Von verhexten Beziehungen

In den letzten Minuten hab ich viele Sätze getippt, nur um sie anschließend wieder zu löschen. Ich kann fühlen, was ich schreiben will, aber es fällt mir schwer, es auf den Punkt zu formulieren: Es beschäftigt mich seit ein paar Tagen mal wieder intensiv, dass ich in den allermeisten meiner Beziehungen das Gefühl habe, nicht gesehen zu werden und nicht gut genug zu sein.  Da ist zum Beispiel die enge Freundin, die mir Tag und Nacht WhatsApp-Nachrichten schreibt, mich quasi in Echtzeit an ihrem Seelenleben teilhaben lässt, aber nicht einmal auf die Idee kommt, mich zu fragen, was los ist, obwohl ich klar formuliere, dass es mir nicht gut geht. Da ist der Mann, der in all den Jahren nicht auf die Idee gekommen ist, mich heiraten zu wollen. Vermutlich weil ich nicht gut genug bin. Was einerseits okay ist, weil ich nicht heiraten will, aber andererseits in stummer Beharrlichkeit das Gefühl in mir erzeugt hat, dafür wohl nicht gut genug zu sein. Ein Gefühl, das schmerzt. Da ist die Freundin

Vom Besuch

Unsere Freundin aus Madagaskar, die wir noch nie zuvor gesehen haben, ist eingetroffen. Daran habe ich wirklich lange nicht geglaubt. Bis zuletzt war ich mir absolut unsicher, ob sie wirklich ins Flugzeug steigt. Ich werde vermutlich niemals vergessen, wie der Mann vorm Rechner saß, entspannt den Flug für über 1000 Euro buchte und lächelnd meinte: "Wenn man will, das Gutes entsteht, muss man Risiken eingehen." (Selbst beim Schreiben dieser Zeilen muss ich unwillkürlich noch die Augen verdrehen, weil er so beiläufig eine Lebensweisheit erwähnte, für die ich fast 38 Jahre gebraucht habe, um sie zu lernen!) 
Jedenfalls reden wir seit zwei Jahren darüber, wie gerne wir ihr Deutschland zeigen würden. Vor anderthalb Jahren sagte sie uns den Besuch ab, weil ihr Vater erkrankte. Als es ihm besser ging beantragte sie das Visum, auf das wir fast ein Jahr lang warteten. Und nun ist sie hier. Wir haben ihr ein Zimmer im Paradies eingerichtet, ihr eine Gitarre gekauft, sie vom Flughafen abgeholt und sie willkommen geheißen. Das ist so verrückt, dass ich gerade dem Impuls widerstehen muss, nach oben zu gehen, um zu schauen, ob sie wirklich hier ist.

Sie ist so herzlich. Als wir uns am Flughafen das erste Mal sehen muss ich sie direkt in den Arm nehmen. Und ich habe das Gefühl, dass es dieser Moment zwischen uns ist, der das Eis schlagartig taut. Es ist, als ob sie, noch während sie von mir umarmt wird, erleichtert ausatmet und in Deutschland ankommt. Als sie mich anlächelt, bilden sich um ihre Augen herum so viele wunderbare Lachfältchen, dass ich unwillkürlich denken muss, dass sie nur gut sein kann. Wer so herzlich lachen kann, der kann kein schlechtes Herz haben.

Als wir ihr das Zimmer zeigen, das wir mit viel Liebe für sie eingerichtet haben, entdeckt sie fast als erstes den riesigen Bilderrahmen, den ich ihr auf den Schreibtisch gestellt habe: Ich habe aus allen Bildern, die sie uns jemals von sich, ihrer Familie und ihren Freunden geschickt hat, die schönsten herausgesucht und eine große Collage gebastelt. Davon ist sie so gerührt, dass sie erst einmal staunt, dann um Worte ringt und ihr Tränen in die Augen steigen, bevor sie sich unzählige Male bedankt.

Als wir ihr das Paradies zeigen, ist es mir fast ein wenig unangenehm, was wir alles haben. Wir leben großzügig, haben viel Platz und allerlei, vor allem so viel unnötiges Zeug angesammelt. Sie dagegen kommt aus einem der ärmsten Länder dieser Welt. Das wird mir noch einmal klarer, als ich ihr einen Tee anbiete, ihr vier Teesorten nenne und sie offenherzig preisgibt, dass sie die große Auswahl völlig überfordert. Dabei verrate ich ihr nicht, dass meine Aufzählung weit davon entfernt war, abschließend zu sein - der ganze Hängeschrank ist gefüllt mit den unterschiedlichsten Teesorten.

Am Ende des Abends, als sie längst schon zum Schlafen in ihrem Zimmer verschwunden ist, beschleicht mich das Gefühl, dass ich in den kommenden zwölf Monaten viel von ihr lernen werde. Über das Leben und die Dinge, um die es im Leben eigentlich geht. 

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