Von verhexten Beziehungen

In den letzten Minuten hab ich viele Sätze getippt, nur um sie anschließend wieder zu löschen. Ich kann fühlen, was ich schreiben will, aber es fällt mir schwer, es auf den Punkt zu formulieren: Es beschäftigt mich seit ein paar Tagen mal wieder intensiv, dass ich in den allermeisten meiner Beziehungen das Gefühl habe, nicht gesehen zu werden und nicht gut genug zu sein.  Da ist zum Beispiel die enge Freundin, die mir Tag und Nacht WhatsApp-Nachrichten schreibt, mich quasi in Echtzeit an ihrem Seelenleben teilhaben lässt, aber nicht einmal auf die Idee kommt, mich zu fragen, was los ist, obwohl ich klar formuliere, dass es mir nicht gut geht. Da ist der Mann, der in all den Jahren nicht auf die Idee gekommen ist, mich heiraten zu wollen. Vermutlich weil ich nicht gut genug bin. Was einerseits okay ist, weil ich nicht heiraten will, aber andererseits in stummer Beharrlichkeit das Gefühl in mir erzeugt hat, dafür wohl nicht gut genug zu sein. Ein Gefühl, das schmerzt. Da ist die Freundin

Von Dienstag, Mittwoch und Donnerstag

Dienstag

Der Einkäufer fährt er einen Audi A8. Er - der Einkaufer, nicht das Auto - ist ein kleiner Mann mit Halbglatze und abstehenden Ohren. Fast 45 Minuten lässt er uns warten. Um sich dann dickbräsig in seinem Bürostuhl zurückzulehnen, von seinen langjährigen Erfahrungen als gestandener Geschäftsmann zu erzählen und mit feuchter Aussprache ein Preisangebot nach dem anderen abzubügeln. Ihn interessiert nicht, wie die Preiserhöhung zustande kommt. Er ist sich lediglich sicher, dass er sie nicht mittragen wird.
Wenn mir dieser Termin nicht so wichtig wäre, wäre ich  - auf eine, wie ich zugeben muss, fast schon perverse Art und Weise - fasziniert von dieser Art der Verhandlungsführung. Die Zusammenkunft endet mit einem Preisangebot. In den kommenden Tagen will er Bescheid geben, ob der Preis für ihn akzeptabel ist. Ich bin mir jedoch sicher, dass er es nicht ist. Denn nachdem der Preis erst einmal genannt ist, steht er abrupt auf und fragt, ob dass das letzte Angebot ist, was bejaht wird. Daraufhin verabschiedet er sich mit schnellem Handschlag und verlässt äußerst ungehalten den Raum.
Mir ist das egal. Ich weiß, dass das Angebot seinen Preis wert ist. Und auch wenn das hier der größte Kunde ist, den ich jemals betreut habe, bin ich nicht wirklich bereit, die Leistung weit unter Wert zu verkaufen. Ich bin froh, dass meine Geschäftsführung das ähnlich sieht.

Mittwoch

Ich kann nicht arbeiten. Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich mir absolut sicher, dass ich wirklich nicht arbeiten gehen kann. Das nervt mich, weil ich mich noch nie - nie, nie, nie - habe krankschreiben lassen. Aber heute funktioniere ich nicht nur nicht richtig, sondern irgendwie gar nicht. Trotzdem fahre ich, mehr als nur ein bisschen fiebrig, zur Arbeit. Denn dort ist niemand, der die Aufgaben, die erledigt werden müssen, übernehmen könnte. Die einzige Möglichkeit, die es gäbe, bestünde darin meinen Chef aus seinem Urlaub zu holen. Das jedoch wage ich nicht. Also schleppe ich mich durch den Tag. Mehr als doppelt so lange wie normal brauche ich, um Routineaufgaben zu erledigen. Ich komme - das ist ein bisschen peinlich - so derartig an meine körperliche Grenze, dass ich mich dreimal auf Toilette zurückziehen muss, um aus Erschöpfung ein paar Tränen zu verdrücken. Die einfachsten Aufgaben werden mit einem Mal zur größten Herausforderung. Die scheint, als wäre sie nicht zu bewältigen.
Abends versinke ich in der Badewanne und trinke Unmengen an heißer Zitrone. Beim Lieferservice bestelle ich mich quer durch die Karte und beschließe, den Rest der Woche nicht mehr einkaufen zu gehen. Ich muss Kraft sparen. Und ich liebe den Pizzadienst, der hier sein Unwesen treibt. Obwohl ich schon in vielen Städten gewohnt habe, habe ich nie einen besseren gefunden.

