Von verhexten Beziehungen

In den letzten Minuten hab ich viele Sätze getippt, nur um sie anschließend wieder zu löschen. Ich kann fühlen, was ich schreiben will, aber es fällt mir schwer, es auf den Punkt zu formulieren: Es beschäftigt mich seit ein paar Tagen mal wieder intensiv, dass ich in den allermeisten meiner Beziehungen das Gefühl habe, nicht gesehen zu werden und nicht gut genug zu sein.  Da ist zum Beispiel die enge Freundin, die mir Tag und Nacht WhatsApp-Nachrichten schreibt, mich quasi in Echtzeit an ihrem Seelenleben teilhaben lässt, aber nicht einmal auf die Idee kommt, mich zu fragen, was los ist, obwohl ich klar formuliere, dass es mir nicht gut geht. Da ist der Mann, der in all den Jahren nicht auf die Idee gekommen ist, mich heiraten zu wollen. Vermutlich weil ich nicht gut genug bin. Was einerseits okay ist, weil ich nicht heiraten will, aber andererseits in stummer Beharrlichkeit das Gefühl in mir erzeugt hat, dafür wohl nicht gut genug zu sein. Ein Gefühl, das schmerzt. Da ist die Freundin

Von der Gefahr

Die Fuesse im Sand vergraben, sitze ich am Strand und starre in die knisternden Flammen des Lagerfeuers, die alles, was sich ihnen in den Weg stellt, verschlingen. Ein alter Mann, vielleicht 25 Jahre aelter als ich, laesst sich neben mir am Feuer nieder. Wir sind einander fremd. Genau deshalb entspinnt sich eine Unterhaltung zwischen uns, die vertrauter nicht sein koennte. Er, Psychotherapeut, Familienvater, Reisender. Ich, schuechtern, introvertiert, sehnsuechtig. Im Laufe unseres Gespraeches sauge ich jede seiner Lebensweisheiten, versteckt oder offenkundig formuliert, in mich auf, als waere ich ein Schwamm. Stunden spaeter sieht er mich mit seinen wasserblauen, von Lachfaeltchen umrahmten Augen an.
¨Ich habe noch nie einen Menschen kennengelernt¨, sagt er, ¨Der so sehr nach dem Mehr im Leben sucht, wie du es tust. Und ich hoffe, du wirst die Antworten auf die Fragen, die du dem Leben stellst, finden.¨
Laechelnd steht er auf, kehrt mir den Ruecken zu und bricht schliesslich auf. Mein Blick folgt ihm, bis die Dunkelheit der Nacht ihn verschluckt. Als das Lagerfeuer verlischt, komme ich nicht umhin, mich zu fragen, ob dieser Mann tatsaechlich jemals hier war. Seine Fussspuren, die den Strand entlangfuehren, hat der Wind laengst verwischt.

Ein paar Monate spaeter spielen wir, ein ums andere Mal, das Oh.nma.chtss.piel. Nur das wir es damals anders nennen. Bei uns heisst es Bi.ok.ick oder P.ilot.entest:
Du gehst in die Hocke und atmest fuer viele Sekunden tief ein und tief aus. Irgendwann, wenn sich der Moment richtig anfuehlt, stehst du abrupt auf, schiebst die Haende, die du zu Faeusten geballt hast, vor den Mund und drueckst allen Atem, den du aufbringen kannst, gegen deine Haende. Viel zu schnell faengt die Welt vor deinen Augen an zu flattern. Bunte Sternchen tauchen am Rande deines Sichtfeldes auf, ziehen sich in deinen Blick hinein und bringen die Welt zum Schwanken. Unter deinen Armen spuerst du den kraeftigen Griff eines Menschen, der dir nahe steht. Seine Haende sind es, die dich auffangen, als dein Koerper zu zucken beginnt und du spuerst, wie dir die Beine wegbrechen. Alles in dir und um dich herum fuehlt sich seltsam leicht an. In diesem einen Moment, der eine kleine Ewigkeit abzubilden scheint, ist alles egal. Du fuehlst dich frei, selbstbestimmt, geborgen. Bis sich der Vorhang vor deinen Augen schliesst und du in vollkommene Schwaerze hineinsackst. Die Bilder, die in deinem Inneren vorbeiziehen, verschwinden, alle Empfindungen in dir verstummen. Du bist koerperlos. Fuer einen Moment, dessen Zeitspanne sich nicht benennen laesst, hoerst du auf zu existieren.
Vielleicht fuer immer.

In den Sekunden, in denen ich meine Grenzen ausreize und mir meine eigene, koerperliche und emotionale, Zerbrechlichkeit verdeutliche, fuehle ich stets mit einer Intensitaet, die ihresgleichen sucht, wie wertvoll das Leben in all seinen Farben ist. Ein Gefuehl, das zweifellos Suchtpotential birgt. Mehr als erfolgreich taeuscht es mich darueber hinweg, dass ich auf die Fragen, die ich dem Leben stelle, noch immer keine Antworten gefunden habe. Bis ich mich eines Tages frage, ob ich das Mehr im Leben, dass die Leere in mir fuellen soll, wirklich finden muss. Vielleicht reicht es, einfach lebendig zu sein. Und die Momente zwischen Leben und Tod, von denen das Leben einem so viele anbietet, auszukosten.

Kommentare

  1. dieses gefährliche spielchen kenne ich auch noch aus der jugendzeit. mit jetzigem hintergrundwissen würde ich es nicht mehr machen...sehr gefährlich das!

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    1. Du hast vollkommen recht, liebe Würfelzucker. Das ist wirklich gefährlich und auch ich würde es heute nicht mehr wagen. Das hat aber auch etwas damit zu tun, dass ich einmal zu lange "weg" war...

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  2. Dieses Spiel kannte ich nicht...ich hätte es aber gerne gekannt früher.
    Vielleicht hätte es mir etwas über mich selbst klar gemacht.

    Denn ältere Männer kamen nie an meinen Lagerfeuern, die es auch nicht gab, je vorbei.

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    1. Ich bin froh, dass du das Spiel nicht gekannt hast. Es ist nicht ungefährlich und hat auch schon das eine oder andere Todesopfer gefordert. Ich selbst war auch mal länger "weg" als normal. Danach fand dieses seltsame Spiel dann auch sein Ende.

      Vielleicht können wir das Lagerfeuer ja nachholen. Das sollte leicht umzusetzen sein, wenn wir den alten Mann gegen eine jüngere Frau tauschen...

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