Lieber H.,
von allen Wegen, die du gehen könntest, ist der den du gewählt hast, der allerschwierigste für mich. Ich kann das nicht ertragen, wenn du nachdenkst und schweigst und ich überhaupt nicht weiß, was gerade in deinem Kopf vor sich geht. Das passt auch nicht zu uns. Wir sind keine Menschen, die schweigen. Wir sind Menschen, die reden. Die Sachverhalte direkt formulieren. Die Worte auch dann aussprechen, wenn sie ein wenig schmerzen. Die Dinge auf den Punkt bringen.
Mein Punkt ist:
Ich wünsche dir eine Frau, die dir mehr geben kann als ich. Du bist so toll, so ein wunderbarer, einzigartiger, schöner, warmherziger Mensch, dass du es einfach nicht verdient hast, in dem Leben eines Menschen eine Zweitbesetzung zu sein. Du sollst eine Erstbesetzung sein.
In meinem Kopf bist du das.
Aber ich bin so fest verankert in dem Leben, das ich führe, dass ich dir nie vollständig werde geben können, was du dir von einer Frau wünschst. Deshalb wäre es ungerecht von mir, dich an mich zu binden.
In meinem Leben gab es mal einen Mann, der mir sehr intensiv und unversöhnlich vorgeworfen hat, das ich seine Zeit verschwendet hätte. Ich will auf keinen Fall deine Zeit verschwenden. Du bist so kostbar.
Du verdienst viel mehr als mich.
Stunden reihen sich aneinander und werden zu Tagen, während du schweigst. Je mehr Zeit vergeht, ohne dass ich etwas von dir höre, desto größer wird mein Bedürfnis, die Tür zu dir zuzuschlagen, dich auszuschließen, mich zu verbarrikadieren, dich nie wieder an mich ranzulassen, weil das ja wehtun könnte. Nicht weil ich dich nicht mehr mag, sondern einfach um die Kontrolle wiederzuerlangen. Denn ich fühle mich im Angesicht deiner Schweigsamkeit ungeheuer hilflos. Plötzlich fühle ich mich wieder wie das Kind, das von seiner Mutter ignoriert wird. Das Kind, das gelernt hat, das ein Fehler ausreicht, um nicht mehr geliebt zu werden. Das ist, was in meinem Kopf passiert, während du schweigst:
- Du magst mich nicht mehr.
- Ich bin dir egal.
- Ich muss dir auf jeden Fall egal sein, sonst würdest du doch nicht so lange schweigen.
- Du warst wahrscheinlich schon die ganzen letzten Wochen genervt von mir und ich habe es nicht gemerkt.
- Ich bin dir zu viel.
- Ich bin dir zu wenig.
- Das war vielleicht auch nur so eine Sex-Sache.
- Alles nicht von Bedeutung.
- ...
Ich weiß, dass du so nicht denkst. Ich weiß es. (Es kann nicht sein, dass du so denkst.) Es ist nur mein traumatisiertes Kindheitsempfinden, das mir diese Gedanken vorgaukelt. Aber trotzdem werden die Gedanken lauter mit jedem Moment, den du länger schweigst, bis sie eine ohrenbetäubende Lautstärke erreichen und mir wehtun. Dein Schweigen schmerzt. Weil ich es nicht verstehe. Ich verstehe nicht, worüber du nachdenkst, warum du schweigst, was genau dich gekränkt oder wütend oder nachdenklich gemacht hat. Und ich mag nicht, dass ich mich nicht erklären kann. Dass ich dir die dunklen Gedanken nicht nehmen darf.
Ich versuche, mich erwachsen zu verhalten und dir die Zeit zu geben, die du brauchst, aber es fällt mir schwer. Ich weiß, ich hab versprochen, zu warten bis du dich wieder entkrümelst. Aber vielleicht geht mir die Kraft schneller aus, als ich gehofft habe.
Ich vermisse dich, H.
Je länger du schweigst, umso intensiver spüre ich, wie wichtig du für mich geworden bist. Das ist einerseits schön und andererseits so beängstigend. Mein Herz hängt an dir, H.
Bitte sei achtsam mit mir.
Ich habe dich lieb.
Ich hab dich wirklich sehr, sehr lieb.
