Von Tagebuchsachen
Eigentlich sollte an dieser Stelle schon seit einigen Tagen ein Post aus der Kategorie "vom Leben gelernt" stehen. Ich hatte sogar, wie jedes Jahr um diese Zeit, schon angefangen ihn zu schreiben. Und dann habe ich mich mit H. getroffen. Wildromantisch, mitten in seiner Arbeitszeit, auf einem gar nicht so einsamen Feldweg, auf dem die Durchfahrt verboten ist, aber trotzdem ständig Spaziergänger, Jogger und Autos unsere Zusammenkunft störten. Mit Blick auf irgendein graues Industriegebäude und zwei Menschen mit Warnschutzwesten. Jedenfalls: Seitdem ist alles irgendwie ein bisschen anders und offenbar bin ich während des Treffens mit H. verstummt. Ich habe meine Worte verloren und sie gegen Gedanken eingetauscht: Jede Menge Gedanken, die in einer Geschwindigkeit durch meinen Kopf blitzlichtern, das es mir nicht gelingt sie zu fassen, geschweige denn in Worte zu kleiden.
Zum Treffen selbst will ich gar nicht viel schreiben. Ein benachbarter Blogger und Mensch, mit dem ich viele Gefühle verbinde, schrieb mir vor kurzem: "Behalte all Deine Schätze gut im Auge!" Deshalb sei dazu nur geschrieben: Ich weiß um meinen Reichtum und bin mir bewusst, was ich zu verlieren habe. (Auch H. ist sich dessen bewusst. Vielleicht sogar bewusster als ich es bin.) Jedenfalls habe ich bei unserem Treffen, unter Aufbegehren all meiner Willenskraft, genau das getan: Ich habe auf meine Schätze geachtet und muss mir nun wenig vorwerfen. Was leider mein Herz nicht davon abhält, sich tonnenschwer zu fühlen und nicht dazu führt, dass es mir gut geht. Im Gegenteil. Aber nun gut. So ist das. Vielleicht schreibe ich in einem seperaten Post etwas zu diesem Treffen. Wenn ich meine Worte wiederfinde und es mir gelingt, den Zauber, der dieses Treffen begleitet hat, einzufangen.
Ich wollte jedoch auf etwas anderes hinaus:
In dem Post "Vom Mauerloch" habe ich darüber geschrieben, dass ich daran glaube, dass jede Begegnung einen Sinn hat. Welchen Sinn unsere Begegnung für H. hat, dessen war ich mir von Anfang an ziemlich sicher: Ich hatte das Gefühl, dass er sich durch meine Augen sehen muss, um zu begreifen, was für ein schöner und liebenswerter Mensch er ist. Für mich hat sich unsere Begegnung angefühlt, als könnte ich ihn mit den Fingerspitzen antippen und ganz intuitiv etwas auftauen, was seit vielen Jahren unter Eis begraben liegt. Vielleicht: als könnte ich etwas in ihm heilen. (Das klingt furchtbar kitschig, beschreibt das Gefühl aber tatsächlich am Besten.)
Dagegen war mir länger unklar, was ich von dieser Begegnung mitnehmen soll. Ich hatte, und das ist irgendwie... fast schon hochmütig, lange das Gefühl, dass in dieser Begegnung nichts für mich zu finden ist. Dabei war ich einfach nur viel zu lange viel zu blöd, um die Lektion zu verstehen. Aber langsam dämmert es mir, nachdem ich den Lehrstoff quasi mehrfach, theoretisch und praktisch, wiederholt habe:
H. ist ein sehr sanfter Mensch. Ich bin das auch. Wenigstens anderen Menschen gegenüber. Nur mir selbst gegenüber fiel es mir immer schwer, sanft zu sein. Noch schwerer fiel es mir, es zu ertragen, wenn andere Menschen, sanft zu mir sind. Weil ich glaube, dass ich das nicht verdiene. Ich leite jegliche Form von Sanftheit mir gegenüber gerne um und provoziere meinen Gegenüber dazu, expliziter und härter zu werden. H. hat das nie zugelassen. Nicht ein einziges Mal. Er ist immer sanft geblieben. Selbst dann, als ich gesagt habe, dass ich das nicht gut ertragen kann und ihm das begründet habe. Ich habe so oft versucht ihn zu überreden, härter zu werden. Aber er wurde es einfach nicht. Und das macht mich immer noch fassungslos, während ich es schreibe. Weil ich das so nicht kenne. Ich habe noch nie einen Mann kennengelernt, der sich nicht irgendwann verlocken ließ, loszulassen und ... Allerdings habe ich auch noch nie einen Menschen kennengelernt, der mich dazu bringt, so viel von mir selbst preiszugeben. Ich habe in der Ausübung meiner geheimen Super-Fähigkeit, nämlich andere dazu zu bringen sich zu öffnen, meinen Meister gefunden. Zum ersten Mal in meinem Leben.
