Von verhexten Beziehungen

In den letzten Minuten hab ich viele Sätze getippt, nur um sie anschließend wieder zu löschen. Ich kann fühlen, was ich schreiben will, aber es fällt mir schwer, es auf den Punkt zu formulieren: Es beschäftigt mich seit ein paar Tagen mal wieder intensiv, dass ich in den allermeisten meiner Beziehungen das Gefühl habe, nicht gesehen zu werden und nicht gut genug zu sein.  Da ist zum Beispiel die enge Freundin, die mir Tag und Nacht WhatsApp-Nachrichten schreibt, mich quasi in Echtzeit an ihrem Seelenleben teilhaben lässt, aber nicht einmal auf die Idee kommt, mich zu fragen, was los ist, obwohl ich klar formuliere, dass es mir nicht gut geht. Da ist der Mann, der in all den Jahren nicht auf die Idee gekommen ist, mich heiraten zu wollen. Vermutlich weil ich nicht gut genug bin. Was einerseits okay ist, weil ich nicht heiraten will, aber andererseits in stummer Beharrlichkeit das Gefühl in mir erzeugt hat, dafür wohl nicht gut genug zu sein. Ein Gefühl, das schmerzt. Da ist die Freundin

Vom Seilbahnmoment

"Wir wollen einfach weg und kommen nie mehr zurück,
auch wenn ich weiß, es klingt viel zu verrückt:
Sie fällt hin, wo sie will, weil die Liebe so ist - 
ich hab dich mein halbes Leben vermisst."

(Clueso, Elif: Mond)

 

Wir treffen uns, irgendwo auf einem Parkplatz an einer Landstraße, und laufen durch ein Naturschutzgebiet. Wir laufen, um ganz ehrlich zu sein, damit wir nicht küssen. Oder berühren. Oder vögeln. Laufen als Alternative zu all den Dingen, die wir am liebsten tun würden. Und von denen fällt uns eine ganze Menge ein. Trotzdem versuchen wir, nur miteinander zu sein. Und auch das ist sehr, sehr schön und weitaus mehr, als ich dachte, was jemals zwischen uns passieren wird.

Ich kenne den Spielplatz, an dem uns unser Weg gleich vorbeiführen wird. Und noch bevor du weißt, dass es dort überhaupt eine Seilbahn gibt, weiß ich, dass du mit ihr fahren wirst. Weil du an mir magst, übrigens ganz im Gegensatz zu dem sehr erwachsenen Mann, dass ich nur halb-bis-gar-nicht-erwachsen und damit für so gut wie jeden Blödsinn zu haben bin. Als die Seilbahn in Sicht kommt, necke ich dich:

"Du weißt schon, dass ich dich gleich zwingen werde mit der Seilbahn zu fahren, oder?", frage ich schmunzelnd.

"Nur wenn du auch damit fährst.", erklärst du schulterzuckend und lachst.

Allerdings habe ich die Rechnung ohne dich gemacht: Als ich mir schon den Sitz der Seilbahn zwischen die Beine geklemmt habe, schiebst du dich unvermittelt vor mich. Mit großen Augen schaue ich dich überrascht an. "Dachtest du, ich lasse dich alleine fahren?", fragst du lächelnd. Öhm... Ja? So fahren Erwachsene halt Seilbahn? Nacheinander? Du lachst, schwingst dich auf mich und alles, was sich nun noch zwischen uns befindet, ist das Seil, an dem wir uns festhalten. Du bist mir so nahe, dass ich den Atem anhalte. Als es mir auffällt, atme ich tief ein, fülle meine Lungen mit der kalten Herbstluft, und vergrabe mein Gesicht in meinem Schal, um bloß nicht auf dumme Ideen zu kommen. Zum Beispiel auf die Idee, Seilbahnküsse zu tauschen. Doch als wir losfahren, ist dieser Gedanke vergessen, denn wir müssen so sehr lachen, dass wir fast abstürzen. Dieses Bild, wie du mich lachend ansiehst, während wir den kleinen Berg hinabsausen, brennt sich in mich, in meine Netzhaut, hinein und ich bin mir sicher, dass ich es niemals wieder vergessen werde.

