen Seite meiner Taille zur anderen Seite fährt. Erstaunen und Neugier spiegeln sich in seinem Blick. Was bei mir wiederrum für Verwirrung sorgt. Denn ich verstehe nicht, welcher Gedanke ihn beschäftigt.
"Was trägst du da?", fragt er leise und lenkt mich von dem Gespräch mit den beiden Kollegen ab.
"Was meinst du?", gebe ich verwundert zurück.
"Unter deinem Dirndl?", fragt er und sieht mir direkt in die Augen, "Ist das... ein Korsett?"
Mit den Finger zeichnet er die Schnürung nach.
Ich nicke. Mir ist bewusst, dass ich gerade viel zu viel preisgebe, aber die Situation ist weit davon entfernt, unangenehm zu sein. Stattdessen fühlt sie sich vollkommen selbstverständlich an. Ich fühle mich noch immer sicher bei ihm. Trotz seiner unauffälligen Berührungen. Die vielleicht Sex erahnen lassen, aber weit davon entfernt sind, tatsächlich sexuell zu sein.
Ich bin erstaunt.
Keine Angst, keine Panik, keine Gelähmtheit.
Mein Herzschlag bleibt konstant.
Alles ist gut.
"Ja, sage ich ruhig.", "Das ist ein Korsett."
Ich muss ihn nicht ansehen, um zu wissen, dass in seinem Blick die Jagdlust glitzert.
Denn ein Jäger ist er wirklich.
Seit wir uns kennen.
Bisher erfolglos.

Kommentare

  1. Jeder Jäger wird mal ein Hase (Wilhelm Busch)

    M.

    PS Vor fast genau einem Jahr sah ich ein Charakter-Dirndl. Interessant daran erinnert zu werden...



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    1. Ist das schon wieder ein Jahr her? Unfassbar...

      Ich mag Hasen...

      Grüße nach Taormina :-)

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  2. Versuch Nr. 4, diesen Kommentar abzusetzen. Ist nicht dem System geschuldet, sondern einzig und allein meinem völlig überlasteten Hirn, das 3x denselben Fehler macht. Wissentlich!

    Also: Nein, weder frigide noch prüde, weder auf die Lieder bezogen noch auf die Erlebnisse. Dem Kerl hätte eine Ohrfeige und noch viel mehr gehört! "If you want to touch her, really want to touch her, if you want to touch her, ask!" hieß es mal in einem Liedtext. Ist wohl bei Einigen noch immer nicht angekommen.

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    1. Du brauchst Urlaub! :-)

      Mmh... Als gebranntes Kind, im wahrsten Sinne des Wortes, weiß ich in der konkreten Situation manchmal nicht, ob ich überreagiere. Im Nachhinein dagegen kann ich ganz klar sagen: Es ist falsch jemanden gegen seinen Willen auf diese Art zu berühren.
      Nur... Ich frage mich immer, wie andere Frauen darauf reagieren. Wie sehr ihre Reaktion von meiner abweicht. Wie sehr eine unsittliche Berührung Angst machen kann, wenn man eben kein gebranntes Kind ist. Ob sie dann überhaupt Angst macht. Oder einfach nur für Wut sorgt.

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    2. Ja, ich brauche Urlaub. Ist aber erst im November, und da nur ein paar Relaxtage. Bis dahin werde ich andere Wege finden müssen, mich zu erholen.

      Was die Reaktion angeht, ist das sicherlich typabhängig. Ich war früher sexuell gesehen recht freizügig unterwegs, und zusätzlich mit wenig Selbstvertrauen ausgestattet, das heisst, ich habe da Dinge mit mir machen lassen, die ich mit normalem Menschenverstand nicht zulassen würde. Heute würde ich anders damit umgehen. Da ich aber inzwischen das stattliche Alter von knapp 47 Jahren erreicht habe, komme ich in solche Situationen eher nicht mehr. Das männliche Interesse an der Weiblichkeit sinkt mit zunehmendem Alter der Weiblichkeit ;-).
      Ich bin aber auch immer mit einem großen Urvertrauen einer am Land groß Gewordenen durch die Welt gegangen, dass mir eh nix passiert. Ich ging nächtens durch Wälder heim, und ängstigte mich nicht. Warum sollte mir auch jemand etwas tun? Das ist auch GsD immer gut ausgegangen.

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    3. Bald ist Wochenende - es sind nur noch ein paar Stunden :-)

      Ein Mittelmaß zwischen uns Beiden wäre doch mal eine tolle Erfindung - irgendeine Menschmischung, die zwischen blindem Urvertrauen und vorsichtiger Skepsis pendelt. Ich finde, das klingt ganz gesund. Mir würde ein wenig Urvertrauen auf jeden Fall ganz gut tun, denke ich.

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