Von verhexten Beziehungen

In den letzten Minuten hab ich viele Sätze getippt, nur um sie anschließend wieder zu löschen. Ich kann fühlen, was ich schreiben will, aber es fällt mir schwer, es auf den Punkt zu formulieren: Es beschäftigt mich seit ein paar Tagen mal wieder intensiv, dass ich in den allermeisten meiner Beziehungen das Gefühl habe, nicht gesehen zu werden und nicht gut genug zu sein.  Da ist zum Beispiel die enge Freundin, die mir Tag und Nacht WhatsApp-Nachrichten schreibt, mich quasi in Echtzeit an ihrem Seelenleben teilhaben lässt, aber nicht einmal auf die Idee kommt, mich zu fragen, was los ist, obwohl ich klar formuliere, dass es mir nicht gut geht. Da ist der Mann, der in all den Jahren nicht auf die Idee gekommen ist, mich heiraten zu wollen. Vermutlich weil ich nicht gut genug bin. Was einerseits okay ist, weil ich nicht heiraten will, aber andererseits in stummer Beharrlichkeit das Gefühl in mir erzeugt hat, dafür wohl nicht gut genug zu sein. Ein Gefühl, das schmerzt. Da ist die Freundin

Von meinem Monster


„Natürlich war ich zurückgezuckt, als er mich berührte. Mit ihm zusammen zu sein hieß, ihm wehzutun - unvermeidlich. Und das war das Gefühl, das ich hatte, als er die Hand nach mir ausstreckte: das Gefühl, dass ich ihm etwas zuleide tat, denn genau so war es.“
(John Green: Das Schicksal ist ein mieser Verräter)


Der Zaubermann hat vor kurzem ein wenig von seinem Monster geschrieben und mich damit nicht nur ziemlich berührt, sondern auch sehr nachdenklich gemacht. Er hat mich an mein eigenes Monster erinnert. Wobei ich es nie als Monster begriffen habe. Als „schwarzes Loch“ habe ich es lange bezeichnet. „Das schwarze Loch in meinem Leben“ – etwas Unantastbares, über das ich weitestgehend schreiben, aber nicht sprechen kann, das ich hüte, wie ein Geheimnis und welches ich an den meisten Tagen aus meinem Leben ausklammere. Aber die Bezeichnung „Monster“ trifft es gut.



Mein Monster ist viele, viele Jahre alt und vermutlich gibt es nichts Vergleichbares, das ich erlebt habe, was mich so sehr in meiner Persönlichkeit und meinem Verhalten geprägt hat. Oft habe ich versucht, auch auf der alten Blogplattform, darüber zu schreiben. Aber über Andeutungen hinauszukommen und dabei Kitsch zu vermeiden, erwies sich als schwierig. Auch mit den Wochen, Monaten und Jahren, die vergangen sind, ist die Wunde nicht verheilt. Ich kann nicht über mein Monster schreiben, weil ich keinen Abstand zu ihm gewinnen kann. Es klebt an mir wie ein zerkautes Kaugummi und wenn es präsent wird, fühlt es sich meistens an, als würde flüssiges, heißes Plastik auf nackte Haut treffen. Nur an den Tagen, an denen ich meinem Monster in die Augen sehe, wird es für ein paar kurze Momente kleiner: Dann gebe ich all meine Kontrolle an es ab und stelle mich den hereinbrechenden Gefühlen. Und spüre, dass es aushaltbar ist. Aushaltbarer wird.