Dein
Muschelmädchen
Ich weiß nicht, wie das andere Menschen machen. Doch wenn jemand, an dem mein ganzes Denken, mein Fühlen, mein Herz und meine Seele hängen, wenn dieser jemand mir sagt, dass er da bleiben muss, wo er ist, dann reißt mich das mittendurch. Das ist ein Riss, von dem ich mich nicht mehr erhole, der mein ganzes Leben lang bleibt - auch wenn er eines Tages vernarbt. Doch bis das eintritt, geschieht ganz viel. Das ganze Denken, Fühlen ist auf den Kopf gestellt, die unerfüllte Sehnsucht, das unerfüllte Lieben findet keinen Platz, keinen Raum, keine Berechtigung. Es ist überhaupt nichts mehr so, wie es mal war - und der Schmerz darüber, dass das auch niemals mehr so sein wird wie zuvor, den kann man nur ganz, ganz schwer ertragen. Am wenigsten an der Seite des Menschen, der sich gegen einen entschieden hat.
AntwortenLöschenIch weiß nicht, was Du Dir vorstellst, liebes Muschelmädchen, aber wenn Du H all das gesagt hast, was dort oben in Deinem Post steht, dann geht es nicht, dass Du Dir wünscht, dass er sein Schweigen bricht. Dann musst Du es aushalten, weil es Deine Entscheidung war, mit der er jetzt zurechtkommen muss. Dass er sich so zurückzieht, zeigt nur, dass er Deine Entscheidung respektiert. Das bedeutet aber nicht, dass sie ihm nicht den Atem nimmt.
Und Du, gerade Du, kannst ihm dabei am allerwenigsten helfen.
Und glaub mir.. Ich weiß wahnsinnig gut, wovon ich hier schreibe.
Ach verdammt, ich muss mich hier separat einloggen. Dann mach ich das, damit Du weißt, von wem obige Zeilen sind ;)
LöschenLiebe Helma,
Löschendein Kommentar bedeutet mir sehr viel. Davor von dir verurteilt zu werden, hatte ich ein bisschen Angst. :-) Du hast das Talent - und das meine ich ausschließlich positiv - manche Dinge messerscharf zu formulieren. Und ich mag das. Aber manchmal lässt mich das auch zusammenzucken oder, wie in diesem Fall, deine Kommentare ein wenig fürchten.
Umso dankbarer bin ich dir für deine Worte: Weil sie so klar, aber frei von Verurteilung sind. Danke!
(Neulich habe ich einen Post bei dir gelesen, der mich sehr berührt hat. In deiner Vergangenheit gibt es sehr viele Parallelen zu meinem jetzigen Leben, glaube ich.)
Was H. betrifft:
Ja. Ich habe ihm das ziemlich genau so gesagt. Weil ich das so fühle. Aber vieles davon ist ihm auch nicht neu. Ich habe von Anfang an klar meine Grenzen definiert, weil ich auf keinen Fall falsche Erwartungen wecken wollte.
Und grundsätzlich hast du recht mit dem, was du schreibst. Jedenfalls unter einer Annahme: Dass er mich liebt.
Tatsächlich ist es aber so, dass er nicht sagen kann, ob er mehr für mich empfindet oder ob es nur Freundschaft oder etwas ähnliches ist. Und das weiß ich, weil ich ihn gefragt habe. Ich wollte unbedingt alles richtig machen und nicht das Risiko eingehen, ihn zu verletzen. Ich glaube, dass ich diejenige von uns Beiden bin, die mehr empfindet...
Trotzdem glaube ich, dass du recht hast:
Ich muss seine Entscheidungen aushalten und respektieren. Auch wenn mir das manchmal schwerfällt.
Ach du meine Güte - Du hast Furcht vor meinen Kommentaren?? Oh je, das wollte ich nie niemals! Und war es jemals so, dann entschuldige ich mich aufrichtig dafür!
LöschenUnd warum sollte ich Dich verurteilen? Ich kenne Dich doch gar nicht :) Eher denke ich, dass ich dazu neige, Zeilen eines anderen Menschen als wahrhaftig und real anzusehen. Wie in einem Gespräch, in einem Dialog. Dabei vergesse ich immer wieder, dass das Bloggen eben keine reale Welt, kein reales Gespräch ist.
Jeder kann sein, wer er nicht ist; jeder kann schreiben, wonach ihm ist, ganz gleich, ob Fiktion oder Realität. Vermutlich gehe ich da zu sehr von mir selber aus (zumindest, was den Ziggenheimer-Blog betrifft. Natürlich ist das nicht mein realer Name, jedoch der Inhalt ist authentisch.)
Manchmal ertappe ich mich auch dabei, dass Inhalte eines anderen Blogs mich "triggern". Dass sie an etwas rühren, das ich schon vor sehr langer Zeit "schlafengelegt" habe, fest verschlossen in einer imaginären Box mit sieben Siegeln. Der Inhalt dringt nur ganz, ganz selten aus dieser Box - und wenn doch, dann tut es meistens weh.