H., du bist mein Wohlfühlmensch. So einen Menschen wie dich habe ich immer gesucht. In deiner Gegenwart fühle ich mich gut. Du machst die Dinge leicht, indem du einfach nur bist. Ich kann ich selbst sein, vollkommen unverstellt. Kann sagen, was ich denke, kann schweigen, kann laut sein, kann leise sein, kann sein. Wenn mich etwas irritiert kann ich es sagen oder schreiben, ohne das ich das Gefühl haben muss, dass ich zuviel bin. Du bist sehr pragmatisch und das mag ich total: Dinge aussprechen und auf den Punkt bringen. Nicht zaudern, lieber handeln. Den direkten Weg nehmen. Aussagen aufschlüsseln statt sie, aus falschem Taktgefühl, zu verschlüsseln und die Situation zu verkomplizieren. Genauso wie du Menschen ansiehst, gerade heraus, sprichst du. Bei dir gibt es keinen Raum für Interpretation. Und das macht mir den Umgang mit dir wunderbar leicht. Zu einem Zeitpunkt, an dem ich noch nie in deiner Wohnung war, bietest du mir an, mir deinen Hausschlüssel draußen zu hinterlegen, während du auf Arbeit bist, damit ich einen Ort habe, an den ich mich zurückziehen und zur Ruhe kommen kann. "Melde dich jederzeit, wenn du das Gefühl hast, die Welt alleine auf deinen Schultern zu tragen.", sagst du und ich bin mir absolut sicher, dass das keine Floskel ist. Du bist nicht genervt, wenn ich nicht funktioniere, unentspannt und unsicher bin, sondern versuchst mir Sicherheit zu geben. Als ich dich, irgendwann nach diesem Ausflug hier, tatsächlich das erste Mal Zuhause besuche, fragst du mich während unseres Treffens ungefähr siebenmal, ob wir nicht vielleicht doch lieber raus und spazieren gehen wollen. Du spürst, dass ich mich nicht richtig entspannen kann und ignorierst das eben nicht weg. Ich habe keine Ahnung, wie du das machst, aber es war schon immer so, dass ich mich nach Treffen mit dir besser gefühlt habe als vorher. Oder: Dass ich besser in deiner Nähe bin, als ohne dich. Ich kann mich fallen lassen. Deine Sanftheit macht mir keine Angst. Deine Nähe macht mir keine Angst. Du machst mir keine Angst. Zum ersten Mal in meinem Leben fühle ich mich, einem Menschen und einem Mann gegenüber, angstfrei.

Wenn ich auch nur andeute, dass ich zu dick sein könnte, verdrehst du die Augen, und weist mich zurecht. Ich bin dir zu selbstkritisch. Du erzählst mir regelmäßig, dass ich genug bin. Mittlerweile bin ich sogar versucht, dir das wenigstens manchmal zu glauben. Und du behauptest, dass du mich sogar mit Elefantennase und -ohren schön finden würdest. Selbst wenn das gelogen sein sollte, mag ich den Gedanken sehr. Weil Füße, Nasen und Ohren nämlich ein Leben lang wachsen und in meiner Familie, am Ende des Lebens, alle aussehen wie Nasen und Ohren auf zwei Füßen.

Du bist gut zu mir. So, so liebevoll. Und das genieße ich. Und je mehr ich es auskoste, umso süchtiger werde ich. Und genau mit diesem liebevollen Verhalten führst du mir vor Augen, was mir in meiner Beziehung fehlt: 

Liebevoll und zärtlich behandelt zu werden. Mit Sanftmut und Nachsicht betrachtet zu werden. Der Mann hat ein großes Herz. Wirklich. Aber Sanftmut und Nachsichtigkeit sind keine seiner Charaktereigenschaften. Eher im Gegenteil. Er ist oft hart in seinem Urteil und grob in seiner Ausdrucksweise. Damit kann ich meistens umgehen. Damit, dass ich mich in letzter Zeit so selbstverständlich an seiner Seite fühle, eher nicht. Ich fühle mich ungesehen und nicht ausreichend gewertschätzt. Dabei glaube ich, wenigstens an guten Tagen, von mir selbst, dass ein Mann, der mich an seiner Seite weiß, froh sein kann: Ich kann den Mann sein lassen, wie er ist, bin nicht besonders eifersüchtig, gerne unabhängig und mache mein Wohlbefinden nicht von meinem Partner abhängig. Ich kommuniziere direkt und klar. Bin unkompliziert, solange nicht zuviel Interpretationsspielraum entsteht. Kann Bedürfnisse, die meinen entgegenstehen, anerkennen und eigene Mängel, so wie diesen hier, benennen. Und ich habe gerne meinen eigenen Freundeskreis, bin schmerzbefreit, wenn es darum geht, auch getrennt etwas zu unternehmen und bin so harmonieverliebt, dass ich dazu neige fast schon zu kompromissbereit zu sein. Die Beziehung vom Mann und mir war, in den Grundfesten, immer gut, weil wir uns genommen haben wie wir sind. Bis ich irgendwann nicht mehr gut genug für ihn war und er anfing, mich verändern zu wollen. Jetzt fühle ich mich oft ungenügend, weil die wenigsten Dinge, die ich tue, (gut) genug sind. Vieles davon spricht er nicht aus, sondern lässt es mich durch implizite Aussagen oder Blicke spüren. Die direkte Kommunikation seinerseits ist in den letzten Monaten annähernd gänzlich verloren gegangen. Wenn ich ihn darauf hinweise und darum bitte, ob wir nicht versuchen können, das anders hinzubekommen, lehnt er das ab, mit der Begründung, dass ich dafür zu empfindlich sei. Ob er damit recht hat, weiß ich nicht. Ich fühle mich nicht empfindlich. Allerdings ist mir bewusst, dass ich mittlerweile jede seiner Aussagen nach impliziten Aussagen scanne. Das tue ich, weil ich das Gefühl habe, dass es von mir erwartet wird. Und das wiederum macht mich tatsächlich empfindlich. Weil es wahnsinnig anstrengend ist. Ich bin den halben Tag damit beschäftigt, zu analysieren und zu interpretieren, was von mir erwartet wird. Rätselraten im Minenfeld. Und oft genug kann ich es, egal was ich tue, nur falsch machen.

