Von verhexten Beziehungen

In den letzten Minuten hab ich viele Sätze getippt, nur um sie anschließend wieder zu löschen. Ich kann fühlen, was ich schreiben will, aber es fällt mir schwer, es auf den Punkt zu formulieren: Es beschäftigt mich seit ein paar Tagen mal wieder intensiv, dass ich in den allermeisten meiner Beziehungen das Gefühl habe, nicht gesehen zu werden und nicht gut genug zu sein.  Da ist zum Beispiel die enge Freundin, die mir Tag und Nacht WhatsApp-Nachrichten schreibt, mich quasi in Echtzeit an ihrem Seelenleben teilhaben lässt, aber nicht einmal auf die Idee kommt, mich zu fragen, was los ist, obwohl ich klar formuliere, dass es mir nicht gut geht. Da ist der Mann, der in all den Jahren nicht auf die Idee gekommen ist, mich heiraten zu wollen. Vermutlich weil ich nicht gut genug bin. Was einerseits okay ist, weil ich nicht heiraten will, aber andererseits in stummer Beharrlichkeit das Gefühl in mir erzeugt hat, dafür wohl nicht gut genug zu sein. Ein Gefühl, das schmerzt. Da ist die Freundin

Von der Leichtigkeit


„Ich bin.
Aber ich habe mich nicht.
Darum werden wir erst.“

(Ernst Bloch: Tübinger Einleitung in die Philosophie)

Es ist eine laue Nacht, irgendwann im tiefsten Sommer, kurz nach dem Abitur. Wir verbringen die Tage am See, werfen uns gegenseitig, bekleidet oder unbekleidet, hinein, schwimmen, führen Wasserschlachten und kühlen die Getränke im kalten Nass. Abends sitzen wir am Lagerfeuer, zünden Kerzen oder Fackeln an und lassen uns durch die Nacht treiben. Irgendjemand hat immer eine Gitarre dabei, obgleich sie manchmal eher als Frauenmagnet und Dekoration zu dienen scheint. Meistens trinken wir Wein und manchmal auch Whiskey oder Bier. Oder alles durcheinander. All das macht uns so schön träge im Kopf, ganz ruhig und manchmal auch lustig. Wir sind glücklich, weil wir uns so frei fühlen in diesen Momenten. Das ist es, was zählt. Ganz in der Gegenwart befinden wir uns, weil alles, was noch kommt, viel zu unbestimmt und beunruhigend ist, um sich dem jetzt schon zu stellen. Noch ist es zu früh, um darüber nachzudenken, dass sich viel zu schnell alles verändern wird.

Irgendwann, als alle anderen schon gegangen sind, sitze ich noch mit Amö, einem Freund, mit dem ich ab und an das Bett teile, vor den verglimmenden Kohlen des Feuers. Die Welt schwankt ein bisschen vor unseren Augen und wir philosophieren ins leere hinein. Bis er anfängt, mich zu kitzeln und ich aufspringe und ihm kichernd davonlaufe. Ich komme nicht weit, denn er ist viel schneller und stärker als ich, aber das macht mir nichts. Ich wehre mich gegen seine Kitzel-Attacken so gut ich kann, mit Händen und Füßen, Fingern und allen zehn Zehen. Zur Not verteile ich auch mal Kopfnüsse oder Eisbeine. Ganz unschuldig gucke ich dann, während er so tut, als hätte ich ihm ernsthaft wehgetan und mir neckend erzählt, er könne auch anders. Was die Rebellin in mir, wenigstens phasenweise, erst recht reizt.

Auf dem Weg nach Hause entdecken wir, auf einem Gartengrundstück ganz in der Nähe, ein riesiges Trampolin. Ich bedeute Amö, leise zu sein und lege einen Zeigefinger auf meine Lippen. Beide versuchen wir, das Kichern, das sich durch unsere Körper spült, zu unterdrücken. Denn ohne, dass ich ihm etwas sagen muss, weiß er sofort, was ich will. Er faltet seine Hände zur Räuberleiter, grinst mich schelmisch und zugleich provokant an, und flüstert: „Los jetzt!“. Wie ein Schwerverbrecher schaue ich nach links und rechts, kann aber, in der nur spärlich beleuchteten Umgebung, wenig erkennen. Also werfe ich meine Flip-Flops zur Seite, stelle meinen Fuß in seine Hände und ziehe mich über den Zaun. Auf der anderen Seite falle ich hinunter wie ein nasser Sack und bleibe quietschend – weil: versuchend, das Lachen zu unterdrücken – liegen. Im Gegensatz zu mir zieht sich Amö mit einer Leichtigkeit über den Zaun, die ein Bild für die Götter ist. Er lacht nur leise über mich, als er mich im Gras liegen sieht und seine Augen leuchten. Himmel, ist dieser Mann schön…

„Komm schon, Apfelbäumchen!“, flüstert er mir zu und läuft zielstrebig zum Trampolin. Vorsichtig stellt er unsere Weg-Weinflasche auf dem weichen Gras ab, klettert auf das Trampolin hinauf und wippt zunächst nur ganz zaghaft. Aber das Trampolin quietscht nicht und auch um uns herum bleibt alles still. In dem Haus, das sich nur wenige Meter von uns entfernt befindet, rührt sich nichts. Alle Fenster sind dunkel. Als ich zögere – für einen Moment habe ich den Eindruck, die Gardinen in einem der Fenster hätte sich bewegt–, greift Amö nach meiner Hand und zieht mich einfach zu sich hinauf. Ganz nah steht er vor mir und wir lachen einander an. Dann greift er blitzschnell nach meinen Händen, hält sie fest und gibt mir einen flüchtigen Kuss. Seine Augen blitzen, als ich mich ihm entgegenstrecke und Zähne zeige: Ich beiße ein paar Mal klackernd in die Luft. Doch er zieht nur spöttisch eine Augenbraue nach oben und grinst. Er ist nicht zu provozieren, zieht mich stattdessen kurz, aber dafür sehr eng an sich, nur um mich gleich darauf abrupt wieder loszulassen. Ich verliere, elegant wie ein Sack Zement, mein Gleichgewicht und lande lachend auf meinem Hintern.

Eine Zeit lang springen wir um die Wette, versuchen uns gegenseitig aus dem Takt zu bringen oder umzuwerfen und freuen uns, wenn es gelingt. Ein paar Mal, wenn wir meinen, Geräusche zu hören und gleich erwischt zu werden, flüchten wir uns eilig in die Schatten des Grundstückes, aber wir kehren immer wieder zurück. Die Nacht ist zu schön, die gemeinsame Zeit, die uns noch bleibt zu kurz und der pritselige Reiz des Verbotenen einfach zu groß.
Irgendwann kommen wir atemlos auf dem Trampolin zu liegen. Er schiebt seinen Arm um mich und ich schmiege mich an ihn. Das ist schön und fühlt sich sicher, vor allem aber wunderbar vertraut an. Während wir unsere Gedanken treiben lassen, schauen wir in den klaren Nachthimmel. Die Sterne über uns leuchten, als hätte jemand mit einer Stecknadel Abermillionen kleine Löcher in das Himmelszelt gepiekst. Langsam leeren wir die Weinflasche und fragen uns, wer wir in zehn Jahren wohl sein werden.
Wir verlieren uns.
Irgendwo zwischen Glück und Melancholie.
Nur für den Moment.


 (https://stocksnap.io/photo/T7PWBSK6YS, 20.01.2018)

Kommentare

  1. So sieht Glück aus - schreibe ich aus Sicht der nächtlichen Trampolinbenutzer und nicht aus Sicht der Trampolinbesitzer.^^

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