Als ich ihn – in alten Posts als Ephraim bezeichnet – kennengelernt habe, hatte ich keine Ahnung von Liebe. Unser Kennenlernen war wie eine chemische Reaktion. Notwendig und unvermeidbar. Von der ersten Sekunde an, in der wir uns sahen, war es, für uns beide, als hätte man einen Schalter umgelegt, hin zu dem Bedürfnis nach kompromissloser, körperlicher Nähe. Wir kamen einander schnell näher. Man könnte sagen, dass wir einander kennenlernten, aber die Formulierung wäre unzureichend, weil wir einander eigentlich schon kannten. Wir waren einander offene Bücher. Worin genau das Problem lag: Ohne einander kennenlernen zu müssen, kannten wir uns zu gut. Die Nähe, die zwischen uns bestand, war einfach da, sie musste nicht entstehen. Und das machte uns Angst und führte dazu, dass wir uns immer wieder gegen einander sträubten, wodurch sich der Andere zurückgewiesen fühlte. Es ist nun einmal beängstigend, vollkommen durchschaubar und berechenbar für einen anderen Menschen zu sein.


Die Angst vor der Nähe, der Tiefe und der Intensität der Gefühle, war es schließlich, die das, was wir hatten, kaputtmachte. Ohne die Geschichte im Ganzen aufschreiben zu wollen, endete unser gemeinsamer Weg mit - tiefes Einatmen an dieser Stelle - … seinem Selbstmordversuch. Unsere Wege trennten sich abrupt. Von einer Minute auf die andere.




In der Zeit danach zog er in eine psychosozial betreute Wohngemeinschaft und ich verlor völlig den Boden unter den Füßen, weil man uns jeglichen Kontakt verwehrte.


Ohne ihn war ich nicht mehr ich. Ich wollte gar nichts mehr. Nicht essen, nicht schlafen, nicht rausgehen. Ich wollte nicht einmal mehr sein. Alles war egal. Keine Kraft mehr. Bis irgendwann die Wut kam. Die Wut auf mich selbst, die Wut auf ihn und die Wut auf den Rest der Welt. Dann: Hass. Abgrundtiefer, alles auffressender, nagender Hass. Die bohrende Frage, wie ich mich einem Menschen nur so sehr hatte anvertrauen, fast: ausliefern, können. Wie hatte ich mich, als Mensch, nur einem Menschen so sehr aufbürden können? Und die Verzweiflung, von ihm allein gelassen worden zu sein. Das Gefühl, nicht mehr vollständig zu sein. 


Später suchte ich Wege aus dem Gefühlschaos heraus. Wege, die möglichst viel Risiko beinhalteten. Mit dem Ziel, die Gefühle irgendwie abzustellen. Alkohol zum Beispiel. Oder auch: Chemie. Einmal schaffte ich es fast, mich selbst um die Ecke zu bringen. Aber auch das war egal. Weil sich durch all meine Empfindungen eigentlich nur ein Gefühl webte: Schuld. Schuld daran, so tief in jemanden eingedrungen zu sein, dass… Ich wollte mich büßen lassen, für das, was ich war und getan hatte. Und weil mir intuitiv klar war, dass ich nie für das, was ich angerichtet hatte, bezahlen würde können, ging es mir besser, umso extremer und gefährlicher die Situationen waren, in die ich mich brachte. Umso mehr ich mich selbst verletzte.


Irgendwann, als ich es dann geschafft hatte, mich bei einer dieser Aktionen fast umzubringen, wurde ich dann ruhiger. So langsam – sehr, sehr langsam – fand ich wieder Boden unter den Füßen. Ich stürzte mich in die Arbeit. Versuchte, Wiedergutmachung zu leisten. 24/7. Angefüllt mit ehrenamtlicher Arbeit. Der Versuch, mich von meiner Schuld freizukaufen. Aber das verstand ich erst viel später. Ich wollte zu einem anderen Menschen zu werden. Mich selbst hinter mir lassen. Abschütteln. Und… in gewisser Hinsicht gelang mir das: Von temperamentvoll und impulsiv wandelte ich mich in introvertiert und über-zurückhaltend. Ich stellte meine Neugier ab und zwang mich dazu, die Fähigkeit, Subtexte anderer Menschen zu lesen und mit den Fingerspitzen über die Dinge zu streichen, die unglücklich machen und verbesserungswürdig wären, kleinzuhalten. Weil sie es gewesen war, die mich so tief hatte in ihn eindringen lassen, dass das überhaupt geschehen konnte.