Ehrlich? Ich würde mich in der Beziehung, die ich führe, gerne geliebter fühlen. Und das ist der Punkt, H., an dem du mich triffst. Der einzige wunde Punkt meiner Beziehung. Denn du predigst: "Du gibst zu viel. Niemand hält das ewig durch. Nimm dir Zeit für dich. Tue etwas, was dir gut tut. Gib Arbeit ab. Du machst das gut. Aber du musst all die Dinge nicht alleine tun, weil du nicht alleine bist. Nimm den Mann in die Pflicht. Du bist genug. Du bist toll. Du bist liebenswert." 

Damit drückst du die richtigen Knöpfe bei mir.

Und du drückst sie - entschuldige, aber: furchtbar - intuitiv.

Mir ist bewusst, auch ohne dass du es laut aussprichst, dass du den Mann verurteilst. Weil du glaubst, dass er nicht gut genug für mich ist. Dabei ist er besser, als du glaubst. Aber selbst wenn er das nicht wäre, würde für mich kein Weg aus dieser Beziehung herausführen.

Eng in einer Umarmung verschlungen stehen wir im bunten Herbstlaub. Um uns herum raschelt der Wind in den wenigen verbliebenen Blättern, die sich noch an den Bäumen festhalten. Mit der kalten Nasenspitze fahre ich zart durch deine Halsbeuge. Du seufzt leise und erschauerst. "Du musst mich zum Teufel jagen.", sage ich leise und versuche, mich noch tiefer in deine Umarmung zu flüchten. Du aber schiebst mich von dir und siehst mir in die Augen. Auf diese direkte, forsche Art, wie du Menschen eben ansiehst, und die ich so sehr mag. "Nein.", sagst du schlicht. "Aber... Tut dir das hier gut?", frage ich und versuche, den Zweifel in meiner Stimme zu verstecken. Ganz ehrlich, ich kann es mir nicht vorstellen. Das hier, das ist doch Mist. Wir brechen uns gegenseitig das Herz. Darauf läuft es hinaus. Und das wissen wir beide. Oder?
Dieses Mal schaust du weg.
"Guck mich mal an...", fordere ich dich auf. "Tut dir das hier wirklich gut? Ich bezweifle das.", sage ich traurig, aber ehrlich.
Du zögerst, lässt deinen Blick in die Ferne schweifen. Aber schließlich wendest du dich mir wieder zu und schaust mich an.
"Das hier? Ja. Das tut mir gut. Aber das Fahren nicht. Wenn ich nachher von dir wegfahre, dann wird mir das nicht mehr gut tun."
"Wir sollten das hier beenden.", sage ich. Es fällt mir schwer, aber ich werde das Gefühl nicht los, dass das das Einzige ist, was ich für dich tun kann. Damit es dir gut geht.
"Nein.", sagst du mit fester Stimme und weigerst dich. Zum zweiten Mal.
Du lässt mich los und trittst einen Schritt von mir zurück.
"Dafür mag ich dich viel zu sehr. Ich lasse dich nicht gehen. Lieber lassen wir das hier, die Umarmungen und Berührungen, als das du den Kontakt ganz aufgibst."
Du hebst abwehrend die Hände.
"Wir können auch so spazieren. Ohne uns anzufassen!", sagst du und läufst los.

