Von verhexten Beziehungen

In den letzten Minuten hab ich viele Sätze getippt, nur um sie anschließend wieder zu löschen. Ich kann fühlen, was ich schreiben will, aber es fällt mir schwer, es auf den Punkt zu formulieren: Es beschäftigt mich seit ein paar Tagen mal wieder intensiv, dass ich in den allermeisten meiner Beziehungen das Gefühl habe, nicht gesehen zu werden und nicht gut genug zu sein.  Da ist zum Beispiel die enge Freundin, die mir Tag und Nacht WhatsApp-Nachrichten schreibt, mich quasi in Echtzeit an ihrem Seelenleben teilhaben lässt, aber nicht einmal auf die Idee kommt, mich zu fragen, was los ist, obwohl ich klar formuliere, dass es mir nicht gut geht. Da ist der Mann, der in all den Jahren nicht auf die Idee gekommen ist, mich heiraten zu wollen. Vermutlich weil ich nicht gut genug bin. Was einerseits okay ist, weil ich nicht heiraten will, aber andererseits in stummer Beharrlichkeit das Gefühl in mir erzeugt hat, dafür wohl nicht gut genug zu sein. Ein Gefühl, das schmerzt. Da ist die Freundin

Vom Zurückbleiben

Ich habe Ephraim sehr geliebt. Um genau zu sein, gibt es niemanden in meinem Leben, den ich jemals mehr geliebt habe. Es war eine unschuldige Liebe. Mit Herzklopfen, Zittern, grenzdebilem Grinsen, Wortfindungsschwierigkeiten, Schmetterlingen im Bauch, unbändiger Lust auf Sex, jeder Menge Gelächter und der Sehnsucht danach, sich regelrecht in dem anderen zu verkriechen. Wir waren ein Fass ohne Boden. Und haben uns beide in den jeweils anderen hineingestürzt. Leidenschaftlich und gedankenlos.
Bis der Abend, an dem er versucht hat, sich das Leben zu nehmen, alles veränderte.
Am allermeisten veränderte er uns beide.

Nachdem man uns unter Zwang räumlich von einander trennte und keinerlei Kontakt mehr zuließ, zog ich mich völlig zurück. Habe mit Drogen experimentiert und mich fast um die Ecke gebracht. Essen, schlafen, rausgehen. Alles war mir egal. Weil nichts mehr Sinn machte. Plötzlich stand ich alleine da. Mit so viel mehr Gefühlen, als ein einzelner Mensch in der Lage ist, zu tragen. Ephraims Verlust fühlte sich an, als hätte man mir einen Teil von mir selbst operativ entfernt. Während ich früher das Herz, extrovertiert und impulsiv, auf der Zunge trug, verschließe ich heute meine Gefühle lieber in mir. Ich lasse mich niemals zu Äußerungen hinreißen, die ich irgendwann bereuen könnte. Ich gehe nie mit jemandem im Streit auseinander. Es gibt keinen Abschied, bei dem ich nicht zuletzt etwas Gutes sage. Denn ich möchte nicht riskieren, meine letzten Worte bereuen zu müssen. Vor allem nicht bei Menschen, die mir etwas bedeuten oder bedeuten könnten.

Schon wieder ist ein Januar angebrochen. Bald jährt sich der Tag, der alles verändert hat. Während ich so weit in den Norden gezogen bin, wie es möglich war, die größtmögliche Entfernung zu Baden-Württemberg gesucht habe, hat es ihn zurück in meine Heimatstadt gezogen. Wann immer ich heute dorthin zu Besuch fahre, versuche ich die Angst, dass ich ihm begegnen könnte, zu verdrängen. Selbst eine Stadt, die 3,5 Millionen Einwohner hat, ist nicht groß genug für uns beide. Dafür haben wir uns zu sehr geliebt. 

Bis heute habe ich ernsthafte Schwierigkeiten damit, mich mit Herz und Kopf auf jemanden einzulassen, den ich wahrhaft lieben könnte. Weil ich Angst davor habe, etwas zu lieben, dessen Verlust mir erneut einen Schmerz zufügen könnte, den auszuhalten ich nicht fähig bin.
So fühlt es sich an, zurückgelassen zu werden.
Ich bin unvollständig.
Aber ich habe es gelernt, mich mit diesem Gefühl zu arrangieren.