Auch er veränderte sich. In psychologischer Betreuung fing er an, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Er stürzte sich in Beziehungen. Viele davon führte er mir, bemüht beiläufig, vor. Er pflasterte all meine Wege mit Erinnerungen an ihn. Ließ mich über gemeinsam gezeichnete Bilder stolpern, streute selbstgeschriebene Songtexte im Internet, …. Darüber hinaus wurde er zum Polyamoristen.


Jahre später trafen wir uns. Zufällig. Das erste Mal seit dieser Nacht, die uns getrennt hatte. Wir sprachen uns aus. Er erzählt mir davon, wie schwer die Zeit nach uns gewesen sei und das er noch immer nachts aus Albträumen hochschrecke und bat mich, obwohl sich auch seine Gefühle für mich nicht verändert hatten, um meine Freundschaft. Ich konnte das nicht. Noch immer hätte ich, ohne zu Zögern, eines meiner Körperteile geopfert, hätte es ihn mir in irgendeiner Art und Weise zurückgebracht. Ich konnte nicht denken in seiner Anwesenheit. Nicht sprechen. Mein ganzer Körper zitterte, so sehr reagierte ich auf ihn (Ja. Unvorstellbar.). Allein das Bestehen der Möglichkeit, ich könnte ihn ein weiteres Mal verlieren, war mir zu viel Risiko. Ich hätte das kein weiteres Mal ertragen können. Und so entschied ich, dass sich unsere Wege wieder trennen würden.


Das Wichtigste jedoch, was er mir bei diesem Treffen mitgab, war die Sicherheit, dass er mir verziehen hat, was damals geschehen ist. Darüber hinaus teilte er, in unserem Gespräch, unsere Schuld, wenn man denn von Schuld sprechen kann. Er war direkt, selbstkritisch und ehrlich. Trotzdem – oder gerade deswegen – gelang es ihm nicht, mich von ihm, von meinem Monster, zu befreien.


Obwohl ich heute vieles reflektierter sehe, größtenteils meinen Frieden mit dieser Geschichte geschlossen und eine Menge aus ihr gelernt habe, kann ich mir selbst nicht verzeihen. Manchmal denke ich, ja, jetzt hast du es geschafft, und dann fühle ich mich frei. Aber an schlechten Tagen verliere ich wieder den Boden unter den Füßen und zapple, auf der Suche nach irgendeinem Halt, in der Luft.


Was ich seitdem mit mir mittrage, ist Angst: Die Angst davor, Menschen, die mir nahe sind, zu verlieren. Die Angst davor, selbst einem Menschen zu nahe zu kommen. Die Angst davor, einen Menschen zu nahe an mich heranzulassen und mich, als Mensch, jemandem aufzudrängen. Die Angst davor, ein schlechter Mensch zu sein. Des Liebens nicht wert zu sein. Nicht genug zu sein. …


Deswegen sage ich den Menschen, die ich liebe, immer und immer wieder: "Bitte, pass auf dich auf. Ich liebe dich.". Nur für den Fall, dass es ein Abschied sein könnte. Wenn es ein Abschied sein sollte, dann will ich alles gesagt haben, was ich sagen wollte. Es ist unbeschreiblich wichtig für mich, dass mir das nicht genommen wird.



Das ist es. Mein Monster. Es ist meins und es gehört untrennbar zu mir. Verletzungen sind unvermeidlich. Wer, wenn nicht er, hätte mich in meinem innersten Kern treffen sollen? Es ist gut, wie es ist. 


Vielleicht kann ich eines Tages dankbar sein für das, was wir miteinander geteilt haben und das, wozu wir uns gemacht haben. Vielleicht lasse ich mein Monster eines Tages los. Bis dahin lebe ich mit ihm.


(Sehr ausgeufert dieser Post. Weiß noch nicht, ob ich den so stehenlassen kann. Mal gucken.)

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Vom Kaffee und vom Leben

Vom Unglücklichsein

Vom Schmerzgedächtnis