Von verhexten Beziehungen

In den letzten Minuten hab ich viele Sätze getippt, nur um sie anschließend wieder zu löschen. Ich kann fühlen, was ich schreiben will, aber es fällt mir schwer, es auf den Punkt zu formulieren: Es beschäftigt mich seit ein paar Tagen mal wieder intensiv, dass ich in den allermeisten meiner Beziehungen das Gefühl habe, nicht gesehen zu werden und nicht gut genug zu sein.  Da ist zum Beispiel die enge Freundin, die mir Tag und Nacht WhatsApp-Nachrichten schreibt, mich quasi in Echtzeit an ihrem Seelenleben teilhaben lässt, aber nicht einmal auf die Idee kommt, mich zu fragen, was los ist, obwohl ich klar formuliere, dass es mir nicht gut geht. Da ist der Mann, der in all den Jahren nicht auf die Idee gekommen ist, mich heiraten zu wollen. Vermutlich weil ich nicht gut genug bin. Was einerseits okay ist, weil ich nicht heiraten will, aber andererseits in stummer Beharrlichkeit das Gefühl in mir erzeugt hat, dafür wohl nicht gut genug zu sein. Ein Gefühl, das schmerzt. Da ist die Freundin

Von der beruflichen Neuorientierung

Nachdem der Bewerber den Raum verlassen hat, lächle ich mein Gegenüber an. Vollkommen unbedacht rutscht es aus mir heraus:

"Sie haben wirklich wunderbar formuliert, warum man bei uns arbeiten möchte. Ganz ehrlich, jetzt möchte ich am liebsten auch bei ihnen, in ihrem Bereich, arbeiten!"

Er lacht.

"Sie würde ich ohne zu zögern einstellen, Frau Muschelmädchen. Wollen sie nicht zu uns kommen?"

"Dafür fehlt mir die Qualifikation.", erwidere ich. Als Personalerin weiß ich, was gefordert wird. Und ich habe eindeutig die falschen Studienabschlüsse. Aber er winkt ab.

"Ernsthaft, Frau Muschelmädchen, da kriegen wir schon was hin! Nur ein Wort von ihnen und ich setze alle Hebel in Bewegung."

Am Ende des Tages nehme ich dieses Gespräch mehr mit nach Hause, als ich will. Ich verstehe erst heute, dass ich mich viel zu spät von meinen Eltern gelöst habe. Besonders meine Berufswahl haben sie viel zu sehr mit ihren Vorstellungen beeinflusst. DAS willst du studieren? Da wirst du doch später arbeitslos! Und arm! Diese Tätigkeit ist brotlos! Du vergeigst deine ganze Zukunft! (Eventuell war das ihr Recht, nachdem sie einen sechsstelligen Betrag für meine Schulbildung auf den Tisch gelegt haben und zweifelsohne wollten sie immer nur das Beste für mich. Es hat halt nur eben nicht viel zu meinem beruflichen Glück beigetragen.)

Als ich abends dem Mann von dem Gespräch im Auswahlgremium erzähle, antwortet er das, was er immer antwortet, wenn es um meine berufliche Zukunft geht:

"Geh doch noch mal studieren. Finanziell kriegen wir das locker hin. Und immerhin musst du noch den Rest deines Lebens arbeiten. Da solltest du lieben, was du tust." Vermutlich hat er damit recht.

Aber ich schon wieder bereit für ein neues Studium? Nach Bachelor und Master in der Regelstudienzeit hatte ich eigentlich mehr als genug. Ich war erschöpft und wollte nicht mehr lernen. Lieber arbeiten, Geld verdienen und neue Erfahrungen sammeln. Aber so langsam, nach zehn Jahren Berufstätigkeit, fühle ich mich regeneriert und habe wieder Lust, mich intellektuell ein wenig fordern zu lassen. Ich lerne gerne. Ganz besonders in Bereichen, die mich interessieren und in denen ich gut bin.

"Nur eines noch.", unterbricht der Mann meine Gedanken, "Bitte entscheide dich nicht dafür Psychologie zu studieren." Mit dem Zeigefinger tippt er mir sachte auf die Brust, dorthin, wo er mein Herz vermutet. "Das würde dir nicht gut tun, weißt du? Du nimmst das Leid zu sehr auf, kannst dich zu wenig abgrenzen. Nimm jeden anderen Studiengang, aber nicht das, ja? Du musst auf dich aufpassen. Und auf uns."

Und jetzt weiß ich doch auch nicht. 

Studieren? Nicht studieren? Für immer Personalerin sein?

Kommentare

  1. Du kannst es ja versuchen. Wenn Du merkst es ist doch nicht Dein Weg, hörst einfach wieder auf damit. Es werden sich immer wieder Optionen ergeben. Und wenn Du immer Personalerin sein magst, dann ist das auch okay. Immer diese Möglichkeiten und Entscheidungen. 🙂

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  2. Also, ich habe mich mit 35 ja auch noch einmal komplett beruflich neu orientiert. Und nein, im Sommer 2023 bin ich schulisch vielleicht fertig und könnte als Erzieherin arbeiten, was ich auch tun werde. Aber das reicht mir (natürlich!) nicht und werde ein Fernstudium beginnen, damit ich mich Sozialpädagogin nennen darf. Nutze es, solange ihr finanziell gut da steht und es euch leisten könnt. In Nds. zahlt mir die NBank ein tolles Bafög. Kriegst du bestimmt auch, da wo du lebst!? Schau dich schlau und hör auf dein Herz. Aber ja, Psychologie lassen wir 2 lieber bleiben ♥️

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