Donnerstag

Erst vor kurzem habe ich ein Personalgespräch mit Herrn Meier geführt. Verdacht auf Alkoholgenuss während der Arbeitszeit. Ich habe ihn gefragt, ob ich mir Sorgen um ihn machen muss. Er hat diese Frage verneint. Stattdessen hat er mir etwas von Blutdruckproblemen erzählt, die zu einem ausgeprägten Tremor führen.
Aber darum soll es heute nicht gehen. Stattdessen rufe ich ihn an, um ihn daran zu erinnern, dass sein befristeter Arbeitsvertrag ausläuft und er nicht vergessen darf, ins Büro zu kommen. Doch irgendetwas an dem Gespräch mit Herrn Meier kommt mir seltsam vor. Bis ich es begreife: Er lallt.
"Sagen sie mal, Herr Meier", frage ich ihn vorsichtig, "Kann es sein, dass sie etwas getrunken haben?"
"Ja.", antwortet er schlicht.
Ich seufze leise.
"Ich muss mir doch Sorgen um sie machen, nicht wahr?", frage ich leise.
Unvermittelt wird er laut. Poltert sogar ein bisschen, obwohl das für ihn wirklich ungewöhnlich ist.
"Noch bin ich nicht im Dienst, Frau Muschelmädchen! Ich kann trinken, wann ich will!"
Ich schaue auf die Uhr und werfe im Anschluss einen Blick in den Schichtplan, der mir offenbart, dass Herr Meier in vier Stunden arbeiten soll.
"Sie brauchen heute nicht zu arbeiten, Herr Meier.", teile ich ihm sanft mit, "Und ich will sie heute auch nicht im Büro sehen. Ich möchte, dass sie schlafen gehen, die kommenden Tage frei machen und sich mal darüber Gedanken machen, wie wir weiter miteinander zusammenarbeiten wollen und ob ich sie dabei unterstützen kann, dass sie wieder gesund werden. Es ist 08:20 Uhr. Unter der Woche ist das keine Uhrzeit, zu der man üblicherweise volltrunken ist."
Einen kurzen Moment zögere ich.
Dann schiebe ich leise hinterher.
"Vielleicht wird es Zeit, dass sie sich eingestehen, dass sie ein Problem haben."
Herr Meier, am anderen Ende der Telefonleitung, schweigt.
"Wir sehen uns nächste Woche.", sage ich deshalb schließlich.
"Ja.", antwortet Herr Meier mit kratziger Stimme.
Plötzlich ist er wieder sanft wie ein Lamm.
"Danke, Frau Muschelmädchen.", flüstert er.
Als wir das Telefonat beenden, habe ich einen Kloß im Hals.
Es macht keinen Sinn, seine Befristung zu verlängern. Das allerdings ist nichts, was ich ihm am Telefon mitteilen werde.

