Von verhexten Beziehungen

In den letzten Minuten hab ich viele Sätze getippt, nur um sie anschließend wieder zu löschen. Ich kann fühlen, was ich schreiben will, aber es fällt mir schwer, es auf den Punkt zu formulieren: Es beschäftigt mich seit ein paar Tagen mal wieder intensiv, dass ich in den allermeisten meiner Beziehungen das Gefühl habe, nicht gesehen zu werden und nicht gut genug zu sein.  Da ist zum Beispiel die enge Freundin, die mir Tag und Nacht WhatsApp-Nachrichten schreibt, mich quasi in Echtzeit an ihrem Seelenleben teilhaben lässt, aber nicht einmal auf die Idee kommt, mich zu fragen, was los ist, obwohl ich klar formuliere, dass es mir nicht gut geht. Da ist der Mann, der in all den Jahren nicht auf die Idee gekommen ist, mich heiraten zu wollen. Vermutlich weil ich nicht gut genug bin. Was einerseits okay ist, weil ich nicht heiraten will, aber andererseits in stummer Beharrlichkeit das Gefühl in mir erzeugt hat, dafür wohl nicht gut genug zu sein. Ein Gefühl, das schmerzt. Da ist die Freundin

Von ihrer Reise

"Take this sinking boat and point it home.
We've still got time.
Raise your hopeful voice, you have a choice.
You'll make it now.
Falling slowly, sing your melody,
I'll sing along..."

(Glen Hansard und Markéta Irglová: Falling slowly)

Es gibt eine Klientin, die ich seit über zwei Jahren ehrenamtlich betreue. Gerade anfangs habe ich mich oft gefragt, ob ich die richtige Person bin, um mich ihrer anzunehmen. Immer mal wieder habe ich versucht, sie an einen Betreuer abzugeben, der lebenserfahrener ist, der nachsichtiger und sanfter mit ihr sein kann, als ich es bin. Aber es ist mir nicht gelungen, jemanden für sie zu finden, der auch nur im Ansätz zu ihr hätte passen können. Also habe ich selbst versucht, zu helfen. Zuzuhören. Möglichst einfühlsam zu sein. Ich habe ihr diverse Hilfsangebote unterbreitet, versucht, sie mit den begrenzten Mitteln, die mir zur Verfügung stehen, zu stabilisieren. Doch es wurde schnell klar, dass sie gar keine Hilfe, keinen Input, um sich weiterzuentwickeln, wollte. Es ging ihr nie um Hoffnung auf Besserung ihrer Lebensumstände. Stattdessen wünschte sie sich Austausch von mir. Jemandem mit dem sie diskutieren kann. Berufliche, persönliche, politische, gesellschaftliche Themen. Gespräche gegen die Einsamkeit, um die Zeit zu überbrücken. Und Gespräche haben wir viele geführt. So viele, dass mir diese Frau, die um einiges älter ist, als ich es bin, mit der Zeit ans Herz gewachsen ist. Sicher noch ein bisschen mehr, als es richtig gewesen wäre.

Gestern hat sie sich, nach so vielen Monaten, die wir gemeinsam verbracht haben, unvermittelt von mir verabschiedet. Sie begibt sich auf eine Reise. Eine Reise, auf die sie sich seit Jahren freut. Denn, stolz und willensstark wie sie ist, nennt sie so sie ihren Plan, sich umzubringen. Den Zeitpunkt für ihren Abschied hat sie gut gewählt. Er ist gerade so ausgesucht, dass ich handlungsunfähig bin und sie mich meiner Verantwortung enthebt. Sie hat mir ganz unbemerkt, vollkommen berechnend, im symbolischen Sinne, die Hände fixiert. Und ich kann mir nur vorstellen, wie ihre Geschichte ausgeht. Erfahren, welches Ende sie, diese Geschichte, tatsächlich gefunden hat, werde ich nie.

Und hier sitze ich und frage mich, ob es etwas gibt, was ich hätte anders machen können, ob ich es verpasst habe, klüger zu handeln, ob ich mehr hätte tun können. Die ehrliche Antwort ist: Ich weiß es nicht. Aber wenn ich etwas hätte anders machen können, dann tut es mir sehr leid, dass ich das nicht getan habe. Ich hoffe, dass du mir das verzeihen kannst, liebe z.


Kommentare

  1. Eine "Reise", auf die sie, die stolz u. willensstark ist, sich seit Jahren freut... Nein, dann hättest du sie nicht davon abhalten können... geht mir spontan durch den Kopf. Die "Geschichte" dieser merk-würdigen Frau indes wird mich noch einige Zeit begleiten.

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    1. Mich wird diese Geschichte auch noch lange begleiten.
      Sie lehrt mich einiges. Nicht nur was die Betreuer-Klienten-Beziehung angeht...

      Ich hoffe, dass du recht hast.

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    2. Der Post wirkt nach. Seit gestern stelle ich mir die Frage, wie legitim es ist, bewusst die Entscheidung zu treffen, die deine Klientin getroffen hat. Hilfe abzulehnen und diesen (vermutlich) letzten Schritt selbstbestimmt (und nicht aus Verzweiflung heraus) gehen zu können. Oder eben zu dürfen.

      Ich habe heute den Bericht eines ehemaligen Obdachlosen gelesen. Der schrieb, dass man ihm eine große Freude gemacht hätte, wenn man ihn einfach mal auf einen Kaffee oder ein belegtes Brötchen eingeladen hätte. In ein Café. Weil er sich so auch mal wie ein menschliches Wesen gefühlt hätte. (Worte, die ich nie vergessen werde...) Und weil er so einige Zeit in einem geschützten Raum hätte verbringen dürfen. Er schrieb aber auch, dass er lange Zeit einfach nicht sesshaft werden wollte und dass sich seine Betreuer die Zähne an ihm ausgebissen hätten. Und von daher glaube ich wirklich, dass du deiner Klientin damit, dass du zugehört hast und ihr mit Respekt, Interesse u. Mitgefühl begegnet bist, sehr geholfen hast. ;)

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    3. Ich denke, die Entscheidung, zu leben oder nicht zu leben, ist eine der wenigen Entscheidungen, die ein Mensch vollkommen frei treffen kann - und darf. Sofern kein psychisches Krankheitsbild zugrundeliegt und damit klar ist, dass der Betroffene die Entscheidung nicht "klaren Verstandes" treffen kann, bspw. aufgrund einer Depression o.ä. - Ich frage mich seitdem übrigens, ob ich mit dieser Einstellung in meinem Ehrenamt richtig bin oder ob ich das lieber aufgeben sollte. Auch zum Schutz der Menschen, die bei uns Hilfe suchen.

      Die Zeilen, die du über den Obdachlosen schreibst, berühren. Vielleicht nehmen wir uns das mal vor: Generell umsichtiger zu sein. Und liebevoller.

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    4. @Entscheidung: Danke für deine Offenheit. Ich sehe es auch so, wenngleich ich mich bei derartigen "Überlegungen" immer nur als Gehende sehe, nie als Zurückbleibende.

      @Ehrenamt: Wer hilft DIR eigentlich, all das zu verarbeiten, womit du da konfrontiert wirst? Kümmert man sich diesbezüglich auch um euch?

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  2. Manche wollen nicht gerettet werden. Da kann man nichts machen.

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    1. Das ist doof. Denn ich bin jemand, der gerne alle retten würde.

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    2. Solange man sich vor Augen hält, dass das NICHT GEHT, und zwar auch nicht punktuell ,am konkreten Individuum vor sich, so lange kann man selbst auch noch glücklich werden.
      In meinen Augen aber nur dann.

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