(Ich hatte hier mal darüber geschrieben.
Vor langer Zeit.)

Kommentare

  1. Ich habe mir vor vielen Jahren geschworen, nie mehr, aber auch nie mehr die Zurückbleibende zu sein (wobei mir das erste Mal eigentlich schon das Genick gebrochen hat). In einem Moment, in dem ich tatsächlich mit so viel mehr Gefühlen und Schmerzen zu kämpfen hatte, als ein einzelner Mensch zu tragen in der Lage ist. (Melodramatisch... offenbar ging's ja doch, denn sonst säße ich nicht hier.^^) Das wollte ich nie wieder fühlen müssen. Deine eigene Welt bleibt stehen und ist nie wieder so wie zuvor... während andere über Diäten oder das Fernsehprogramm reden... Wären es körperliche Schmerzen gewesen, hätte ich mich mit Medikamenten zugeschüttet ... aber die Seele betäuben? Mit Drogen oder Alkohol zu experimentieren, lag mir nicht... Angst vor Kontrollverlust. Ich muss meine Sinne beieinander haben, sonst werde ich zickig.^^ Also habe ich nichts mehr an mich rangelassen und alles in mich reingefressen. Innerlich versteinert und eine Mauer drumrum gezogen. Sehr effektiv. An mich kam niemand ran - hat nur kaum einer gemerkt, weil ich äußerlich sehr umgänglich war. Als mir Jahre später (ich habe zwischendurch andere Kämpfe ausgefochten und war abgelenkt) bewusst wurde, wie sehr ich mittlerweile abgedriftet war, hatte ich den nächsten Absturz. So viele Jahre verschenkt und - seelisch völlig aus der Spur - richtig beschissene Entscheidungen getroffen (oder auch nicht). So lange als Alltagsroboter und Gefühlszombie durch die Gegend gelaufen. Immer auf der Flucht vor irgendwem oder irgendwas, was mir zu Herzen gehen könnte... aus Angst davor, dass mir das wieder weggenommen wird...

    Langes Mimimi, kurzer Sinn: Wäre ich nicht (obwohl das eigentlich nie mein Ziel war) Mutter geworden, wäre ich wohl ein ganz schräger Vogel geworden. Wahrscheinlich ein versteinerter Vogel.^^ Ich musste mich "gezwungenermaßen" mit Haut und Haaren auf jemanden einlassen. Noch nie habe ich jemanden so geliebt und noch nie habe ich mich so um jemanden gesorgt (und Gründe gab es einige). Es war streckenweise eine üble Rosskur, die mich mit meinen schlimmsten Seiten und meinen fiesesten Ängsten konfrontiert hat. Es gab kein Entkommen... und das war gut so. Die "verschenkten" Jahre kann ich zwar nicht zurückholen, aber die noch verbleibenden kann ich gefühl-voller leben. Und ich habe gelernt, dass ich auf vieles verzichten kann, weil es mir nichts bedeutet. Aber es ist mir unmöglich, ein Leben ohne Liebe, Berührungen (auch seelisch) und Lachen zu führen. Auch auf die Gefahr hin, dass es wieder schmerzt, weil manche (freundschaftlichen) Begegnungen eben nicht für die Ewigkeit gemacht sind und man nur ein Stück des Weges miteinander geht. Es ist wahrscheinlich illusorisch zu glauben, dass es ein Leben ohne Schmerzen gibt. Denn der Moment, in dem dir bewusst wird, was du verpasst hast, weil du aus Angst vor weiteren Verletzungen deine Gefühle weggesperrt hast... und in dem dir bewusst wird, wie viel Zeit du verschenkt hast... der ist auch verdammt schmerzhaft.

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    1. Oh. Mein. Gott. Im Kommentarfeld sah das noch ganz harmlos aus.^^ Entschuldige bitte, dass ich dir hier so einen Roman reingeknallt habe!

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    2. Danke für den langen Kommentar und die Zeit, die du dir dafür genommen hast. Es ist schön zu lesen, dass du das Gefühl kennst.
      Den Rest mag ich, glaube ich, einfach so stehenlassen. Deine Worte hallen noch in mir nach. Theoretisch weiß ich, dass du recht hast. Praktisch... ist das bei mir noch eine Baustelle.

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