Ich beginne, losgelöst von dir und deiner Körperwärme so plötzlich beraubt, sofort zu frieren. Aber wir laufen nur ungefähr dreißig Sekunden nebeneinander bis sich unsere Hände wieder zu einander verirren und die Finger sich mit einander verknoten. Deine sind eiskalt. Weil dir immer kalt ist, wie du sagst. Das liegt übrigens daran, dass du viel zu dünn bist. Während ich das laut ausspreche und dir erkläre, dass du mehr Schokolade essen solltest, muss ich daran denken, dass ich viele Jahre lang Männer wie dich nicht mal richtig angesehen habe, weil ich sie als zu schön für mich empfunden habe. Du bist so ein Mann. Viel zu schlank, dieses perfekte kantige Gesicht, die wunderschönen Lachfältchen, die geschwungenen Lippen. Himmel, du bist so schön. Innerlich und äußerlich und überhaupt. Man sieht dir an, dass du pro Woche dreistellige Kilometerzahlen mit dem Fahrrad fährst, entspannt ein paar Kilometer schwimmst und trotzdem Abends mit Freude noch joggen gehst. Du hast Hummeln im Hintern und das Herz am rechten Fleck. Und ich mag, dass du der einzige Mensch bist, den ich kenne, der das Wort "Pustekuchen" im Alltag benutzt.

Irgendwann seufzt du leise, während du mich ansiehst. "Lächle mich nicht so an.", bittest du sanft. "Wenn du mich so anlächelst...", sagst du, aber beendest den Satz nicht. Stattdessen fragst du: "Weißt du eigentlich, wie schön dein Lächeln ist?" Ich schweige und wünsche mir heimlich einen Themenwechsel. Hauptsächlich deshalb, weil wir doch beide wissen, dass das Blödsinn ist. Ich denke an meine Mutter und daran, wie sie mir bedauernd mitteilte, dass nur sehr schlanke Menschen schön sein können. Und an Ari, der, als wir nach dem Sex gemeinsam im Bett lagen, erstaunt feststellte, dass jedes meiner Körperteile, für sich alleine betrachtet schön sei. Nur eben das Gesamtkonstrukt nicht. 

Du lachst leise auf. Offenbar hast du mich beobachtet, während ich mich in Gedanken verloren habe. Als ich wieder in der Realität ankomme und deinen Blick erwidere, legt sich ein Hauch von Verblüffung über deine Züge. "Du weißt das nicht?", fragst du verwundert. Nur um gleich darauf völlig nachzuhaken: "Du weißt das wirklich nicht, oder?" Während ich deinem Blick ausweiche und mich frage, wie es mir gelingt, schnellstmöglich das Thema zu wechseln, schüttelst du erstaunt den Kopf.

Drei Stunden wandern wir durch den graubunten Herbsttag und genießen jede Minute davon, manchmal redend, viel öfter aber auch schweigend, nur die Nähe des jeweils anderen fühlend. Immer mal wieder schaue ich dich von der Seite an, während wir spazieren, und ertappe mich selbst beim staunen darüber, dass du hier bist, bei mir. Unsere Geschichte ist, summa summarum, ziemlich wild und ich kann es noch immer nicht fassen. Vom Arbeitskollegen zum kurzfristigen Blogleser zum Vertrauten zum... Ja, zu was eigentlich?

Wir kriechen durch einen Fuchsbau und üben uns im Zapfenwerfen. Du machst das - Entschuldige, aber das ist auf jeden Fall so! - schlechteste Selfie der Welt von uns und ich halte fotografisch fest, wie du ohne es zu wissen, als vermutlich erster Mensch auf dieser Welt, einen Buntspecht mit nur einer Hand fängst. 

Die Zeit mit dir fühlt sich an, als wäre sie ein Wimpernschlag. Aber sie ist so gut für mich, für meine Seele. Als wir uns schließlich von einander verabschieden, will ich das eigentlich gar nicht. Und trotzdem steige ich in mein Auto ein. Du bleibst stehen und willst mir hinterherschauen. Kurz bevor ich auf das Gaspedal trete, bedeute ich dir zu lächeln. Dein Lächeln gelingt nur halb. Trotzdem hoffe ich, dass du fühlen kannst, was ich fühle: 

Ich trage dich, die Erinnerung an unsere gemeinsamen Stunden, bei mir und bin so dankbar dafür, dass du mir diese Zeit geschenkt hast. Du tust meinem Herzen gut. Du tust mir gut. Du bist einfach genau richtig. Ich mag dich wirklich sehr, H. Hoffentlich kann ich dir wenigstens einen Bruchteil von dem, was du mir gibst, zurückgeben und auch dein Leben ein kleines bisschen besser machen. Das wünsche ich mir sehr.


...


(Die Miss hat, in ihrem Kommentar unter dem vorangegangenen Post, recht: Die letzten beiden Beiträge gehören zusammen. Aber dieser hier, an dem ich über zwei Wochen geschrieben habe, der gehört auch noch dazu. Jetzt fühlt sich das Thema rund an. Und damit ist vorerst alles gesagt.)


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