Von verhexten Beziehungen

In den letzten Minuten hab ich viele Sätze getippt, nur um sie anschließend wieder zu löschen. Ich kann fühlen, was ich schreiben will, aber es fällt mir schwer, es auf den Punkt zu formulieren: Es beschäftigt mich seit ein paar Tagen mal wieder intensiv, dass ich in den allermeisten meiner Beziehungen das Gefühl habe, nicht gesehen zu werden und nicht gut genug zu sein.  Da ist zum Beispiel die enge Freundin, die mir Tag und Nacht WhatsApp-Nachrichten schreibt, mich quasi in Echtzeit an ihrem Seelenleben teilhaben lässt, aber nicht einmal auf die Idee kommt, mich zu fragen, was los ist, obwohl ich klar formuliere, dass es mir nicht gut geht. Da ist der Mann, der in all den Jahren nicht auf die Idee gekommen ist, mich heiraten zu wollen. Vermutlich weil ich nicht gut genug bin. Was einerseits okay ist, weil ich nicht heiraten will, aber andererseits in stummer Beharrlichkeit das Gefühl in mir erzeugt hat, dafür wohl nicht gut genug zu sein. Ein Gefühl, das schmerzt. Da ist die Freundin

Von Kindertagen

Weil ich heute an Dora denken musste.
Ein alter Post.


„Dora ist zwei Jahre alt und ein lebhaftes Mädchen. Ihre Mutter sagt, sie sei wild. Dora versteht das nicht, es ist ihr aber auch egal. Denn ihre Mutter lächelt dabei. Und ihr Vater setzt sie sich auf die Schultern und läuft mit ihr herum, als wäre er ihr Pferdchen. »Dora lacht, und die ganze Stadt bebt«, sagt die Mutter. Dora spricht mit zwei Jahren wie kein anderes Kind. So als wäre sie schon fünf. »Und sie versteht auch alles«, sagt ihre Mutter nicht ohne Stolz. Dora kann von nichts genug haben. Sie muss alles anfassen, alles sehen, überall hingehen. Auf der Straße, in der Kalalarga, auf der Riva, der Uferpromenade oder auf dem Kacic-Platz ruft sie jedem Vorbeieilenden etwas zu, und der  Vorbeieilende, die Eile vergessend, bleibt stehen, lächelt sie an, wenn auch unsicher oder verwundert, und grüßt sie oder antwortet ihr. Dora ist sehr sicher auf den Beinen, sie fällt nie hin, aber sie rennt auch nicht, sie läuft einfach nur sehr schnell. Ihre Schritte sind lang, es sieht merkwürdig, manchmal sogar komisch aus, wenn man sie dabei beobachtet. Springen will Dora auch nicht. Sie steigt von einer Mauer mit einem Schritt ins Leere. »Hast du Angst?«, fragt die Mutter. Dora weicht ihrem Blick aus und antwortet nicht. Und springt nicht.“  

(Natasa Dragnic: Jeden Tag, jede Stunde, S. 16f.) 

Meine Freundin Dora und ich bauen ein Baumhaus. Zusammen mit Opa. Wir sollen nämlich keine Nägel mit dem Hammer in die Bretter schlagen. Sagt Oma. Das ist gefährlich. Erst letzte Woche hatte ich ein Loch im Kopf und musste ins Krankenhaus, weil Dora und ich versucht haben, den Stockkampf, den wir im Fernsehen gesehen haben, nachzuahmen. Dora hat gewonnen. Eigentlich habe ich mich ganz gut gefühlt, auch mit Loch im Kopf. Aber als das viele Blut an mir heruntergeflossen ist, habe ich doch angefangen zu weinen und wie am Spieß geschrien. Zur Sicherheit. Obwohl echte Indianer ja eigentlich keinen Schmerz kennen. Jedenfalls hat Oma einen Schreck bekommen. Seitdem hat sie wohl Angst, dass die Nägel nicht im Holz, sondern in meinem Kopf landen. Ich finde das doof. Obwohl Dora und ich felsenfest davon überzeugt sind, dass wir ohne Opa viel schneller gewesen wären, weil wir ja nicht so viele Pausen brauchen wie er, wird das Baumhaus doch irgendwann fertig. Opa schlägt den letzten Nagel hinein. „Das passt.“, brummt er zufrieden und ruckelt zum Beweis einmal an seiner Konstruktion. Da wackelt gar nichts. Dora und ich fallen ihm um den Hals. Wir stoßen mit Gummischlangen auf das Baumhaus an und Opa trinkt Brause, die komisch riecht.