Das hier ist irgendwie anders. Unsere Begegnung war von Anfang an anders als das, was ich bisher kannte. Nehmen wir mal diesen Blog: H. hätte alles lesen können. Hat er aber nicht. Weil er mir den Ort, an dem ich meine Gedanken frei äußern und mich austauschen kann, nicht nehmen wollte. Während wir einander kennenlernten, gab es immer wieder Situationen, in denen ich ihm, was Fragestellungen zu meiner Person angeht, einfach Posts hätte verlinken können, damit er mich besser verstehen kann. Aber er wollte das nie. "Ich will nicht irgendwas über dich lesen. Ich möchte selbst herausfinden, wie du bist.", hat er gesagt. Mehr als einmal, glaube ich. Nicht einmal die sexuellen Posts, von denen ich weiß, wie sehr sie ihn interessiert haben, hat er angerührt. Nichts. Er war mir gegenüber immer, wie es neulich in einem Kommentar hier so treffend formuliert wurde, "achtsam". Und das war er von Anfang an in einem Ausmaß, wie ich es noch nie kennengelernt habe. Das berührt mich so tief, dass mir Tränen in die Augen schießen, während ich diese Zeilen schreibe.
"Sanftheit ist mein Endgegner.", schrieb ich H. neulich in einer Nachricht. Denn mittlerweile habe ich verstanden, dass der Sinn unserer Begegnung für mich genau darin liegt: H. hat sich nie verstellt. Er hat mir zu jedem Zeitpunkt klar gemacht, dass er sanft bleiben wird und ich daran nichts ändern werde. Das heißt, dass ich in jeder Begegnung mit ihm mit meinem Endgegner konfrontiert werde. Ich lerne an H., mir die Angst, das Menschen sanft zu mir sind, bewusst zu machen. Lerne, es zuzulassen, das jemand sanft zu mir ist. In Worten und in Umarmungen. Und ich lerne langsam, sehr langsam, genau das zu genießen und wertzuschätzen. Ich mag H.s Sanftheit und wie er mich behandelt. Und ich bin ein bisschen verliebt in die schönen Dinge, die er zu mir sagt: Das ich Sanftheit verdient habe. Und das ich genug bin. Beide Sätze, für sich allein ausgesprochen, würden mich schon tief berühren. Aber sie kombiniert zu hören, fühlt sich an, als würde er mir das Herz öffnen, ohne das ich zu irgendeiner Gegenwehr fähig bin. Vielleicht bin gar nicht ich diejenige, die etwas in ihm heilt. Vielleicht ist es andersherum und er ist stattdessen derjenige, der mich wieder zusammensetzt. Zum ersten Mal in meinem Leben sehne ich mich danach, sanft behandelt zu werden. In lichten Momenten erahne ich, wie groß die Sucht nach Sanftheit noch werden wird.
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Das Gefühl, "geöffnet" zu werden und dies nicht etwa als bedrohlich zu empfinden, sondern als im Gegenteil etwa sanftes, leuchtendes, das spricht für eine umfangreiche Sehnsucht danach in Dir. Alles in diesem Text singt diesen Refrain.
AntwortenLöschenWie sonst wäre auch zu begründen, dass Du die Abwesenheit "irgendeiner Gegenwehr" selbst feststellst und dabei spürbar, lesbar lächelst ?
Dies sind gute Gefühle.
Gute Gefühle muss man zulassen, sie kultivieren.
Sie zeigen Dir kompassnadelgenau den für Dich richtigen Weg.
Und sei Dir dessen auch stets, ganz ohne Kopfzweifel, bewusst:
Dass DIES eben der Richtige ist.
Ich wusste nicht, dass es ein "geöffnet werden" für mich gibt. Um ehrlich zu sein, war ich mir sicher, dass das mein Leben lang nur andersherum funktionieren wird.
LöschenDein Kommentar wird mir sicher noch lange im Gedächtnis bleiben. Nicht nur, aber auch weil ich der Kompassnadel nicht folgen kann.
Danke!