Von verhexten Beziehungen

In den letzten Minuten hab ich viele Sätze getippt, nur um sie anschließend wieder zu löschen. Ich kann fühlen, was ich schreiben will, aber es fällt mir schwer, es auf den Punkt zu formulieren: Es beschäftigt mich seit ein paar Tagen mal wieder intensiv, dass ich in den allermeisten meiner Beziehungen das Gefühl habe, nicht gesehen zu werden und nicht gut genug zu sein.  Da ist zum Beispiel die enge Freundin, die mir Tag und Nacht WhatsApp-Nachrichten schreibt, mich quasi in Echtzeit an ihrem Seelenleben teilhaben lässt, aber nicht einmal auf die Idee kommt, mich zu fragen, was los ist, obwohl ich klar formuliere, dass es mir nicht gut geht. Da ist der Mann, der in all den Jahren nicht auf die Idee gekommen ist, mich heiraten zu wollen. Vermutlich weil ich nicht gut genug bin. Was einerseits okay ist, weil ich nicht heiraten will, aber andererseits in stummer Beharrlichkeit das Gefühl in mir erzeugt hat, dafür wohl nicht gut genug zu sein. Ein Gefühl, das schmerzt. Da ist die Freundin

Vom alten Rebellen



Revolution stand auf unseren Fahnen.
Revolution stand uns im Gesicht.
Wir haben erlebt, was andre nicht mal ahnen.
Revolution - weniger wollten wir nicht.“ *

Unter seinen vielen Freunden und Bekannten galt er als kluger Kopf, als intellektueller, feinfühliger Mensch, der nie einem guten Gespräch abgeneigt war, sofern sein Gegenüber eine interessante Unterhaltung vermuten ließ. Er war wissbegierig und belesen – George Orwells „1984“ begeisterte ihn –, auch wenn er bestimmte Werke zeitweise fast ausschließlich las, um die Mädels zu beeindrucken. Diese erlagen zuhauf seinem Charme. Über die Loyalität hinaus, für die man ihn schätzte, war er jemand, mit dem man Spaß haben konnte. Freigiebig teilte er, was er besaß und veranstaltete Feiern, die weithin als berühmt und berüchtigt galten – skandalöse Feten, an die man sich noch erinnert, Geschichten, über die man heute lachen kann, weil sie vor Absonderlichkeit und Verrücktheit nur so strotzten.

Früher war er ein Rebell, ein „Steineschmeißer“ und noch heute ist er stolz darauf. Es macht ihm Spaß davon zu erzählen, man sieht es in seinen Augen: Sie leuchten, wenn er sich an längst vergangene Zeiten erinnert. Politik interessierte ihn immer, erzählt er, sie stand im Zentrum aller Diskussionen. Nicht nur Lebenshunger und jugendliche Kraft waren es, die ihn dazu antrieben, sich gegen das System aufzulehnen, Gleichgesinnte um sich zu versammeln und sich zu engagieren, vielmehr motivierten Wut und die Sehnsucht nach Freiheit viele seiner Handlungen. Feste Ideale und ein ausgeprägtes, durchdachtes Wertesystem waren ihm wichtig. Wichtig, wie die Suche nach einem Sinn, der über die bloße Verbesserung bestehender Zustände hinausgeht. „Wir wollten mehr als nur etwas zu verändern.“, sagt er und lächelt leicht, „Wir wollten etwas gänzlich neues schaffen.“ Nachdenklich sieht er aus dem Fenster.

„Revolution - wir wollten weg von der Masse,
kopfüber in die Hölle und zurück.
Heute stehst Du bei Hertie an der Kasse.
Da ist keine Sehnsucht mehr in deinem Blick.“ *

Heute, viele Jahre später, ist er immer noch politisch interessiert. Doch die Zeiten, in denen er auf die Straße ging, um seine Mitmenschen aufzurütteln und etwas zu verändern, sind längst verstrichen. „Die meisten Menschen meckern den ganzen Tag.“ so sagt er oft, „Aber, wenn wir mal ehrlich sind, kann das, worüber sie sich aufregen, so schlimm nicht sein. Sonst würden sie auf die Straße gehen und wenigstens versuchen, etwas zu ändern. Aber dazu muss der Leidensdruck groß genug sein. Sich nicht zu bewegen, stillzuhalten und bestehende Zustände anzunehmen ist eben einfacher.“. Über die Jahre hinweg, veränderten sich seine Werte und Ideale. „Irgendwann wird man erwachsen. Man wächst in sein Leben, die Routinen und die Pflichten, hinein. Sie werden raumgreifend, existentiell. Und ehe du dich versiehst, bist du vielleicht selbst derjenige, der den Stein – den ein anderer wirft, um sich gegen das System aufzulehnen – abbekommt. Und dann verändert sich deine Perspektive.“. Heute ist sein Leben nicht mehr angefüllt mit Freunden, Feiern und Diskussionen, auch zu Büchern greift er nur noch selten. Dafür arbeitet er viel zu viele Stunden am Tag, trinkt überreichlich Alkohol und schläft zu wenig.

„Zeiten ändern sich nun mal…“ sagt er, während er mir geradewegs fest in die Augen blickt. Unmerklich schüttle ich den Kopf. Nein. Es gibt Zeiten, die sollten sich nicht ändern. Ich wünsche mir mehr.

„Revolution für eine bessere Welt.
Wir haben sie uns so einfach vorgestellt.
Wir haben geträumt. Es war 'ne lange Nacht.
Ich wünschte wir wären niemals aufgewacht.“ *

* Die Ärzte: Kopfüber in die Hölle


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