Von der vierten Chance
Das erste Arbeitsverhältnis zwischen uns dauert fünf Wochen an. Sie kommt und geht, wann sie will, kann wegen der monatlichen Regelblutung nicht arbeiten und beschließt irgendwann, sich ihren Urlaub selbst auszusuchen und diesen nach Gutdünken, ohne je einen Urlaubswunsch geäußert oder einen Urlaubsantrag eingereicht zu haben, zu nehmen.
Ihre zweite Chance bei mir nutzt sie. Zumindest in den ersten anderthalb Monaten unseres Beschäftigungsverhältnisses. Dann kommt sie auf die Idee, einen Fahrservice zum Arbeitsplatz einzufordern, für eine Strecke von sechs Kilometern, die man auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklegen kann. Als ich ihr diesen Service verwehre, verweigert sie mir die Arbeitsleistung.
Beim dritten Versuch, um den sie unter Tränen fleht, geht sie für vier Wochen arbeiten, fehlt schließlich hier und da immer mal wieder unentschuldigt, bis sie schließlich gar nicht mehr auftaucht. Jegliche Anrufversuche bei ihr versanden unbeantwortet. Schließlich treffe ich bei einem recht besorgten Besuch bei ihr Zuhause ihre redselige Schwester an, die mir erklärt, dass Frau Muster keine Lust hat, arbeiten zu gehen. Ich spreche ihr deshalb, entsprechende Abmahnungen sind selbstverständlich vorausgegangen, die fristlose Kündigung aus. Woraufhin sie schimpfend und pöbelnd im Büro auftaucht, in ihrer Wut den gesamten Tresen abräumt und mich als "verficktes scheiß Lobbyistenschwein" bezeichnet.
Heute sitzt sie erneut vor mir. Mit kokettem Augenaufschlag und zum Schmollmund verzogenen Lippen, flüstert sie sanft:
"Aber Frau Muschelmädchen, jeder verdient doch eine vierte Chance."
Kurz nachdem sie gegangen ist, fällt mir der überdimensionale Penis, den sie mit blauen Kugelschreiber an die Tapete im Besprechungsraum gemalt hat, auf. Er hat Augen und Ohren.
Und ich dachte, ich bin komisch.
Vierte Chancen gibt es nicht.
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Ganz sicher nicht, oft gibt es nicht mal zweite.
AntwortenLöschenIch mag zweite Chancen.
LöschenZiemlich gestört die Frau. Vielleicht sollte man sie einschläfern lassen. Oder es mit einer Lobotomie versuchen.
AntwortenLöschenHuch. Bitte nicht.
LöschenSie hat mich zwar ein paar Mal sehr geärgert, aber so schlimm war es dann doch nicht.
Jetzt habe ich Gänsehaut, Herr DrSchwein.
Manche Menschen verdienen es nicht, beschäftigt zu werden. Hier hätte es bei mir auch schon keinen zweiten Versuch gegeben.
AntwortenLöschenDie Bildungsschicht mit der ich mich beruflich beschäftige lebt von zweiten Chancen. Ohne zweite Chancen hätte ich nur ein Drittel meiner anstellten Mitarbeiter. Und so manch einer hat sich schon berappelt, nachdem er eine neue Chance erhalten hat. Das ist vermutlich der einzige Grund dafür, dass ich meinem Job bisher die Treue gehalten habe: Das man ab und an eben doch einen Erfolg sieht. Ein Hoch auf Chancen.
LöschenHmmm, ich gehöre zwar auch zu den eher Gutmütigen, aber da würde wohl meine Nerven versagen. Ich kann viel verzeihen, aber das wäre mir eine Nummer zu viel geworden. Unter den besonderen Umständen dann wohl nach dem zweiten Durchgang.
LöschenIch hab wohl diesbezüglich die harte Tour gebraucht. Aller guten Dinge sind drei. Jetzt aber weiß auch ich es endlich besser. :-)
LöschenDu bist anscheinend sehr viel leidensfähiger als ich.
AntwortenLöschen... oder ich bin einfach naiv. Oder beides. :-)
LöschenMeine erste Reaktion ist: Wie kann man nur so dämlich sein und auch wiederholt eingeräumte Chancen so mit Füßen treten.
AntwortenLöschenGleichzeitig frage ich mich in solchen Fällen: Wie ist jemand so geworden? Welche Umstände haben sie/ihn so werden lassen? Wie viele (wie wenige?) Erfahrungen hat so jemand in jungen Jahren machen können (dürfen?), die ihr/ihm zeigen, dass Erfolge und positive Rückmeldungen und damit Motivation und Zufriedenheit eine Folge des eigenen Tuns sind.