Kommentare

  1. Dienstag
    Sogar schriftlich ist der Typ unsympathisch wie nur was. Mercedes kaufen und ein Mofa bezahlen wollen, oder was?
    Mittwoch
    Und was wäre, wenn der Tag einfach mal ohne Dich hätte laufen müssen? War ja irgendwie nur ein Tag, oder?
    Donnerstag
    Seufz. Aber ja, ich kann nachvollziehen, das der Drops gelutscht ist. Gerade, weil er die Sache Dir gegenüber eingestanden hat, wird er es wohl wahrnehmen, das er gerade deswegen nicht verlängert wird.
    Nur der Tremor kommt ja nicht von ungefähr. Und wenn so was sichtbar ist, dann steckt auch schon viel dahinter.


    Also, ich bin ja auch immer genervt, wenn ich krank bin. Das ich aber krank auf Arbeit gehe.....sagen wir so, ich kenne Kollegen, die echt wegen jedem Sch......zum Arzt rennen.

    Beigebracht haben diese Kollegen mir allerdings, das ich definitiv zu Hause bleibe, wenn ich kaum noch krauchen kann. Ich habe nun mal eine chronische Krankheit, die zwar meistens unter Kontrolle ist, aber hin und wieder doch mal zeigen muss, das sie noch da ist. In früheren Zeiten habe ich das ignoriert, mit dem Erfolg, das ich letztendlich Monatelang zu tun hatte.
    Wenn ich gleich reagiere, ist das Theater in zwei Wochen wieder unter Kontrolle.
    Besagte Kollegen haben im Schnitt wesentlich mehr Ausfälle. Da ich beide vertreten darf, kann ich dir sagen, gefühlt sind die keinen Monat komplett anwesend.

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    1. Ich glaube, diese Experten in Sachen AU gibt es überall. Sobald die wissen, dass irgendwo Mehrarbeit durch Urlaubsvertretung ansteht, ist auch schon die Krankmeldung da. Mein Arzt sieht mich nur, wenn ich kurz vor dem Ende bin. Ja, ist auch falsch, aber ich bin in einem so eingestellten Elternhaus aufgewachsen, da kann ich nicht mehr anders.

      Einen Kollegen mit einem - von uns vermuteten - Alkoholproblem schleppen wir auch durch. Aber wir kommen einfach nicht ran; die Rechtslage bindet uns die Hände. Wenn wir ihn nicht beim Saufen während der Dienstzeit erwischen, können wir nichts unternehmen. Die Arbeitsergebnisse sind unterirdisch geworden, aber wenige Jahre vor der Rente macht man dafür kein Fass mehr auf, sondern lässt die anderen Kollegen eben auf ihre Knochen für ihn mitarbeiten. Alles normal bei uns.

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    2. Hm, ich bin auch so erzogen, das ich nicht gleich zum Doc renne. Nur habe ich oben Beschriebenes in den letzten Jahren auf die harte Tour lernen müssen. Bin eben auch keine zwanzig mehr. Ich ruhe mich auf dieser Scheiß - Krankheit gewiss nicht aus, aber mir geht's nun mal nur so gut wie eben möglich, wenn ich eine friedliche Koexistenz wähle.
      Dazu zählt aus der Sicht der Krankheit eben auch, das ich mich an gewisse Regeln halte. Sonst denkt die gleich, sie hat was zu melden.

      Ja, Experten hast Du überall. Sind die gesündesten Leute die ich kenne.
      Und das mit dem Alkoholproblem, ja es ist schon traurig, das ihr nix unternehmen könnt...bei einem Busfahrer, Maschinenführer etc. hat die Firma ja eine gewisse Handhabe, von wegen Fremdgefährdung. Das fällt bei Euch ja schon aus...im Falle vom Muschelmädchen ist es ja logisch, das sie den Vertrag nicht verlängert. Die Rute musste die als Arbeitgeber auch nicht freiwillig übern Hintern ziehen.

