Von der anderen Liebe

"Es geht nicht um mich.", sagt er, "Es geht um dich. Es geht immer nur um dich." Seine Arme legen sich um mich, fangen mich auf, er vergräbt flüsternd die Nase in meinem Haar. "Es geht um dich. Es geht um dich. Es geht um dich.", flüstert er und jedes einzelne Wort fühlt sich an, als würde es tief in mich hineinfallen und mich von innen auftauen. Ich glaube, es ging noch nie in meinem Leben um mich. Natürlich tut es das auch jetzt nicht. (Weil es um ihn geht. Ist doch klar.) Aber es tut mir so gut, dass da jemand ist, der mich sieht. Der ohne eine einzige Forderung zu stellen, da ist, mich lieb hat und annimmt, ohne mich ändern zu wollen. Der einfach dankbar nimmt, was ich zu geben habe, ohne mir im Anschluss den Arm auszureißen und mich zu mehr zu drängen als ich geben will. Jemand, der so ein großes Herz hat, so warmherzig, gütig und voller Liebe ist. Ja, vielleicht ist das alles nur eine Momentaufnahme. Vielleicht wird morgen schon alles ganz anders sei

Von fünf guten Taten

Eigentlich ist die Schulung ganz toll, denn ich habe es vermisst, zu lernen und meinen Kopf mit Wissen zu füllen. Entspannter wäre sie allerdings, wenn ich mich nicht ständig erschrecken müsste. Von den 21 Schulungsteilnehmern sind nämlich 18 Frauen. Von denen aller drei bis sieben Minuten eine anfängt zu schreien, weil sich ihr eine Wespe nähert. Um dann panisch um sich schlagend eine Runde um den Konferenztisch zu rennen und sich wieder zu setzen. Das nervt mich irgendwie. Weil es die Schulung, auf die ich Lust habe, ständig unterbricht. Und ich es irgendwie albern finde. Aber ich sage nichts. Zumindest vorerst.
Als es nämlich der einen Dame, dir mir schräg gegenüber sitzt, gelingt, eine der Wespen in ihrem Colaglas zu fangen, platzt mir doch die Hutschnur. Wohlgemerkt: Nicht weil sie die Wespe gefangen hat. Das finde ich völlig okay. Sondern weil sie sich diebisch und laut anfängt darüber zu freuen, dass die Wespe gerade in ihrer Cola zu ertrinken beginnt. Und das finde ich echt unanständig. Es ist mir egal, ob es "nur" eine Wespe ist oder ob sie sticht, wenn sie sich bedroht fühlt. Ich finde nicht, dass das in Ordnung ist. Und auch wenn ich mich damit vermutlich völlig zum Affen mache, kann ich nicht an mich halten, denn mein Mund ist viel schneller als mein Kopf.

"Das ist total fies!", fauche ich, "Das macht man nicht!"
Die Aufmerksamkeit der Schulungsteilnehmer habe ich jetzt jedenfalls.
Denn alle Köpfe drehen sich ruckartig zu mir um und starren mich an.
Inklusive der Dame, an die ich meine Worte gerichtet habe.
Erst in diesem Moment wird mir klar, dass ich meine Gedanken laut ausgesprochen habe. Für einen Moment starre ich auf die weiße Tischplatte vor mir, ein wenig beschämt. Aber mir tut die Wespe irgendwie leid. Also: Was soll´s. Scheiß drauf. Mache ich mich halt zum Hampelmann.
Entschlossen schiebe ich meinen Stuhl zurück, wandere einmal um den riesigen Tisch herum und greife nach dem Colaglas der Dame, das sie mit ihrer Serviette abgedeckt hat. 22 Augenpaare folgen mir. Als ich, mit dem Colaglas in den Händen, den Tisch erneut umrunde und das Fenster öffne, herrscht förmlich erdrückende Stille im Konferenzraum. Behutsam ziehe ich die Serviette vom Glas. Aber die kleine Wespe scheint nicht mehr fliegen zu können. Ein Blick nach unten offenbart mir, dass sich direkt unter uns ein Kaffeehaus befindet. Mit Außengastronomie. Für einen Moment zögere ich. Die Cola jetzt mit Schwung aus dem Fenster zu kippen, könnte irgendwie schiefgehen. Ich kenne mich doch: Vor Jahren habe ich es mal geschafft, einem Mann vom dritten Obergeschoss aus auf seine Glatze zu spucken und ihn anschließend im Fahrstuhl wiederzutreffen. Seitdem bin ich vorsichtig, wenn es um Höhe und unerwünschte Flüssigkeiten geht. Deshalb bin ich mir sicher, dass das hier kein gutes Ende finden würde. Also gieße ich die Cola vorsichtig aufs Fensterbrett. Die kleine Wespe zappelt.
Ich schließe das Fenster und setze mich ganz still wieder auf meinen Platz.
Die Schulung wird fortgesetzt.
Aber ich kann die seltsame Blicke, die mir zugeworfen werden, spüren.
Sie brennen sich in meine Haut.

Die Schulung geht den ganzen Tag.
Es gibt fünf Pausen und ich verbringe jede von ihnen draußen an der frischen Luft. Mit den Kollegen, die ich mag. Nach jeder einzelnen Pause finde ich, wenn ich den Schulungraum wieder betrete, ein Glas auf meinem Platz stehen. Abgedeckt mit einer Serviette, gefüllt mit einer Wespe. Ich lasse sie alle frei. Alle Wespen. Und versuche dabei mir einzureden, dass es mir egal ist, dass man sich über mich lustig macht.


Kommentare

  1. Kindergarten-Schulung? :-> Da bekommt man ja fast die Lust auf (Weiter-)Bildung vermiest ...
    Halte durch! :-)

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    1. Habe erfolgreich durchgehalten!
      Aber die nächste Schulung steht schon vor der Tür. Bin gespannt, womit beim nächsten Mal aufgewartet wird. Vielleicht Spinnen, so wie Sylana schreibt? :-)
      Bei Maden würde ich zurückzucken. Trotz Angelei.

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  2. Herrje, es gibt so un - glaub - lich bescheuerte Leute!!!

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    1. Auf jeden Fall!
      Aber ich finde es echt erstaunlich, dass ich hier Zuspruch erhalte. Ich dachte eher, ich mache mich mit diesem Post zum Löffel. ;-)

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  3. Gute Taten erkennt man daran, dass die Mehrheit der Menschen sie belächelt.

    Das war mal anders, aber zwischenzeitlich ist das ein zunehmend
    guter Indikator dafür.

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    1. Ist das so?
      Ich werde mal darauf achten. Aber ich hoffe sehr, dass du unrecht hast.

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  4. So viel Dummheit kannste Dir nicht ausdenken.....

    Sicher das es um Wespen ging?
    Ich saß in ner Konferenz, da wurde ein ähnliches Spiel mir Spinnen gespielt.....
    Warn wir im selben Haus, womöglich?

    Fragen über Fragen.....

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    1. Ich würde es toll finden, dich auf einer Schulung oder Konferenz kennenzulernen! Aber obwohl ich hier gerne Details verändere, habe ich aus den Spinnen keine Wespen gezaubert. Die Wespen waren tatsächlich Wespen. Ausnahmsweise. :-)

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