Von verhexten Beziehungen

In den letzten Minuten hab ich viele Sätze getippt, nur um sie anschließend wieder zu löschen. Ich kann fühlen, was ich schreiben will, aber es fällt mir schwer, es auf den Punkt zu formulieren: Es beschäftigt mich seit ein paar Tagen mal wieder intensiv, dass ich in den allermeisten meiner Beziehungen das Gefühl habe, nicht gesehen zu werden und nicht gut genug zu sein.  Da ist zum Beispiel die enge Freundin, die mir Tag und Nacht WhatsApp-Nachrichten schreibt, mich quasi in Echtzeit an ihrem Seelenleben teilhaben lässt, aber nicht einmal auf die Idee kommt, mich zu fragen, was los ist, obwohl ich klar formuliere, dass es mir nicht gut geht. Da ist der Mann, der in all den Jahren nicht auf die Idee gekommen ist, mich heiraten zu wollen. Vermutlich weil ich nicht gut genug bin. Was einerseits okay ist, weil ich nicht heiraten will, aber andererseits in stummer Beharrlichkeit das Gefühl in mir erzeugt hat, dafür wohl nicht gut genug zu sein. Ein Gefühl, das schmerzt. Da ist die Freundin

Vom Tanzen

Als ich den Saal betrete, legt sich eine Gänsehaut auf meine Arme. Es ist lange her, das ich das letzte Mal getanzt habe. Die Sehnsucht kitzelt mich. Zu gerne würde ich tanzen können. Natürlich ohne zu üben. Prüfend sehe ich mich in der Spiegelfront an. Eine erwachsene Frau sieht zurück. Aber in dem Glitzern ihrer Augen kann ich das Mädchen von früher noch erkennen. 

Ganz automatisch greift meine Hand nach der Stange. Mein Rücken streckt sich. Probehalber spitze ich die Zehen. Mein Fuß schabt leise über das Parkett. Ganz behutsam. Die einzelnen Positionen. Immer die Stimme meiner Ballettlehrerin im Ohr: Kopf rein, Brust raus, Po anspannen! Fingerhaltung nicht vergessen. Demi-plié tiefer. Tiefer! Jeté. Erstaunlich, dass ich mich doch, nach so vielen Jahren, noch an so einige Einzelheiten erinnern kann, die darüber hinausgehen, dass meine Ballettlehrerin meinen Bauch dick fand. Und mich das in jeder einzelnen Stunde spüren ließ. 

Plötzlich mutiger geworden, wage ich eine schüchterne Drehung. Aber ich nehme die Arme nicht richtig mit und gerate aus der Balance. Gerade als ich es noch einmal versuchen will, öffnet sich die Tür hinter mir und Uwe tritt ein. Ich erstarrte in der Bewegung und laufe rot an. Mit ein paar schnellen Schritten bin ich bei meiner Tasche und beuge mich zu ihr hinab. Ich krame darin und tue so, als würde ich etwas suchen. Ich zaubere mich unsichtbar. 

Nach und nach füllt sich der Raum mit Tänzern. Es ist erst meine zweite Stunde und im Moment kostet es mich noch sehr viel Überwindung, hier her zu kommen. Meine Bewegungen fühlen sich kantig an, mein Hüftschwung eingerostet. Den anderen Tänzern zuzusehen, die in den vorderen Reihen tanzen, denn ich verstecke mich hinten, bereitet mir Freude, demotiviert mich aber auch. Denn ich zweifle daran, meinen Körper je wieder so gut beherrschen zu können. Außerdem bereitet mir das Umdenken Schwierigkeiten. Uwe, der Tanzlehrer, tanzt mit dem Gesicht zu den Tänzern. Das führt bei mir dazu, dass ich ständig rechts und links verwechsle und mich verhaspele.

Als nun die ersten Takte der Musik erklingen, verstummen Gespräche. Die Tänzer begeben sich auf ihre Plätze. Sammeln sich. Nehmen Haltung an. Auch ich versuche, mich zu konzentrieren. Biege Arme und Beine in die Ausgangsposition. Bemüht weich in meinen Bewegungen. Die Grundschritte sind leicht, heute sind es Salsa und Chachacha, aber die einzelnen Choreographien anspruchsvoll. Außerdem habe ich das Gefühl Muskeln wiederzuentdecken, von deren Existenz ich noch gar nichts wusste. Nach fünf Minuten spüre ich, wie die erste Schweißperle meinen Rücken hinabrinnt. Das hier ist so anstrengend. Perfekt, um mich auszupowern.

Wie beim letzten Mal tanze ich, leider, immer wieder aus der Reihe. Einzelne Schrittfolgen beherrsche ich noch nicht. Und oft fühle ich mich, als würden Arme und Beine einen riesigen, unlösbaren Knoten bilden. Aber noch bin ich nicht bereit, dass Tanzen wieder aufzugeben. Ich habe es ja eben erst wieder gefunden. Und ich hoffe, bin mir annähernd sicher, dass die anderen Tänzer genug mit sich selbst zu tun haben und nicht auf mich achten. So das ich in der Menge untergehe. Das ist gut, denn so fällt nicht auf, dass ich es mit dem Tanzen wie mit dem Singen handhabe: Dass ich nämlich fehlendes Können mit absoluter Hingabe kompensiere. 

Kommentare

  1. Hingabe erfordert mehr Mut als alle anderen Gaben.

    M.

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  2. Schön, wieder von Dir zu lesen!
    Ich bin ja absoluter "Tanz-Legastheniker" ... Daher kann ich jede einzelne Zeile Deiner Beschreibung nachfühlen.
    Respekt für Deinen Mut.
    Ich hatte Dir übrigens im September nochmal gemailt. Ist das angekommen?
    Liebe Grüße J.

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