In tagelanger mühseliger Kleinarbeit richten Dora und ich das Baumhaus ein. Matratzen bugsieren wir in unser Versteck und all unsere kleinen Schätze, von denen die Erwachsenen (außer Opa!) nichts wissen dürfen: Bücher und Stifte für unseren Geheimclub, Walkie-Talkies und Batterien, Kissen, kleine Kisten, ein Megaphon, Murmeln, Decken, kleine Holzschränke und einen Vorrat an Lebensmitteln. Wir planen, demnächst auszuziehen. Oma ist sauer, weil ich ihr Schnecken ins Haus gebracht habe und nachts versucht habe, aus dem Fenster zu klettern. Doras Mutter ist sowieso ein Drachen, die schreit immer nur. Dafür muss Dora nie ihr Zimmer aufräumen und wann sie etwas isst, ist auch egal. Ich bin neidisch. 
...
Über einen Baum klettern wir in das alte Bootshaus auf dem Grundstück von Doras Mutter. Eigentlich dürfen wir da nicht hinein. Deswegen nehmen wir, auf der Rückseite des Hauses, einfach ein paar der Dachziegel ab, die wir später wieder drauflegen. Das Bootshaus ist so spannend, dass wir uns stundenlang darin aufhalten können. Wir kramen in alten Kartons, die viele wertvolle Dinge bergen: Alte Kleider, in die wir uns einhüllen und Prinzessinnen spielen, hübsch verziertes Geschirr, Tagebücher, in denen wir Geheimcodes und Schatzkarten vermuten und nicht zuletzt das große, alte Boot, das sicherlich schon das eine oder andere Meer befahren hat. Vom Boden bis zur Decke ist alles vollgestapelt. Wir verkriechen uns zwischen Holzlatten, dem Rasenmäher und einem riesigen Spinnennetz unter dem Boot. Ich erzähle Dora, dass Fledermäuse Blut trinken und dass das echt „impulsiv“ ist. Sie freut sich, dass ich ihr Fremdwörter beibringe und verspricht mir, dass ich dafür einmal auf ihren Radiowecker drücken darf. Der sagt dann nämlich die Uhrzeit an und ich habe nicht so einen sprechenden Radiowecker. Dora versteht, dass mich das traurig macht. 
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Ab und zu hören wir Doras Mutter schreien. „Dora! Herkommen!“, brüllt sie quer durch den Garten. Ich glaube, dass sie eigentlich eine alte, fiese Hexe ist, die nur so tut, als ob sie Doras Mutter ist. Aber das erzähle ich meiner Freundin nicht. Nicht, dass sie sich noch Sorgen macht. Manchmal, wenn wir zu lange von der Bildfläche verschwinden, kommt Doras Mutter zum Bootshaus. Dann knarzt die Tür und Dora und ich sitzen ganz still in unserer kleinen Ecke. Wir halten dann so lange die Luft an, bis die Hexe wieder geht. Einmal wäre Dora fast geplatzt. Da bin ich sicher.
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Nach und nach leeren wir das Bootshaus und irgendwann ist das Baumhaus fertig eingerichtet. Völlig außer Atem liegen wir auf den Matratzen. Gerade haben wir der Nachbarin Klingelstreiche gespielt, solange, bis sie angefangen hat zu schreien. Bestimmt geht die zu Oma petzen. „Die mag uns nicht.“, sage ich zu Dora. „Die ist doof.“, erwidert Dora, „Und Doofen Menschen spielt man Klingelstreiche.“. Dora ist echt klug. Mit einem stumpfen Küchenmesser, das wir Oma geklaut haben, versucht sie unsere Initialen in den Baum zu ritzen. „Voll cool!“, sage ich. Sie lacht. Dabei lacht sie eigentlich nicht besonders oft.
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Einen Tag später beschließen wir, unser Baumhaus einfach nicht mehr zu verlassen. Dora liegt auf der Matratze. Ihr tut der Po weh. Das liegt daran, dass sie gestern nicht gekommen ist, als die Hexe sie gerufen hat. „Wir könnten doch heiraten!“, sagt Dora, „Dann bleiben wir immer hier.“. „Du Doofi!“, rufe ich fröhlich, „Frauen können ja gar keine Frauen heiraten!“. Sie guckt traurig. „Ich mag dich trotzdem!“, versichere ich schnell und zeige stolz auf meinen Arm, auf dem ein kleiner, roter Schnitt prangt. „Wir sind Blutsbrüder!“, sage ich, „Echte Blutsbrüder!“. Dora krempelt sich ihren Jackenärmel hoch und zeigt mir ihren Schnitt. Er ist ein bisschen größer, weil sie viel mutiger als ich ist. Ehrfürchtig begutachten wir die Wunde des anderen. „Für immer…!“, sage ich, mit stolzgeschwellter Brust. Dora nickt ganz ernst. Sie ist meine beste Freundin. Das wird sich niemals ändern.
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