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    3. @Sylana

      Dienstag
      Männer ab Mitte 40 aufwärts, die einen Sportwagen fahren, sind mir generell unheimlich. Ich kann mich immer nicht dem Eindruck erwehren, dass mit Sportwagen versucht wird, das Alter zu kompensieren. Auch wenn ich weiß, dass das ein Vorurteil ist - vermutlich haben meine Gedanken etwas damit zu tun, dass ich, selbst wenn ich vermögend wäre, nie die Notwendigkeit für eine derartig teure Anschaffung sehen würde. Dafür fehlt mir ein Gen. Aber vielleicht bildet sich das mit fortschreitendem Alter noch heraus.

      Mittwoch
      Ein unbesetztes Büro wäre keine Option gewesen. Dann hätte mein Chef aus dem Urlaub kommen müssen. Und da war es irgendwie nicht wert. Immerhin will auch ich in meinem Urlaub in Ruhe gelassen werden.

      Donnerstag
      Es gibt Dinge, die brechen einem das Herz...

      Ich kann verstehen, dass du besonders gut auf dich achtest, gerade weil du eine chronische Krankheit hast. Das ist absolut sinnvoll. Mir ist bewusst, dass ich ein wenig mehr auf mich achten sollte. An besagtem Mittwoch gab es allerdings wirklich (fast) keine andere Möglichkeit. Ich musste arbeiten.

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    4. @Paterfelis

      Auch ich bin in einem Elternhaus aufgewachsen, in dem erwartet wurde, auch im Krankheitsfall den Hintern zusammenzukneifen und durchzuziehen. Insofern kann ich dich gut verstehen. Auch ich gehe nur dann zum Arzt, wenn es gar nicht anders geht. Mehr noch: Ich nehme sogar nur dann Medikamente, wenn ich Schmerzen tatsächlich nicht mehr aushalte. Heißt: Ich hab seit Jahren nichts anderes als Aspirin zu mir genommen.

      In gewisser Weise bewundere ich manchmal diese Menschen, die den Mut aufbringen, sich wieder und wieder und wieder krankschreiben zu lassen. Mir selbst erlaube ich diese Art der Schwäche nicht. Nicht mal denn, wenn es vermutlich sinnvoll wäre.

      Eure Normalität ist seltsam.
      Und die Welt in der wir leben, ist es auch.
      Manchmal wünschte ich mir, all das wäre anders.

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    5. @Muschelmädchen
      Der Sportwagen ist ne Penisverlängerung, sonst nix. Na ja, rausgeschmissenes Geld ist es in meinen Augen auch

      Ich käm mir blöd vor, wenn ich wegen nix weiter zum Arzt renne. Und ich hab das ja Jahrelang auch geflissentlich ignoriert. Bis ich dann vor fünf Jahren so was von Eine drauf bekommen habe....realistisch betrachtet ist es doch aber auch für die Firma besser, wenn ich mal zwei Wochen nicht da bin (passiert so alle Anderthalb bis zwei Jahre) - nämlich wenn sich das Chronische mal wieder Akut meldet - meistens weil die Medikamente mal wieder angepasst werden müssen, als wenn ich, wie vor fünf Jahren eine halbes Jahr ausfalle. Weil ich vorher die Anzeichen ignoriert habe - das geht schon wieder weg. Nee, da eben mal nicht. Und das war mit eine Lehre! Ansonsten hab ich kaum mal was. Na ja, dämlicher Unfall, wie gegen den Dachbalken gerannt, so was passiert schon. Als dieses Jahr alle die Grippe hatten, war ich der letzte Mohikaner.
      Wenn aber einer jeden Monat ne Woche fehlt.....

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    6. Ich verstehe das. Total. Generell bin ich sowieso ein großer Freund davon, dass man gut auf sich aufpasst. Insofern finde ich es toll, dass dir das so gut gelingt, das du ein gutes Körpergefühl zu haben scheinst und erste Anzeichen zu werten weißt. Das ist viel wert. Ich selbst habe da leider immer noch Defizite...
      Jedenfalls ist deine Situation keineswegs damit zu vergleichen, dass jemand wegen jedem Wehwehchen zum Arzt rennt. Auf gar keinen Fall.

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