Und ja.. Da sind ziemlich sehr viele Parallelen.. ;)
Liebes Muschelmädchen, Dein Post geht mir nun zwei Tage durch den Tag und beschäftigt mich. Weil ich auf der anderen Seite lebe. Und Deine Perspektive die ist, die ich bei bei Ihm versuche aushalten zu können.
AntwortenLöschenFür mich ist Liebe ein Imperativ. Vielleicht auch, weil ich in meinem Elternhaus erlebt habe, was passiert, wenn man ihr entsagt und in einer lieblosen Welt zusammen bleibt. Dieses Gefühl betrifft dann nicht nur die Eheleute sondern auch die Menschen drum herum.
Für mich würde ich so etwas nicht noch einmal wollen. Das nimmt Glück weg, das man nicht nachholen kann.
Und nun bewusst aus meiner Sicht: Wenn mich der Mensch, den ich liebe und der mir sagt, dass er mich liebt, so " frei geben" würde, wrüde ich das nicht als einen Beweis seiner Liebe sehen. Nur als Zurückweisung, eine Möglichkeit mich auf Abstand zu halten.
Aber das mag wiederum mit meiner Kindheit zu tun haben. Oder meine Auffassung, was Liebe für mich bedeutet.
Meiner Meinung (und leider auch meiner Erfahrung) nach, erlebt man so eine Art Liebe im Leben nur selten. Für mich ist Liebe damit etwas sehr wertvolles.
Ich wünsche Dir, dass Du sie erleben darfst.
Liebe Miss,
AntwortenLöschenmir ging es mit deinem letzten Post ganz ähnlich. Das von dir gewählte Wort "Zweitbesetzung" habe ich gefühlt über Wochen mit mir umhergetragen. Und es hat mich echt geschmerzt.
Auch meine Eltern sind zusammengeblieben, obwohl sie sich nicht mehr geliebt haben. Ab meinem ca. 7. Lebensjahr hatten sie Langzeitaffären, die sie mir auch (ohne das Wissen des jeweils anderen) vorgestellt haben (als "Arbeitskollegen"). Als ich zwölf Jahre alt war, hat meine Mama mir mitgeteilt, dass sie sich von meinem Vater trennen will. Ich habe sie angefleht das nicht zu tun. Und obwohl sie in diesem Gespräch gesagt hat, dass sie es in dieser Ehe nicht mehr aushält, hat sie sich erst von meinem Vater getrennt, als ich über 18 Jahre alt war.
Bis dahin haben meine Eltern freundschaftlich zusammengelebt, ihre größte Gemeinsamkeit war ihre Liebe zu mir. Sie haben es mir ermöglicht, voller Liebe aufzuwachsen.
War das Opfer meiner Mutter zu groß?
Ja, das war es. Es tut mir heute sehr leid, dass ich sie gebeten habe, Jahre ihres Lebens für mich zu opfern. Aber ich war ein Kind, ich wusste es nicht besser und meine Angst, meine Eltern zu verlieren war unfassbar groß. Meine Eltern waren ja alles, was ich hatte. Sie waren meine Sicherheit, mein Rückhalt, mein Alles. Und ich möchte mir nicht ausmalen, welche Ängste eine potentielle Trennung in meinen Kindern auslösen würde.
Ich denke, das man als Elternteil die Verpflichtung hat, im Sinne seiner Kinder zu handeln. Das ist die Verantwortung, die ich mir auferlegt habe, als ich Kinder bekommen habe. Und weil das Zusammenleben mit dem Mann meistens ein friedliches Zusammenleben ist, bin ich überzeugt davon, dass mein Platz derzeit hier ist.
Wie ich oben schon bei Helma geschrieben habe, habe ich H. gefragt, was das mit uns ist und er konnte mir nicht so recht antworten. Er ist sich nicht sicher, ob er Gefühle für mich hat, die über eine Freundschaft hinausgehen. Auch das trägt - natürlich - dazu bei, dass ich bin und bleibe, wo ich bin. (Das ist übrigens etwas, was mich total irritiert. Weil ich sein Verhalten als Liebe empfinde.)
Aber wenn wir annehmen, dass es doch Liebe ist, weil es sich ja so anfühlt:
Dann ist es ganz bestimmt so, dass diese Liebe unfassbar wertvoll ist. Nur... Was ist mit dem Glück meiner Kinder? Wieviel ist das "wert"?
Sag mal, habe ich mir das eigentlich richtig gemerkt, dass es dich räumlich in die nördliche Richting verschlagen hat? Ich habe mich neulich gefragt, ob wir uns vielleicht näher sind als ich ursprünglich dachte. Den Gedanken würde ich irgendwie mögen. :-)