Von verhexten Beziehungen

In den letzten Minuten hab ich viele Sätze getippt, nur um sie anschließend wieder zu löschen. Ich kann fühlen, was ich schreiben will, aber es fällt mir schwer, es auf den Punkt zu formulieren: Es beschäftigt mich seit ein paar Tagen mal wieder intensiv, dass ich in den allermeisten meiner Beziehungen das Gefühl habe, nicht gesehen zu werden und nicht gut genug zu sein.  Da ist zum Beispiel die enge Freundin, die mir Tag und Nacht WhatsApp-Nachrichten schreibt, mich quasi in Echtzeit an ihrem Seelenleben teilhaben lässt, aber nicht einmal auf die Idee kommt, mich zu fragen, was los ist, obwohl ich klar formuliere, dass es mir nicht gut geht. Da ist der Mann, der in all den Jahren nicht auf die Idee gekommen ist, mich heiraten zu wollen. Vermutlich weil ich nicht gut genug bin. Was einerseits okay ist, weil ich nicht heiraten will, aber andererseits in stummer Beharrlichkeit das Gefühl in mir erzeugt hat, dafür wohl nicht gut genug zu sein. Ein Gefühl, das schmerzt. Da ist die Freundin

Vom Unrecht

Ich unterhalte mich mit einem kleinen, mopsigen Jungen. Wir kennen uns nicht. Einfach so hat er mich angesprochen und mir, ganz stolz, sein neues Fahrrad gezeigt. Zwar haben seine Eltern nie Zeit für ihn, aber seit er das Fahrrad hat, kann er zumindest herumfahren. Und wenn seine Feinde ihm auflauern, kann er mit seinem Fahrrad flüchten. Falls er aber doch mal nicht entkommen kann, trägt er ein Seil mit sich. Das zeigt er mir. Es ist blau, mit einem Knoten, der sich selbst zuzieht.

"Aber du weißt", frage ich vorsichtig, "dass das sehr gefährlich ist, oder?“

“Ja.", sagt er und nickt ernsthaft. "Ich will ja auch gefährlich sein."

Ich muss schlucken.

"Manchmal binde ich mich mit dem Seil aber auch am Bett fest. Vor allem Nachts, wenn die Stimmen mit mir reden."

"Welche Stimmen denn? Die von deinen Eltern? Oder deinen Geschwistern?“

"Nein. Ich weiß nicht, was das für Stimmen sind. Die kommen aus der Wand."

"Hast du Angst vor ihnen?“

“Nein. Die tun mir nichts. Die wollen nur reden."

Der Junge tut mir leid. Er hat ein schönes Fahrrad, aber die Kleidung, die er trägt, ist viel zu klein, seine Haare sind zu zottelig und zu lang und er saugt jedwede Form von Aufmerksamkeit in sich auf als wäre er ein Schwamm. Er ist einsam. Und irgend etwas stimmt nicht mit ihm. Das ist so deutlich, dass mir richtig schlecht wird, während ich mich mit ihm unterhalte. In meinem Bauch staut sich die Wut. Die Wut auf seine Eltern, sein Umfeld, das ich, ohne es näher zu kennen, vorverurteile, weil mir dieser kleine Mensch so klar aufzeigt, dass ihm nicht geholfen wird. Oder das die Hilfe zumindest nicht genug ist. Und das ist nicht in Ordnung. Es ist Unrecht.


...


Ist eigentlich noch irgendjemand hier? 

Kommentare

  1. Liebes Muschelmädchen, ich bin immer noch da und freu mich sehr, wieder von Dir zu lesen.
    Auch wenn dieser Post mich sehr nachdenklich stimmt und mich zugleich auch sehr bedrückt: Allein die Vorstellung, dass sich jemand nicht um sein Kind kümmert, wie sich dieses Kind fühlen mag - und wie wenig es eigentlich braucht, damit es sich glücklich fühlt.. Das sind Dinge, mit denen ich mit jedem weiteren Jahr immer schwerer umgehen kann.. Und mit jedem dieser weiteren Jahre hadere ich mit dem so alten tiefen Wunsch, aus meinem bisherigen Job komplett auszusteigen und genau da anzusetzen, wo alles beginnt: mit der Fürsorge für Kinder..

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    1. Es ist still geworden in Bloggerhausen, oder? Aber es ist schön, dass du noch da bist. :-)

      Oh. So ein Ausstieg und ein Jobwechsel wäre mutig. Aber ich kann deine Gedanken dazu sehr gut verstehen. Es gibt nichts, was mich wütender macht, als Unrecht gegenüber Kindern und Tieren. Das kann ich nicht ertragen.

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    2. Ja, es ist tatsächlich still geworden - und manchmal frage ich mich, ob es an der fehlenden Inspiration liegt und wir alle vllt auch (zu?) sehr im eigenen Kosmos kreisen. All diese Gedankensuppe kann man aufschreiben, aber möchte man selber das alles auch lesen, irgendwann mal? Ich vermisse Leichtigkeit und mich erschüttert stattdessen immer mal wieder neu, wie Menschen inzwischen miteinander umgehen.
      Vieles beschäftigt mich in diesen Wochen, Sorgen, Kummer; zugleich registriere ich sehr bewusst die sonnigen Momente - und oft denke ich dann „Ich würde es so und so schreiben wollen - und vermutlich täte es mir auch mal wieder gut..
      Aber dann sitze ich doch wieder Abende und halbe Nächte und bemale Steine, von denen der Mann inzwischen fragt „Und wo willst du die alle lassen?“ Etliche haben wir an der Isar verteilt, andere habe ich verschenkt und verschickt. Derzeit ist das wie meine ganz persönliche Meditation.
      Auf Dauer wird es aber das Schreiben nicht ersetzen 🙂
      Und auch ich fände es wirklich schön, wenn auch andere ihr Schreiben (wieder) entdecken. Es gibt so einige, die ich echt vermisse.

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    3. Es geht mir genauso. Mein Alltag ist mittlerweile mit allerhand Dingen gefüllt. Da ich relativ viel Schlaf brauche, bleiben am Ende des Tages eine, maximal zwei Stunden übrig, in denen ich etwas für mich selbst tun kann. Und da entscheide ich mich tatsächlich auch zumeist für das zeichnen und gegen das Schreiben. Es erfordert weniger Konzentration, ich kann mich intuitiv leiten lassen, muss mich nicht so sehr fokussieren. Und so entwickeln wir alle unsere Kompensationsstrategien. Und wachsen aus anderen, wie der des Schreibens, eben hinaus.
      Wer weiß, vielleicht ändert sich das auch wieder.

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  2. Liebes Muschelmädchen,
    schön, mal wieder hier etwas zu lesen. Du bist, wie viele andere (mehrheitlich geschlossene) Blogs noch in meinem Feed-Reader. Ab und an gibt es mal ein Lebenszeichen, aber ansonsten ist es wirklich still geworden.
    Ich habe immer mal wieder überlegt, wieder zu bloggen. Aber es dann gelassen. Mit der Erfahrung, wie schnell man bei der "falschen Meinung" - egal zu welchem Thema - von anderen niedergemacht wird - selbst erlebt und bei anderen verfolgt - habe ich mich dagegen entschieden.
    Mein Einzelgängerdasein hat mir im letzten Jahr geholfen, mit der verordneten Einsamkeit klarzukommen, weil ich es gewohnt bin. Aber ich stoße zunehmend an Grenzen. Nun ja.

    Was den Jungen angeht: Gibt es für Dich denn eine Möglichkeit, von außen etwas zu bewirken, weil Dir die Familie bekannt (also vom Sehen oder so) ist oder sind es gänzlich Unbekannte?

    Zu Helma: Warum tust Du es nicht? Also den Job wechseln? Was hindert Dich daran? Bei mir ist es die Angst und die Bequemlichkeit! Ich habe schon oft daran gedacht, aber wer sagt mir, dass dann alles besser und schöner wird und mich mehr erfüllt, als das Hier und Jetzt? Diese dummen Gedanken hindern mich. Und es ärgert mich, dass ich so mutlos (geworden?) bin.

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    1. Schön, dass du noch hier bist. Du hast ja schon, ganz ungeplant, mehr Einblick in mein Leben erhalten, als ich damals geben wollte, indem ich hier mal aus Versehen vom anderen Blog aus kommentiert habe. :-)

      Ich habe eher die Erfahrung gemacht, dass man als Blogger lange Zeit sehr einsam ist. Um gelesen zu werden, muss man entweder von einem der Nachbarblogs gepusht werden (was bei mir der Fall war) oder man muss einfach richtig, richtig gut sein. Meine 15 Follower habe ich mir jedenfalls mühevoll zusammengestockelt und selbst zu Hochzeiten hatte ich pro Posts vielleicht hundert Klicks. Und das ist ja nichts. Also sollten dich deine Bedenken, die "falsche" Meinung zu haben, die es ja sowieso nicht gibt, nicht vom Bloggen abhalten. Falls du loslegst, hätte ich gerne die Adresse. :-)

      Der Junge und seine Familie sind mir unbekannt. Aber wir haben uns neulich wieder zufällig getroffen. Ich bleibe dran...

      Das mit den Grenzen, glaube ich dir gerne. Es geht so vielen so. Auch ich muss mir sehr, sehr oft bewusst machen, dass es mir eigentlich gut geht. Dass ich froh sein sollte, dass meine Lieben und ich gesund sind. Und das es das ist, was zählt. Ich versuche, mich auf die positiven Dinge zu konzentrieren. Aber das ist nicht leicht. Corona nervt. Ich mag nicht mehr.

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  3. Moin Muschelmädchen,
    wie freut es mich, mal wieder etwas von Dir zu lesen! Ich hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben, nach endlosen Seitenaufrufsversuchen ...

    Die Geschichte des kleinen Jungen stimmt mich nachdenklich. Ich glaube, er ist sehr sehr einsam.

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    1. Ja, das glaube ich auch. ... Vielleicht können wir Freunde werden. Ich glaube, eine Freundin würde ihm ganz gut tun.

      Ich hoffe, es geht dir gut und du kommst entspannt und gesund durch diese wilde Zeit.

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